Zum Sehen, zum Lesen, zum Hören

Cate Blanchett als Bundeskanzlerin der Apokalypse, ein Wal duftet nach Chanel Nº 5 und ein Dorf, in dem der Tod lauert. Sieben Kulturtipps für ein abgründiges Wochenende.

22. Mai 2025

Zum Sehen

Thriller

Black Bag

Im Kino

In den 50er und 60er Jahren luden Leinwand-Detektive noch zu Cocktailparties oder zumindest in das Lounge-Abteil des Nachtzugs ein, um unter den Verdächtigen den Schuldigen auszumachen. Ab den 60ern wurden mögliche Täter meistens so lange verdroschen, bis alles klar war. Im Kinofilm „Black Bag“ besinnt sich nun der Rollkragenpulli-Agent George Woodhouse (Michael Fassbender) auf die sanfte und stilvolle Methode und lädt zum Dinner. „Stilvoll“ ist ohnehin das Stichwort für Steven Sonderbergh, schon seit „Oceans 11“. In beneidenswert schönen Häusern und Garderoben muss Woodhouse den Maulwurf im MI5 enttarnen. „Black Bag“ ist dabei nicht nur Anti-Bond, sondern auch Ehe-Komödie: Seine Frau Kathryn (Cate Blanchett) ist ebenfalls verdächtig.

Schwarze Komödie

Tanz der Titanen

Im Kino

Gerade war sie noch die verdächtige Ehefrau, jetzt steht sie als deutsche Bundeskanzlerin stolz über Moorleichen gebeugt. Die Schauspielerin Cate Blanchett, zurzeit doppelt im Kino. Wer sich den Marathon gönnen will, könnte allerdings fiebertraumartige Zustände bekommen: Was weniger an „Black Bag“ als an „Tanz der Titanen“ liegt. Die Zombie-Apokalypse ist nämlich kein Thriller, sondern etwas zwischen B-Movie-Absurdität und kluger Politiksatire. Hier Moorleichen-Zombies, da ein riesiges Hirn im Gebüsch. Dort brüten die G7 in Zweiergrüppchen über ein „vorläufiges Statement“, in dem nichts steht. Die Trägheit der höchsten Politiker vor der schrillen Skurrilität ihrer untergehenden Umgebung.

Thriller-Serie

Insomnia

Paramount+

Schlafen ist etwas, je mehr man es will, je mehr man es forciert, desto weniger klappt es. Wie wach war man am Tag vor der Mathe-Klausur, wenn man doch eigentlich schlafen sollte, um sich nicht morgens völlig übermüdet im Satz des Pythagoras zu verheddern? In „Insomnia“ auf Paramount+ geht es nicht um Prüfungen. Emma ist nicht nervös, auch wenn sie bald zur Partnerin ihrer Anwaltskanzlei aufsteigen soll. Sie wird von ihrer Vergangenheit heimgesucht. Von der toten Mutter, die einst versuchte, ihre Schwester zu ersticken und Emma prophezeite, sie trage das gleiche „böse Blut“ in sich. Oder ist sie womöglich gar nicht tot? „Insomnia“ hält einen wach. Also lieber nicht vor Mathe-Klausuren gucken.

Drama-Serie

Das Reservat

Netflix

Entweder ist Skandinavien irre schön, wenn man im Selbstversorger-Camping-Van seiner wohlhabenden Sorglosigkeit frönt. Oder es ist irre gruselig und in Blautöne getaucht, wenn man sonntags um 23:30 Uhr in der ARD den nächsten Skandi-Krimi-Thriller findet. „Das Reservat“ auf Netflix ist beides und keines davon. In einem Milieu exzessiven Wohlstands im hyggeligen Dänemark verschwindet ein Kindermädchen. Polizistin Aicha Petersen ermittelt und klärt dabei nicht nur ein mysteriöses Verbrechen auf, sondern zeigt auch eine bilderbuchdemokratische Bubble, in der noch immer viel davon schlummert, worauf sie sich stützt: Kolonialismus, Misogynie, Rassismus. Kurz: Unterdrückung.

Zum Lesen

Roman

Der Duft des Wals

Paul Ruban

 Im Geiste der Reichensatire von „White Lotus“ versammeln sich diese Woche sowohl „Das Reservat“ als auch der Debütroman des jungen Autors Paul Ruban: „Der Duft des Wals“. Und wie so vieles in der Welt der Reichen der Schönen,kann man schon beim Titel ein Stück euphemistischer Fassade erkennen: Von „Duft“ kann keine Rede sein. In einem Hotel am Strand suchen wohlstandsverwahrloste Gäste nach Entspannung, während draußen ein Walkadaver explodiert. Um gegen den Gestank vorzugehen, versprüht man zeitweise sogar Chanel Nº 5 per Flugdrohne. Ein Parfum als Symbol des Luxus, verschüttet über der Verwesung. Passenderweise soll es Menschen geben, die der Duft an Einbalsamierungsmittel erinnert.

Roman

Die weißen Nächte

Urszula Honek

Ein weiteres, bemerkenswertes Debüt gibt Urszula Honek. Die polnische, hochdekorierte Lyrikerin schreibt mit „Die weißen Nächte“ ihren ersten Roman. Dreizehn Geschichten fügen sich hier als Fragmente zu einem größeren Bild zusammen. Ein Bild von einer vormodernen, dunklen Hinterwelt, von einem Dorf, in dem der Milchmann kommt, Pferde auf den Straßen trotten, Mädchen noch lange, geflochtene Zöpfe haben, Väter ihre Söhne verprügeln. In diesem Dorf sind die Toten allgegenwärtig. Doch die düstere Welt ist nicht nur durch die Blickwinkel mehrdimensional, sondern auch durch die Brüche, durch Risse in der Zeit, wenn das Licht eines Fernsehers oder Coca-Cola auftauchen.

Zum Hören

Radiofeature

Kreuzberger Gefechte

DLF Audiothek

Der Görlitzer Park im Berliner Stadtteil Kreuzberg für seine hohe Kriminalität bekannt. Der Berliner Senat will ihn deswegen einzäunen und nachts absperren, wogegen sich nun lauter Widerstand regt. Journalist Lorenz Rollhäuser geht dem im Radio-Feature „Kreuzberger Gefechte“ bei Deutschlandfunk nach. Er lebt selbst dort und ist auch selbst aktivistisch engagiert. Die journalistische Sorgfalt profitiert in diesem Fall allerdings mehr von der privaten Verwicklung, als dass sie ihr schadet, denn Rollhäuser ist gut vernetzt. Und kann in diesem Konflikt die vielen unterschiedlichen Argumenten aus unterschiedlichen Richtungen breiter und eindrücklicher einfangen als es vielleicht Außenstehende tun könnten

Text: Leon Frei; Illustration: Sead Mujić; Editorial Design: Felix Hunger; Redaktion: Carolin Gasteiger

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