Zum Sehen, zum Lesen, zum Hören

Arundhati Roy schenkt ihrer Mutter mit ihrem Buch die Unsterblichkeit, Taylor Swift hat ein neues Album, und ein Dokumentarfilm beleuchtet das Schicksal zweier Brüder, die der Hamas-Angriff trennte. Neun Kulturtipps für ein herbstliches Wochenende.

9. Oktober 2025

Zum Sehen

Film

Nur für einen Tag

Im Kino

Dieser Film ist eine kleine amouröse Eloge auf das Essen, die Liebe und die Musik: Küchenchefin Cécile (Juliette Armanet) muss rasch von Paris, wo sie lebt, in ihr Heimatdorf, der Vater hatte einen Herzinfarkt. Dort ist alles anders, Cécile erlebt Offenheit und Lebenslust, und die prollige Vergangenheit, in die sie zurückkehrt, zeigt naives Selbstbewusstsein. Als sie morgens über den Markt geht, hat Raphaël (Bastien Bouillon), der Jugendfreund, seinen großen Auftritt: Er war fischen und watet aus dem Wasser auf Cécile zu, mit einem unverschämten, übergriffigen Lachen …

Dokumentarfilm

A Letter to David

Im Kino

Was geschah mit David Cunio, der noch immer in der Gewalt der Hamas ist? Ein bewegender Dokumentarfilm schildert sein Schicksal aus der Sicht seines Zwillingsbruders Eitan Cunio. „A Letter to David“ ist aber nicht deshalb ein so herausragendes Dokument, weil der Film auf drastische Bilder vom 7. Oktober verzichtet und psychologische Mechanismen eher wie nebenbei begreifbar macht. Sondern, weil Regisseur Tom Shoval auf mehr als zehn Jahre altes Bildmaterial zurückgreifen konnte. Von 2012 an hatte er schon einmal mit Eitan Cunio gedreht. Und mit dessen Bruder David.

Serie

Alphamännchen

Netflix

Kein Sex, kein Job, keine Ehe: In „Alphamännchen“ müssen vier mittelalte Männer ihr Leben umkrempeln. In erster Linie will die Netflix-Serie dabei witzig und ein bisschen unangenehm sein. Fast so, als wäre schützende Ironie der einzige Weg, um sich mit einer verletzlichen Männlichkeit auseinanderzusetzen. Und doch schafft sie es manchmal, subtil die soziale Rolle von Männern zu hinterfragen. Warum ist Händchenhalten in der Selbsthilfegruppe komisch, aber auf dem Fußballfeld wird sich stürmisch in die Arme gefallen?

Zum Lesen

Autobiografie

Meine Zuflucht und mein Sturm

Arundhati Roy

Es dauert Ewigkeiten, bis Arundhati Roy ein neues Buch geschrieben hat. Es ist also eine literarische Sensation, dass sie nun genau dies getan hat. Nur: Was ist es für ein Buch? „Meine Zuflucht und mein Sturm“ ist so etwas wie eine Autobiografie, oder eher ein Memoir, eine Erinnerung, es liest sich aber wie ein Roman. Die Schriftstellerin erzählt darin, wie sie wurde, wer sie ist – vor allem durch die komplizierte Beziehung zu ihrer Mutter Mary Roy. Die heute 63-jährige Schriftstellerin flieht mit 18 Jahren vor ihr, „nicht weil ich sie nicht liebte, sondern um sie weiterhin lieben zu können. Sie lehrte mich zu schreiben und grollte der Autorin, zu der ich wurde“, schreibt Roy. Mit dem Buch schenkt die Autorin ihrer Mutter, was sie ihr am liebsten schenken möchte: Unsterblichkeit.

Roman

Ein ziemlich böses Mädchen

Jessica Zafra

Guadalupe heißt die Heldin in Jessica Zafras Buch, das den Titel „Ein ziemlich böses Mädchen“ trägt. Denn Guada, so wird sie genannt, ist beißend klug und eigensinnig. Sie kommt aus kleinen Verhältnissen, darf aber mit den Privilegierten zur Schule gehen – wo sie den Unterschied der verschiedenen Klassen ganz nah erlebt. Heldin und Autorin nehmen die Leserinnen und Leser mit in eine Welt, die fremd und gleichzeitig vertraut wirkt, nicht nur, weil es sich um die Philippinen handelt, die Europa nicht zuletzt durch 300 Jahre spanische Besatzung ähneln, sondern weil Erwachsene sich weltweit irrational verhalten. Wer bisher keine Ahnung von den Philippinen hat, dem hilft ein Glossar am Ende des Buches auf die Sprünge. Abgesehen davon muss einen das Land nicht brennend interessieren, man kann sich auch nur über die Geschichte eines klugen Mädchens in einer Welt voller nicht so kluger Männer amüsieren.

Roman

Am Samstag gehen die Mädchen in den Wald und jagen Sachen in die Luft

Fiona Sironic

Die Welt ist ungemütlich geworden in Fiona Sironics Debütroman „Am Samstag gehen die Mädchen in den Wald und jagen Sachen in die Luft“. Zwei Mädchen werden erwachsen, finden zusammen und trennen sich wieder, in einer dystopischen Zukunft, in der all die heute schon wahrnehmbaren Probleme auf apokalyptisches Ausmaß angewachsen sind. Das Buch ist eine übertriebene Beschreibung der Gegenwart und eine nicht ganz so übertriebene Ahnung von dem, was aus ihr werden könnte, eine Warnung, ein Vorwurf und ein Wutausbruch. Der Zug ist abgefahren in diesem Buch. Es gibt nichts mehr zu retten. Das Letzte, was in einer untergehenden Welt übrig bleibt, ist die Wut der Kinder.

Textsammlung

„Bruchstücke“

Hans Joachim Schädlich

„Wo isn der Kudamm“ heißt eines der Prosastücke, die Hans Joachim Schädlich in seinem Band „Bruchstücke“ versammelt hat. Die Frage stellt ein „Mann aus dem Osten“ am späten Abend des 9. November 1989 am Grenzübergang Invalidenstraße. Schädlich selbst kehrt an diesem Abend in die DDR zurück, die er hatte verlassen müssen, um zum Autor werden zu können. Viele seiner Fragmente führen die Anfeindungen und Denunziationen vor Augen, die zu seinem Ausreiseantrag führten, nachdem im August 1977 sein Prosadebüt „Versuchte Nähe“ im Westen, bei Rowohlt in Hamburg, erschienen war. Auch den Besuchs Schädlichs bei Robert Havemann Ende November 1976, einen Tag nachdem der Schriftsteller Jürgen Fuchs dort aus dem Auto Havemanns heraus von der Stasi verhaftet worden war, schildert eine Skizze. Eines der längeren Fragmente ist dem Zerwürfnis mit seinem langjährigen Freund Günter Grass gewidmet.

Zum Hören

Pop

The Life of A Showgirl

Taylor Swift

Taylor Swifts neues Albums „The Life of a Showgirl“ ist mit Details gespickt: So beginnt gleich der erste Song mit einem Handgelenk-Trommelwirbel. In „Honey“, einem für Swifts Hyperaktiv-Verhältnisse erstaunlich souligen Schlummertanz um eine Uralt-Drum-Maschine, dudelt in der Mitte plötzlich eine Klarinette. Und dann ist da noch das wunderbare Detail im Titelsong, „The Life of a Showgirl“, zu dem Taylor Swift sich die fast schon ähnlich notorische Sabrina Carpenter zum Duett geholt hat. Die allseits erwartete große Oper bleibt allerdings aus – die Platte ist eine gut durchgeschüttelte Tüte aus kurzweiligem, kaum in nennenswerte Tauchtiefen gehendem Pop. Aber, und das muss man dieser so derart erfolgsverwöhnten Sängerin und Autorin unbedingt lassen: Es fällt wirklich außerordentlich leicht, sich diese Platte schönzuhören.

Radiofeature

„Cash Cow Flüchtlingsheim“

ARD Audiothek

Eines der lukrativsten Geschäftsfelder ist der Betrieb von Flüchtlingsunterkünften. In Deutschland kommen bei immer mehr Ausschreibungen private Anbieter zum Zug und drängen die Wohlfahrtsverbände aus diesem Markt. Langjährige Erfahrung als Träger, der Einsatz von Fachpersonal, die Tarifbindung der Wohlfahrtsverbände – all das spielt keine Rolle. Die privaten Firmen bieten ihren Service billiger an, indem sie, was sich belegen lässt, Dumpinglöhne bezahlen und die geforderten Personalschlüssel nicht einhalten. Mit ernsten Folgen für die Bewohner der Unterkünfte, für die sich kaum jemand zuständig fühlt. Der Journalist Till Uebelacker hat für sein vom WDR produziertes ARD-Radiofeature „Cash Cow Flüchtlingsheim“ zu dieser Entwicklung recherchiert.

Text: Jonas Bernauer; Illustration: Sead Mujić; Editorial Design: Felix Hunger

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