Zum Sehen, zum Lesen, zum Hören

Ein brandenburgisches Kaff wird zum Hollywood-Drehort, eine dystopische Jugendroman-Reihe immer besser und ein satirisches Künstler-Hörspiel: Kulturempfehlungen für das Osterwochenende.

17. April 2025

Zum Sehen

Drama

Primadonna

Im Kino

Nicht einmal das Arbeiten auf dem Feld ist ihr erlaubt. Die Hände schmutzig machen? Gehört sich nicht für eine Frau. Und auch die Madonna darf sie nicht verkörpern, beim alljährlichen Krippenspiel. Zu unangepasst ist sie, Lia, die junge, mutige Frau in der konservativen und patriarchalen sizilianischen Gesellschaft. Sie wehrt sich, aber die Strukturen scheinen zu festgemauert, um an ihnen ernsthaft rütteln zu können. Aufwühlend und doch ästhetisch zeitlos und schön erzählt Marta Savina eine Geschichte der Unterdrückung in „Primadonna“. 

Tragikomödie

Another German Tank Story

 Im Kino

Am Eingang des ostdeutschen Kaffs steht gleich mal: „Willkommen in Wiesenwalde – hier werden Wunder wahr.“ Bürgermeisterin Susanne will ihrem Örtchen frischen Wind einhauchen, da kommt eine Hollywood-Produktion ganz gelegen. Im Nu wird der Ort zu Kulisse, Produktionsbüro und Lagerhalle ummontiert. Die Amerikaner wollen einen Weltkriegsfilm drehen, was die Dorfbewohner auf lustige Art mit ihrer Vergangenheit konfrontiert. Im Kinofilm "Another German Tank Story" von Jannis Alexander Kiefer entsteht so viel Raum für Humor zwischen Gegenwart, DDR- und Nazi-Vergangenheit.

Dokumentation

Vom Rockstar zum Killer: Der Fall Bertrand Cantat

Netflix

Es scheint unglaublich, dass ein offensichtlicher Femizid noch vor 20 Jahren als „Verbrechen aus Leidenschaft“ verbucht wurde. Als die Schauspielerin Marie Trintignant 2003 von ihrem damaligen Freund, dem französischen Rockstar Bertrand Cantat, so heftig verprügelt wird, dass sie wenige Tage später an ihren Verletzungen stirbt, ist das Verständnis und Mitleid für Cantat groß. Die Netflix-Doku „Vom Rockstar zum Killer“ blickt aus heutiger Perspektive auf den Fall und zeichnet ein beklemmendes Bild der noch jungen Vergangenheit. 

Thriller

Die Glaskuppel

Netflix

Eigentlich lebt Lejla mittlerweile in San Diego. Eigentlich hat sie ihre Vergangenheit hinter sich gelassen. Und eigentlich geht es ihr ganz gut. Doch dann zwingt der Tod ihrer Adoptivmutter sie zur Rückkehr in ihr schwedisches Heimatdorf. In der Netflix-Serie „Die Glaskuppel“ geht es nicht um ihre Trauer. Nein, es ist schlimmer: Auf mysteriöse Weise verschwindet wieder ein Kind. Bei Lejla reißt das alte Wunden auf.

Zum Lesen

Kinderbuch

Schau genau hin!

Giselle Clarkson

Es ist nicht unbedingt so, dass es Kindern an Entschleunigung fehlt. Da wird mal hier angehalten, mal dort stehen geblieben, um mal die Frau gegenüber oder das Plakat an der Bushaltestelle genauer zu betrachten. Das Buch „Schau mal hin“ von Giselle Clarkson fördert diese manchmal nervenfordernde Angewohnheit. Und reichert das Beobachten der alltäglichen Natur mit allerlei Wissenswertem an. Auch deshalb empfehlenswert, da es um Feiertage herum ja oft doch nicht so entschleunigt zugeht wie erhofft. 

Jugendbuch

Die Tribute von Panem L – Der Tag bricht an

Suzanne Collins

Auch Jugendbücher können etwas über unsere Gegenwart erzählen. Die Bestseller-Autorin Suzanne Collins schafft das mit ihrer „Tribute von Panem“-Reihe immer wieder, in der die Staatsmacht Jugendliche dazu zwingt, sich gegenseitig bis auf den Tod zu bekämpfen, um demokratische Bestrebungen zu unterdrücken und Angst zu verbreiten. In „Der Tag bricht an“ fokussiert sich Collins nun mehr auf den fiktiven Medienapparat von Panem, der die Bevölkerung manipulieren soll. Und schafft es natürlich wieder, den Assoziationsraum zur Realität zu öffnen. 

Zum Hören

Podcast

Das Kind zieht aus – und jetzt?!

Deutschlandradio Audiothek

Mit dem Nacheifern der Eltern kann man es auch übertreiben. Zumindest, wenn eine Künstlerin wie Mariola Brillowska das Kunststudium und den Auslandsaufenthalt ihrer Tochter mitfinanzieren muss. In dem satirischen Deutschland-Podcast „Das Kind zieht aus – und jetzt?!“, in dem Brillowska mal mehr, mal weniger sich selbst spielt, geht es auch um das Recht auf einen selbstbestimmten Lebensstil. Zum Glück mit dabei: eine große Portion Selbstironie. 

Hörspiel

Mutter Vater Land

ARD Audiothek

Obwohl unsere Welt voll von Schubladen ist, in die man so gerne Menschen einordnen würde: Funktionieren tut das nie. Personen sind vielschichtig. Und Identitäten widersprüchlich. Wie wenig die Klischees über eine deutsch-türkische Familie stimmen, thematisiert Akın Emanuel Şipal in „Mutter Vater Land“ und verarbeitet damit auch seine eigene Familiengeschichte über mehrere Generationen. Ein sensibles und kraftvolles Hörspiel in der ARD-Audiothek.

Favorit der Woche

Michael

Stummfilm auf DVD

Liebe ist alles in diesem Film: Er spielt fast ausschließlich im Salon des Malerfürsten Claude Zoret, und die Liebe ist präsent im ganzen Film, in den Blicken und Attitüden, den Statuen und Gemälden. Eine der berühmtesten Einstellungen der Kinogeschichte ist, wenn hier ein Mann und eine Frau nebeneinander sitzen, unser Blick wird magnetisch angezogen von einem kleinen Frauen-Torso in seinen Händen, ein obskures Objekt seiner geheimen Begierde: Es ist die Frau eines anderen, in die er sich in diesem Moment verliebt. Eine Einstellung, die signalisiert, wie Menschen für ihre Liebe leben (und sterben) werden. 

Bei Salzgeber ist „Michael“ eben auf DVD herausgebracht worden. Stummfilme sind Fremdkörper in der filmischen Wahrnehmung, so ist dies eine großartige Gelegenheit, sich auf dieses verdrängte Kino einzulassen, seinen Rhythmus und seine Konsequenz. Dreyer ist ein beharrlicher Einzelgänger der Kinogeschichte, er hat in seinem Leben (1889 bis 1968) gerade mal vierzehn Langfilme gemacht plus eine Handvoll Kurzfilme, darunter „Passion de Jeanne d’Arc“ und „Vampyr“, „Ordet“ und „Gertrud“ (sein letzter Film, 1964, über eine Frau, die keinen Namen auf ihrem Grabstein haben will, nur Amor omnia). Gewaltig ist in „Michael“ die Liebe des Meisters Zoret zu seinem Pflegesohn (und Erben) Michael. Der blonde Walter Slezak wirkt in dieser Rolle, elegant gekleidet und mit einer diabolischen Manier, seine Stirn in Falten zu legen, wie eins der zahlreichen Stücke im Salon Zorets (auch einen Zimmerspringbrunnen gibt es hier). Eine Ruinenlandschaft, voller versprengter Überbleibsel eines abgelaufenen Jahrhunderts, auseinandergehalten vom Dunkel, das im Raum herrscht.

Michael ist Pflegesohn, Modell, Inspiration für Zoret – und Geliebter: frühes queeres Kino also, ganz im Sinne des Autors Herman Bang, der offen homosexuell war. Am Drehbuch hat Thea von Harbou mitgeschrieben, die Frau und enge Mitarbeiterin von Fritz Lang an dessen Großfilmen der Zwanziger. Stillschweigend beseitigt Zoret all die finanziellen Engpässe, in die Michael sich manövriert: „Jungsein ist teuer.“ Mit Amor omnia war es schon vorbei, als Dreyer „Michael“ drehte. „Der Stil des Films war fadenscheinig, falsch“, hat er später erklärt, „weil die Epoche es war.“ Fritz Göttler

Text: Leon Frei; Illustration: Sead Mujić; Editorial Design: Felix Hunger; Redaktion: Carolin Gasteiger

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