Zum Sehen, zum Lesen, zum Hören

Parallele Versionen des eigenen Lebens, die unbekannte Tragik von schwedischen Stauseen und ein musikalischer, erhellender Blick aus dem All. Kulturempfehlungen für ein perspektivreiches Wochenende.

7. Mai 2025

Zum Sehen

Horrorkomödie

Death of a Unicorn

Im Kino

Da fährt man eine malerische, kurvige Waldstraße entlang und ahnt nichts Böses und dann: Zack! Hat man ein Einhorn überfahren. Makaber und absurd, aber eben das passiert im neuen amerikanischen Kinofilm „Death of a Unicorn“. Und wer jetzt nicht weiß, in welcher Welt so etwas stattfinden soll – im Fantasy-Genre passt das Auto nicht, in allen anderen Genres passt das Einhorn nicht: Es ist die Welt der Horrorkomödie. Das Einhornblut hat natürlich heilende Kräfte, was auch die stinkreichen Pharmaunternehmer herausfinden, die das Tier bergen. Eine Gelddruckmaschine? Nun ja, es wäre ja keine Horrorkomödie, wenn der Film nicht noch eine böse Überraschung bereithalten würde.

Doku-Serie

Inside CDU

ZDF-Mediathek

Gruseln könnte man sich auch bei dem Gedanken an eine Disco-Pause im Konrad-Adenauer-Haus am Freitag um halb elf. Die scheint tatsächlich im wöchentlichen Rhythmus stattzufinden, was man in der neuen ZDF-Dokuserie „Inside CDU“ erfährt. Weitere kleine Fundstücke: Friedrich Merz ärgert sich über Rechtschreibfehler im Teleprompter und ja, die CDU war erleichtert, als die SPD nicht noch kurz vor der Wahl den Kanzlerkandidaten Olaf Scholz mit dem weitaus beliebteren Boris Pistorius ersetzte. Wirklich tief „inside“ geht das nicht. Aber man kann im Kleinen sowieso meist mehr entdecken als im Großen.

Drama

Parallel Me

Paramount+

Fremdscham-Fiction wird wohl nie aus der Mode kommen. Von „The Office“ über „Jerks“ bis „Die Discounter“, alles irre erfolgreich. Da fühlt man mit Figuren, die in die unmöglichsten Situationen geraten. So sehr, dass man manchmal den Raum verlassen möchte, um die Peinlichkeit nicht ertragen zu müssen. Die deutsche Paramount+-Serie „Parallel Me“ macht genau da weiter. Die junge Toni kann alternative Versionen ihres Lebens bereisen, mal ist sie Musikerin, mal Juristin, mal Alpaka-Farmerin. Problem ist nur: Sie kann diese alternativen Leben zwar ausprobieren, ihr Gedächtnis morpht sich allerdings nicht mit. Was einige Fettnäpfchen bereithält.

Mockumentary

Muxmäuschenstill X

Im Kino

20 Jahre war Mux von der Bildfläche verschwunden. Nach einem Autounfall lag er im Wachkoma. Aber er hat dann auch noch ein Manifest geschrieben: das Manifest des „Muxismus“. Ein Begriff, der im Kinofilm „Muxmäuschenstill X“ gar nicht so genau definiert wird. Nur so viel: Der Muxismus fordert etwa eine Reichensteuer, die sogenannte „Solidar-Jobs“ finanzieren soll, um die zur Verantwortung zu ziehen, die von der klaffenden Lücke zwischen Arm und Reich profitieren. Mux hat eine gewaltbereite Anhängerschaft. Und fordert zum Beispiel dazu auf, die erste Klasse in Zügen zu besetzen. Eine ironische Mockumentary, die einen Systemumsturz probt.

Zum Lesen

Roman

Das Echo der Sommer

Elin Anna Labba

Man könnte eigentlich neidisch werden: Fast die Hälfte der Energiegewinnung in Schweden läuft, ganz nachhaltig, über Stauseen. Wie das Buch „Das Echo der Sommer“ zeigt, ist nur leider auch das zu schön, um wahr zu sein. Doch, doch, wahr ist es schon. Nur ist es nicht so schön, wie gedacht. Es gibt Menschen, die unter dieser vermeintlich perfekten Lösung leiden: Das indigene Volk der Samen, deren Dörfer verschluckt werden. Elin Anna Labba ist selbst Samin und erzählt vom stillen Leiden des unterrepräsentierten Volkes. Gibt es auf dieser Erde denn kein Fleckchen, an dem die Ausbeutung der Natur niemandem schadet?

Graphic Novel

Zwei weibliche Hauptakte

Renald „Luz“ Luzier

Für den französischen Charlie-Hebdo-Zeichner Luz zerbrach 2015 am Tag der Anschläge auf sein Magazin ein Leben. Auf der Suche nach neuem Halt fand er deutsche Expressionisten, wie Otto Müller und dessen Werk „Zwei weibliche Hauptakte“. Und da kam ihm die Idee, eine Geschichte zu erzählen. Die Geschichte dieses Gemäldes. Er forschte nach. Und stellt jetzt seine gleichnamige Graphic Novel vor, in der man mitverfolgen kann, wie Otto Müller das Bild malt, an eine jüdische Familie verkauft, wie es die Nazis rauben und als „Entartete Kunst“ ins Museum hängen. Eine ungeheuer genau recherchierte Geschichte über Kunst, die gehasst wird und diesen Hass überlebt.  

Zum Hören

Pop

The Overview

Steven Wilson

Steven Wilson, einer der künstlerisch wendigsten Popmusiker unserer Zeit und Frontmann der ebenso fantastisch wie dekorierten Prog-Rock Band Porcupine Tree, hat ein neues Album. „The Overview“ heißt es und ist Produkt einer Suche nach dem, was man in der Popmusik überhaupt noch erzählen könnte. Denn Wilson hasst es etwas oder, noch schlimmer, sich selbst zu wiederholen. Und dann hörte Wilson vom „Overview-Effekt“, den Astronauten haben, wenn sie das erste Mal aus dem All auf die Erde blicken und deren Zerbrechlichkeit vor dem Hintergrund des unendlichen Universums begreifen. Wie setzt man das auf einem Pop-Album um? Musikalisch, wie literarisch im großen Stil. Anmutig natürlich.

Hörspiel

Die Erschöpften

ARD Audiothek

Es ist nicht unvorstellbar, dass sich eines Tages die Bürokratie auch über die Freizeit hermacht. So geschehen im starbesetzten ARD-Hörspiel „Die Erschöpften“ mit Tom Schilling, in der man nicht nur seine Arbeitstauglichkeit, sondern auch seine Urlaubsfähigkeit ärztlich attestieren lassen muss. Etwa in der Klinik „Müßiggang“, in die der von Schilling hervorragend gespielte Sven Schmitz „eingeliefert“ wird. Der ist, ganz passend zum Namen der Anstalt, wirklich „müßiggänging“, was im Hörspiel die Diagnose „hohe Erregungsspannung“ heißt. Urlaubsreif, aber nicht urlaubsfähig. Zu erschöpft, um den Urlaub wirklich nutzen zu können. Gar nicht so abwegig, dürften sich hier einige denken. Oder?

Text: Leon Frei; Illustration: Sead Mujić; Editorial Design: Felix Hunger; Redaktion: Moritz Baumstieger

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