Zum Sehen, zum Lesen, zum Hören

Caroline Wahls Bestseller läuft im Kino, Nobelpreisträgerin Annie Ernaux macht ihrem Publikum ein fantastisches Geburtstagsgeschenk, und Sabrina Carpenter zeigt, wie sie das Internet in eine Falle gelockt hat. Neun Kulturtipps für ein unterhaltsames Wochenende.

4. September 2025

Zum Sehen

Serie

The Diplomat

ZDF-Mediathek

Die Touristenstadt Barcelona ist längst auch ein Zentrum europäischer Kriminalität geworden, die sich netzartig über die sechs Folgen von „The Diplomat“ legt und die Figuren durch geheime Motive und Ambitionen verknüpft. Laura Simmonds ist die Titelfigur der Krimiserie. Als britische Konsulin in Barcelona, zuständig für Katalonien, Aragon und Andorra, hat sie eine Menge zu tun, um britischen Staatsbürgern in Schwierigkeiten zu helfen, nicht immer Touristen, und nicht immer geht es dabei um verlorene Pässe. Es gibt zerrüttete Familien, Frauen, die dreisten kriminellen Gigolos zum Opfer fallen, Rassismus-Vorwürfe, einen Mord, der als Unfall vertuscht werden soll. Und: Es gibt auch Intrigen innerhalb des Konsulats. Simmonds muss, mit ihren zwei Mitarbeitern, viel beruhigen, bremsen, erklären, vertrösten. Ihr Gesicht strahlt stets professionelle Gleichmut und Diskretion aus, aber in ihren Blicken sprühen erotische Funken von Skepsis und Ironie. Simmonds lässt sich, eher unprofessionell, mit einem zwielichtigen reichen Typen ein und kriegt am nächsten Morgen von ihrer treuen, vorwitzigen Assistentin Alba zu hören: „Ich merke das sofort, wenn zwei Menschen sich schon einmal nackt gesehen haben!“

Dokumentarfilm

Das Deutsche Volk

Im Kino

Am 19. Februar 2020 erschoss ein Rechtsextremist neun Menschen. Zuerst in zwei Bars in der Hanauer Innenstadt, dann fuhr er weiter nach Kesselstadt. Anschließend tötete er seine Mutter und sich selbst. Fünf Jahre nach dem rassistischen Anschlag kommt nun die Doku „Das Deutsche Volk“ in die Kinos. Regisseur Marcin Wierzchowski begleitete dafür vier Jahre lang Angehörige und Überlebende bei ihrem Kampf um Aufmerksamkeit. Viele der Interviews finden in den Räumen der Initiative 19. Februar Hanau statt. Die Interviewten erzählen darin von ihrer Trauer und Wut, vom Rassismus, den sie erfahren. Ihr unermüdlicher Wille nach lückenloser Aufklärung ist beeindruckend. Der Film schafft es, das Anliegen dieser Menschen zu transportieren, ohne ihr Leid auszuschlachten.

Literaturverfilmung

22 Bahnen

Im Kino

Es fühlt sich an, als entkomme man ihr gerade nicht. Caroline Wahl hat drei Bestseller in drei Jahren veröffentlicht, der neueste, „Die Assistentin“, ist eben erschienen. Und nun kommt auch noch die Verfilmung ihres Debüts „22 Bahnen“ ins Kino. Der Film bleibt nah an der Vorlage: Tilda lebt in einer deutschen Kleinstadt und muss sich neben dem Mathematik-Studium um ihre kleine Schwester Ida kümmern. Die alkoholkranke Mutter schwankt zwischen abwesend und gefährlich. Dann wird Tilda jedoch eine Promotionsstelle in Berlin angeboten. Kann sie Ida zurücklassen? Der Film fügt dem Buch nichts substanziell hinzu, kommt seinen Figuren aber extrem nahe. So folgt die Kamera Luna Wedler, die die Tilda zwischen Kind- und Erwachsensein, zwischen Sorgen und Leichtigkeit spielt. Filmt jedes Härchen im Nacken, ihre Atmung hörbar wie ein ASMR-Video. Gerade was nicht zusammenpasst in diesem Film, kann einen angenehm entwaffnen.

Film

The Thursday Murder Club

Netflix

Nach Miss Marple sind nun wieder Senioren auf Verbrecherjagd. In Netflix' neuem Film „The Thursday Murder Club“ decken Helen Mirren, Ben Kingsley, Pierce Brosnan und Celie Imrie einen Mord auf. Eigentlich haben die vier zuvor nur zum Spaß Cold Cases gelöst, nun müssen sie aber an einen akuten Fall ran. Praktisch, dass die von Mirren gespielte Elizabeth früher Geheimagentin war. Die Suche nach dem Mörder verläuft dabei in der britischen und sehr schicken Seniorenresidenz der vier Protagonisten. Der Tote: Pächter Tony, der sich kurz vor seinem Tod noch mit dem skrupellosen Grundstücksbesitzer Ventham (David Tennant) gestritten hatte. Angelehnt ist die Geschichte an die gleichnamige Bestsellerreihe von Richard Osman. Auf Netflix macht der zuckrige Mix aus südenglischen Cottage-Klischees Freude. Auch, weil die vier Hauptdarsteller ihre Rollen nicht allzu ernst nehmen.

Zum Lesen

Roman

Die Besessenheit

Annie Ernaux

Seit dem Literaturnobelpreis im Jahr 2022 zählt Annie Ernaux zu den bekanntesten Autorinnen der Welt, eine der berühmtesten Französinnen ist sie schon länger. Sie pflegt eine gewisse Zuverlässigkeit in ihren linken Engagements, aber vor allem schreibt sie weiter. Die ganze Sache mit dem globalen Ruhm, hofft sie, wird sich wieder legen. Nun erschien, wie ein Geburtstagsgeschenk der Autorin an ihr Publikum, der Roman „Die Besessenheit”. Es geht um die Eifersucht, die eine Frau plagen kann, bis zur Besessenheit, und um Liebeserinnerungen, die zur Qual werden. Die Kulisse der Geschichte sind die Straßen von Paris. Ernaux bietet ein beeindruckendes Panorama an Gedanken und Gefühlen, vom rasenden Wahnsinn über die Mordlust zu Überlegungen erotischer Natur, bewahrt dabei aber einen selbstironischen Humor, sodass dieses kurze Buch die Leser lange beschäftigt.

Roman

Let’s talk about feelings

Leif Randt

Leif Randts Figuren, ob Schriftstellerin, Kunsthistoriker, Literaturagent oder Website-Designer, unterhielten in ihrem Lebensstil immer schon gute Beziehungen zur Mode in Kleidung, Sprache, Popmusik und Dingwelt. In seinem neuen Roman steht zum ersten Mal die Modebranche im Mittelpunkt. „Let’s talk about feelings“ ist exakt datiert und vage zugleich, spielt vom Juni 2025 bis Sommer 2026, aber die leichte zeitliche Verrückung entfernt die im Roman entworfene Welt so verlässlich von der realen Gegenwart wie eine Plexiglaswand, durch die man in ein Aquarium blickt. So wenig wie seine Figuren liebt der Autor das Pathos und dramatische Konflikte. Der zeitliche Rahmen des Romans ist das Trauerjahr nach dem Tod der Mutter. Manchmal schießen dem Protagonisten Marian wie von ungefähr die Tränen in die Augen, aber das vergeht in einer nicht unangenehmen Melancholie. Marians Westberliner Mode-Boutique ist durch die ausbleibenden Zuschüsse der Mutter zur Gewerbemiete und allgemein steigende Kosten geschwächt. Daher muss günstige, gefälschte Designerware angeschafft werden: „Und genäht wurden die Teile unter halbwegs okayen Bedingungen in Polen.“ Passagen wie diese lassen nicht nur Marians entspanntes Verhältnis zu Lieferketten erkennen. Sie zeigen auch, dass der Roman das Zeug zu einer Satire hätte. Diese Option schlägt der Roman aber aus. Auch die Option Happy End zieht der Roman ernsthaft in Erwägung. Den Listen der Mode und Geheimnissen der Oberfläche ist er nicht ganz gewachsen. Debatten über die Zukunft der Popliteratur fordert er nicht heraus.

Roman

Achte Woche

Antonia Baum

„Sie hasste es, aber sie war gern ein gutes Mädchen“ – Laura, die in Antonia Baums Roman „Achte Woche“ vor der Entscheidung steht, ob sie ihre Schwangerschaft abbrechen soll, ist sich voll bewusst, dass ihre patriarchal geprägte Sozialisation dieses Schuldgefühl genau so vorgesehen hat. Wer ein Kind nicht bekommt, ist kein gutes Mädchen. So simpel, so genial. Mit pragmatischer Zugewandtheit folgt Antonia Baum ihrer Protagonistin vier Tage lang in deren Gedanken und in ihrem Arbeitsalltag in einer gynäkologischen Praxis. Von der Schwere, mit der das Thema Schwangerschaftsabbruch gesellschaftlich aufgeladen ist, bleibt Antonia Baum angenehm unbeeindruckt, sie idealisiert nicht, sie ideologisiert nicht. Vielmehr malt die Autorin sensibel das große Fragezeichen aus, das über so vielen Schwangerschaften steht. Es spielt keine Rolle, zu welchem Schluss Laura am Ende des Romans kommen wird. Beide Entscheidungen können richtig sein. Oder falsch.

Zum Hören

Pop

Man’s Best Friend

Sabrina Carpenter

Das Cover ihres neuen Albums spaltete des Internet: Auf „Man’s Best Friend“ kniet Sabrina Carpenter auf allen vieren vor einem Mann, der sie an den Haaren hält wie an einer Leine. Selbstsexualisierung schrien die Kritiker. Dass dahinter jedoch eine clevere, auch sehr feministische Pop-Musikerin steckt, zeigt die nun erschienene Platte. Carpenter war erst Disney-Sternchen, seit spätestens letztem Jahr ist sie Pop-Weltstar. Ihr Song „Espresso“ wurde ein Sommerhit, mit Taylor Swift ging sie auf Tour, zwei Grammys gewann sie auch noch. Dabei trägt sie knappe Kleider, kurze Röcke und wallende blonde Haare. Carpenter gehört zu einer neuen Post-Me-Too-Generation, die sich wieder selbst sexualisiert – wenn sie das möchte. Was jedoch in ihren Videos, wie zu ihrem gerade veröffentlichten Song „Tears“, auffällt: Häufig müssen die Männer darin dran glauben. Sie schleudert ihnen beispielsweise einen Stiletto in die Brust. Carpenter kommentiert auf diese Weise auch das moderne Datingleben. Sie lädt den männlichen Blick ein, weil ihr das offenbar Spaß macht. Aber auch, um ihn in die Falle zu locken.

Podcast

Der Römische Traum – Eine Anno-Story

ARD Audiothek

Vom Abschaum zum angesehenen Bürger, vom Sklaven zum Herrscher. Dieser Wunsch eines Aufstiegs im alten Rom erzählt der Hörspiel-Podcast „Der Römische Traum“ des SWR in neun Folgen. Jeden Mittwoch erscheint eine weitere – als Prequel-Geschichte zum erfolgreichen Hörspiel „Anno“, dessen achter Teil „Anno 117: Pax Romana“ im November erscheinen wird. Im Hörspiel befinden wir uns im frühen zweiten Jahrhundert nach Christus. Die jungen Freunde Simeon und Bel verkaufen sich zu Beginn selbst als Sklaven, um ihre Familien zu retten. Und arbeiten in der Folge daran, wieder freie Bürger zu werden. Diese Heldenreise – Simeon fordert das System heraus – erzählt von Treue und Verrat, vom Überstehen lebensgefährlicher Situationen, von Moral. Und ist auch auf Produktionsseite ein aufwendiges Abenteuer. Der Soundtrack, vom SWR-Funkorchester eingespielt, stammt von Dynamedion, die eine Größe in der Computerspielbranche sind und bereits die Musik für die gesamte „Anno“-Reihe verantwortet haben.

Text: Hanna Böcher, Monika Rathmann; Illustration: Sead Mujić; Editorial Design: Katharina Wutta; Digitales Storytelling: Carolin Gasteiger

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