
Es ist noch gar nicht lange her, da hat ein Protestaufruf von „Fridays for Future“ noch die Innenstädte dieses Landes gefüllt – und die Titelseiten der Zeitungen. Als die Klimaschutzgruppe im vergangenen Monat anlässlich der Koalitionsverhandlungen wieder einmal zu deutschlandweiten Klimastreiks aufrief, bot sich ein ganz anderes Bild. Ausgerechnet im sonst so protestfreudigen Berlin fanden sich gerade einmal 200 fast einsam erscheinende Fahrraddemonstranten vor der SPD-Zentrale ein. Für Hauptstadtverhältnisse eher eine gemütliche Radtour-Gruppe als eine Demonstration.
Dabei liegt es keineswegs daran, dass die Klimabewegung, von der „Fridays for Future“ nur ein Teil ist, ihre Ziele erreicht hätte, im Gegenteil. Die Erde steht immer noch in Flammen. In Los Angeles verbrannte ihr kulturelles Herz, und am Amazonas glimmt ihre ökologische Lunge. Die Polarkappen schmelzen von Jahr zu Jahr schneller, und Jahrhunderthochwasser reißen inzwischen fast schon im Jahrestakt europäische Stadtzentren mit sich, wie zuletzt im Osten Spaniens. Und während in Bodensee und Rhein Schiffe auf dem Trockenen liegen, präsentiert die schwarz-rote Regierung einen Koalitionsvertrag, der in seinen Klimaschutzbemühungen eher rück- als fortschrittlich ist.
Die Klimabewegung geht den Weg so vieler Bewegungen zurzeit: Sie wurde im öffentlichen Diskurs zerrissen, und ihre Mitglieder wurden bis zur Inaktivität eingeschüchtert. Sie verlor ihr Momentum und zersplitterte sich in ideologischen Grabenkämpfen. Kurz: Sie ist gescheitert.
Zuversicht im Angesicht dieser Lage erscheint fast unmöglich. Und auch die Hoffnung, dass eine bessere Welt möglich ist, kommt einem manchmal wie reines Wunschdenken vor. Doch genau beides zu bewahren, Hoffnung und Zuversicht, ist essenziell, für den Kampf um gesellschaftliche Verbesserung: trotz aller Rückschläge nicht seine Ideale zu verlieren und das Vertrauen aufrechtzuerhalten, dass dieser Einsatz auch erfolgreich sein kann.

August 2018: Die damals 15-jährige Greta Thunberg „schwänzt“ die Schule, um vor dem schwedischen Parlament gegen die Klimapolitik ihres Landes zu demonstrieren. „Fridays for Future“ und damit die moderne Klimabewegung war geboren. Nicht mal ein halbes Jahr später spricht Thunberg auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos, weitere sieben Monate später vor den UN: „How dare you!“ – „Wie könnt ihr es wagen!“ Zu diesem Zeitpunkt gehen allein in Deutschland schon etwa eineinhalb Millionen Menschen zu Klimastreiks auf die Straße. Viele sehen ein neues Zeitalter hereinbrechen und rufen die Klimawende aus.
Die Zeichen stehen zunächst gut, vor allem in den vier Jahren nach Thunbergs erstem Klimastreik. Klimawissenschaftler tauchen vermehrt in Talkshows auf. Der US-Präsident Joe Biden, 2020 ins Amt gewählt, macht den Austritt aus dem Pariser Klimaabkommen rückgängig, den sein Vorgänger Donald Trump beschlossen hatte. Hierzulande schaffen es die Grünen 2021 in die Regierungskoalition.
Zeit für Zuversicht?
Mitnichten. Das Pariser 1,5-Grad-Ziel scheint, so die Daten des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung in Leipzig, wohl dauerhaft überschritten zu sein. Die USA sind wieder aus dem Klimaabkommen ausgetreten, und Präsident Trump hat mit seinem Slogan „Drill, Baby, drill“ – „Bohr, Baby, bohr“ – den Kurs für die kommenden Jahre gesetzt. Das Klima ist im Diskurs wieder zum Randaspekt geworden, nicht zuletzt, weil es von anderen Brennpunkten, zunächst von der Pandemie, dann von den Kriegen in der Ukraine und im Nahen Osten, dem Dahinsiechen der deutschen Industrie oder der erratischen, zunehmend faschistoiden US-Politik überlagert wurde. Und auch die idealistischen Hoffnungen, die Teile der Klimabewegung in die mitregierenden Grünen gesteckt hatten, entzauberten sich relativ schnell im Angesicht der gar nicht mal so grünen Realpolitik, wie etwa der Fixierung der Parteioberen auf Flüssiggas als Ersatz für die nach dem russischen Einmarsch in die Ukraine ausbleibenden Gaslieferungen aus dem Aggressorland.
Die Enttäuschung unter denen, die sich fürs Klima engagieren, ist groß. Klimademonstrationen kommen schon lange nicht mehr an ihre einstigen Ausmaße heran. Bündnisse und Organisationen zersplittern im Streit über die richtige Ideologie und Strategie. Den einen waren die demokratischen Appelle von „Fridays for Future“ an die parlamentarischen Vertreter zu lasch, den anderen war die Forderung nach Systemwechsel von antikapitalistischen Gruppierungen wie „System Change, not Climate Change!“ zu radikal. Die einen fanden die Straßenkleberei der „Letzten Generation“ zu performativ, die anderen die Braunkohlebaggerbesetzung von „Ende Gelände“ zu extrem. Die Bewegung hat ihr Momentum, ihre Einheit und damit auch ihre politische Wirkmacht verloren.

Vielleicht aber liegt genau in dieser Abfolge von voreilig euphorischer Zuversicht und bitterem Rollback der temporären Erfolge auch eine Gelegenheit, die eigene Naivität abzubauen und Illusionen über Geschwindigkeit und Reibungslosigkeit von gesellschaftlicher Veränderung loszuwerden.
Für die Bewegung gilt es also, eine selbstkritische Bestandsaufnahme zu machen und die Strategie anzupassen. So sagt selbst Luisa Neubauer im WDR, die Bewegung sei in eine Sackgasse geraten und der Blick nach vorn lasse einen manchmal verzweifeln. Viele Aktivisten haben, so Neubauer, ihren Fokus auf den Kampf gegen rechts verschoben, ein Schritt, den auch die „Letzte Generation“ nach ihrem Rebranding zur „Neuen Generation“ gegangen ist. Dabei werden sie sich vermutlich auch die Fragen gestellt haben: Warum hat die eigene Bewegung keinen Erfolg gehabt, wo andere ihn hatten? Welche Hürden gab es, und was kann man aus dem Scheitern lernen? Und welche Gemeinsamkeiten teilen der Klima-Rollback und andere gesellschaftliche Rückschritte?
Nun sollte nicht vergessen werden, dass progressiven Veränderungen stets langwierige Kämpfe voller Rückschläge gegen gesellschaftlich dominante Strukturen vorangegangen sind, die aus ihren ideologischen, politischen und ökonomischen Interessen heraus verhindern wollen, dass diese Verbesserungen eintreten. Zu erwarten, dass man in den nur sieben Jahren seit dem ersten „Skolstrejk för Klimatet“ einen so grundlegenden Umbau unserer Gesellschaft erreichen kann, erscheint jedenfalls aus heutiger Sicht naiv – ganz egal, wie richtig die Argumente und wie wichtig die Forderungen sein mögen.
Zugegeben, die Folgen der Klimakrise lassen es nicht zu, dass große Veränderungen erst nach Jahrzehnten eintreten. Bis dahin, muss man ja nach allen Erkenntnissen warnen, sind die Auswirkungen des Klimawandels schon so katastrophal, dass Landstriche unbewohnbar werden, ganze Ökosysteme kollabieren und Abermillionen Menschen davon betroffen sein werden. Die Frage bleibt: Was lässt sich dagegen tun?

Es lohnt sich, auf erfolgreiche Veränderungsprojekte der Gegenwart zu blicken. Im April 2018 wurde die Berliner Initiative „Deutsche Wohnen & Co Enteignen“ gestartet. Nach drei Jahren basisdemokratischem Klinkenputzen und bürokratischen Verhinderungstaktiken seitens des Senats konnte die Initiative bei der Berlin-Wahl 2021 einen Volksentscheid platzieren, der ambitioniert war. Die Berliner sollten wählen, ob gewinnorientierte Immobilienunternehmen mit mehr als 3000 Wohnungen im Stadtgebiet enteignet werden sollen, um der Mietpreiskrise Herr zu werden. 59,1 Prozent stimmten dafür.
Der neu gebildete Senat kündigte zwar an, ein „Vergesellschaftungsrahmengesetz“ zu erarbeiten, doch Stand Ende April 2025 hat diese Arbeit noch nicht begonnen. Die Aktivisten passten ihre Strategie an und sammelten erneut Gelder, um einen solchen Gesetzentwurf von einer Kanzlei für Verfassungsrecht selbst schreiben zu lassen. Dieser soll bei der kommenden Wahl 2026 den Berlinern in Form eines zur Übernahme verpflichtenden Gesetzesvolksentscheids vorgelegt werden.
Die „Deutsche Wohnen & Co Enteignen“ ist kleiner als die Klimabewegung. Aber die Grundprinzipien lassen sich übertragen. Es ist eine progressive Bürgerbewegung, die versucht, ihre Forderung gegen die – Achtung, böse Wörter – Interessen des Kapitals und einen Regierungsapparat, der diese über die Interessen der Bürger priorisiert, durchzusetzen. Der Volksentscheid war eine beachtliche Errungenschaft, zu dem es kam, weil die Berliner Initiative einiges richtig gemacht hat, von dem die Klimabewegung lernen kann.
Über sieben Jahre hinweg hat sie ihren Fokus behalten: ein übergeordnetes Ziel – Mieten bezahlbar machen – mit konkreten Maßnahmen – Volksentscheiden – erreichen. Auch wenn die Initiative ein breites Bündnis aus Akteuren allerlei politischer Hintergründe ist, konnten sie so verhindern, dass sich die Bewegung in unzählige Splittergruppen aufgeteilt hat.

Nun ist es moralisch nachvollziehbar, dass die Klimaaktivisten sich auch anderen aktuellen gesellschaftlichen Kämpfen, wie dem gegen rechts, widmen. Nicht zuletzt jedoch die Art, wie mit der Bewegung und ihren Errungenschaften verfahren wurde, macht diesen Fokuswechsel auch auf menschlicher Ebene mehr als verständlich. Denn, ja, solche Rückschläge sind schmerzhaft, die Widerstände im öffentlichen Diskurs zermürbend und die Repressionen einschüchternd. Das erleben progressive Bewegungen derzeit auch in den Kämpfen der US-Regierung gegen Diversitätsbestrebungen. Aber dennoch: Bei keinem anderen Thema derzeit ist es so dringlich wie beim Klima, dass weiter an Veränderung gearbeitet wird. Denn keine andere globale Problemlage ist eine so allumfassende Bedrohung für das – nicht nur – menschliche Leben auf diesem Planeten.
Klar, einer „Fridays for Future“-Demonstration beizuwohnen, ist nicht dasselbe wie der Widerstand gegen den Faschismus des vergangenen Jahrhunderts – und auch mitunter gewaltsames Vorgehen der Sicherheitskräfte gegen die Besetzung eines Braunkohletagebaus kommt bei Weitem nicht an die damaligen Schrecken heran. Aber aus den Erfahrungen der Kämpfer von damals lässt sich gleichwohl Grundlegendes ziehen.
Der Philosoph und Gründer der Kommunistischen Partei Italiens etwa, Antonio Gramsci, schrieb 1939 während seiner Zeit in den Gefängnissen der italienischen Faschisten: „Man muss nüchterne, geduldige Menschen schaffen, die nicht verzweifeln angesichts der schlimmsten Schrecken und sich nicht an jeder Dummheit begeistern. Pessimismus des Verstandes, Optimismus des Willens.“ Es gilt also, so Gramsci, mit einem desillusionierten Realismus auf die Welt zu blicken, die herrschenden Interessen in ihrer Feindseligkeit und deren Folgen in ihrer Grausamkeit zu begreifen. Und genau deswegen den Kampf weiterzuführen, um diese Welt zu verbessern. Denn von allein wird sie es nicht tun.