Buchempfehlungen

Die Besten der Besten

Schriftstellerinnen und Intellektuelle beantworten die Frage: Welches Buch war für Sie im Jahr 2023 besonders wichtig?

28. Dezember 2023 - 19 Min. Lesezeit

Nell Zink, Schriftstellerin 

Aus gegebenem Anlass nahm ich Bertha von Suttners „Die Waffen nieder!“ in einem Antiquariat in die Hand. Empfohlen hatte es mir keiner, denn in meinem Bekanntenkreis hat es niemand gelesen. Auch die Freundin, die im Rahmen des Tübinger Sonderforschungsbereichs „Kriegserfahrungen“ promoviert wurde, vermutete Sentimentales, vermischt mit überholten Kriegsgräueln.

Ich aber bin mit der Zeit zur Überzeugung gelangt, dass Bücher, die mir sympathisch sind, ausgerechnet aufgrund ihrer links-kritischen Inhalte von niemand gelesen werden, beziehungsweise dass reaktionäre Bücher ausgerechnet aufgrund ihrer geistigen Passivität supergut ankommen. Am meisten schätzt man Werke, die die Einsamkeit der Existenz aufheben; Bücher voller Gedanken also, die die eigenen sein könnten. Und eventuell wird diese Bedingung für die meisten wirklich besser durch Houellebecqs „Unterwerfung“ als durch Tolstois „Auferstehung“ erfüllt.

Die Menschheit lässt zu wünschen übrig. Ich aber nicht! So finde ich Dos Passos tausendmal besser als Céline, so woke das auch klingen mag. Eine rigoros ethisch-ästhetische Empfindsamkeit wird aus meiner Sicht unterbewertet. Also las ich los und stellte fest, dass Suttner die Romanform ausgezeichnet beherrscht.

Die Handlung geht so: Kurz nach Abschluss des Liederzyklus’ verliebt sich die Ich-Erzählerin aus Schumanns „Frauenliebe und -leben“ (so ungefähr kommt sie rüber) in einen desillusionierten preußischen Offizier, der ihre Kriegsgegnerschaft teilt. Danach wird diskutiert wie bei Turgenjew oder Dostojewski. Aus ihrem Leben wird ein leidenschaftliches Plädoyer für die Sinnlichkeit. „Ihr dürft von euren Liebesfreuden nichts berichten; wir nichts von unseren Kriegsleiden“, beschwert sich einmal der Preuße. Nach und nach verlangt das Liebespaar internationale Schiedsgerichte, eine universitäre Friedenswissenschaft et cetera pp. Das Buch erschien 1889. Inzwischen haben wir immerhin die EU.

Berta von Suttner: Die Waffen nieder! Petersberg, Königswinter 2022. 399. Seiten, 9,95 Euro.
Berta von Suttner: Die Waffen nieder! Petersberg, Königswinter 2022. 399. Seiten, 9,95 Euro.

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Schriftstellerinnen und Intellektuelle beantworten die Frage: Welches Buch war für Sie im Jahr 2023 besonders wichtig?

Nell Zink, Schriftstellerin 

Aus gegebenem Anlass nahm ich Bertha von Suttners „Die Waffen nieder!“ in einem Antiquariat in die Hand. Empfohlen hatte es mir keiner, denn in meinem Bekanntenkreis hat es niemand gelesen. Auch die Freundin, die im Rahmen des Tübinger Sonderforschungsbereichs „Kriegserfahrungen“ promoviert wurde, vermutete Sentimentales, vermischt mit überholten Kriegsgräueln.

Ich aber bin mit der Zeit zur Überzeugung gelangt, dass Bücher, die mir sympathisch sind, ausgerechnet aufgrund ihrer links-kritischen Inhalte von niemand gelesen werden, beziehungsweise dass reaktionäre Bücher ausgerechnet aufgrund ihrer geistigen Passivität supergut ankommen. Am meisten schätzt man Werke, die die Einsamkeit der Existenz aufheben; Bücher voller Gedanken also, die die eigenen sein könnten. Und eventuell wird diese Bedingung für die meisten wirklich besser durch Houellebecqs „Unterwerfung“ als durch Tolstois „Auferstehung“ erfüllt.

Die Menschheit lässt zu wünschen übrig. Ich aber nicht! So finde ich Dos Passos tausendmal besser als Céline, so woke das auch klingen mag. Eine rigoros ethisch-ästhetische Empfindsamkeit wird aus meiner Sicht unterbewertet. Also las ich los und stellte fest, dass Suttner die Romanform ausgezeichnet beherrscht.

Die Handlung geht so: Kurz nach Abschluss des Liederzyklus’ verliebt sich die Ich-Erzählerin aus Schumanns „Frauenliebe und -leben“ (so ungefähr kommt sie rüber) in einen desillusionierten preußischen Offizier, der ihre Kriegsgegnerschaft teilt. Danach wird diskutiert wie bei Turgenjew oder Dostojewski. Aus ihrem Leben wird ein leidenschaftliches Plädoyer für die Sinnlichkeit. „Ihr dürft von euren Liebesfreuden nichts berichten; wir nichts von unseren Kriegsleiden“, beschwert sich einmal der Preuße. Nach und nach verlangt das Liebespaar internationale Schiedsgerichte, eine universitäre Friedenswissenschaft et cetera pp. Das Buch erschien 1889. Inzwischen haben wir immerhin die EU.

Berta von Suttner: Die Waffen nieder! Petersberg, Königswinter 2022. 399. Seiten, 9,95 Euro.
Berta von Suttner: Die Waffen nieder! Petersberg, Königswinter 2022. 399. Seiten, 9,95 Euro.