Im Format Große Geschichte leben bedeutende Reportagen aus sieben Jahrzehnten SZ-Journalismus wieder auf. 2004 berichtete Hans Holzhaider aus dem Amtsgericht Nürnberg vom Verfahren um Tatjana Gsell, nachdem ihr damaliger Mann Franz Gsell 2003 an den Folgen eines Überfalls ums Leben kam. Die Rechtschreibung entspricht der Entstehungszeit.
Nürnberg, 28. Juli – Am letzten Samstag rührte Tatjana Gsell, 33, auf einer Alm in Südtirol im Auftrag des bekannten Volksbildungskanals Pro Sieben in einem hölzernen Zuber selbst gesammelte Kuhscheiße an, um anschließend ihre Füße in dem grünlich-braunen Brei zu baden, am Montagfrüh um neun saß sie wieder mit einem Make-up, das mindestens eine Stunde konzentrierter Arbeit erfordert, zwischen ihren Anwälten Alexander Seifert und Steffen Ufer im karg möblierten Gerichtsaal 116 im Ostbau des Nürnberger Justizgebäudes, wo sie sich vor der Amtsrichterin Ute Kusch wegen versuchten Versicherungsbetrugs und Vortäuschens einer Straftat verantworten muss. Das sind so die Pole, zwischen denen sich das Leben der Tatjana Gsell derzeit abspielt. Ist das vielleicht eine unangemessen lockere Betrachtungsweise? Ist hier nicht mehr Ernsthaftigkeit angesagt, wo doch bei der Sache, über die verhandelt wird, immerhin ein Mensch zu Tode kam?