Noch ein bisschen größer, das geht immer in der Mode. Jede Fashion Week funktioniert aufs Neue nach dem Prinzip der Überwältigung, ausgenommen die kargen Corona-Saisons natürlich, deren Erinnerung schon so blass ist wie ein Stück ausgebleichter Sommerstoff. Es wird geglänzt, gefeiert, sich überboten wie früher an den Stationen New York, Paris und Mailand, dazu immer öfter bei Gastspielen in Seoul oder Mumbai.
Und dann gibt es alle Jubeljahre die Ereignisse, die noch mal in ganz anderen Dimensionen auf jede Norm pfeifen.
Ein bisschen mehr, un petit peu? Nicht für die mächtigste Luxusmarke der Welt, nicht an einem Juniabend in Paris, wunschgemäß regenlos, nicht beim erhitzt erwarteten Debüt des Jahres:
Zusätzlich befeuert wurde die Aufregung durch die Tatsache, dass Williams eigentlich kein Designer, sondern Musiker ist, was andererseits auch für seinen Vorgänger Virgil Abloh galt, der die Marke bis zu seinem Tod 2021 in neue Höhen führte, welche es nun zu überflügeln gilt – kurz gesagt: Großes Flattern in der Modewelt am Dienstagabend. Und selbst in der magischen Stadt Paris braucht es für so einen Auftritt einen besonders magischen Ort, zwischen Fluss, Himmel und Erde am besten.
Wer sich entschieden hatte, es müsse genügen, dem Ereignis aus der Ferne live am Bildschirm beizuwohnen (was natürlich die falsche Entscheidung war), starrte eine Dreiviertelstunde auf ein schwach flimmerndes Quadratmuster mit dem aus Covid-Zeiten vertrauten Schriftzug „The show will begin shortly“. Währenddessen wurden die Ehrengäste in der Front Row platziert, Kim Kardashian, Jared Leto, Zendaya im Glitzerzweiteiler, Bürgermeisterin Anne Hidalgo als Hausherrin der gekaperten, mit güldenem Teppich ausgelegten Brücke. Beyoncé in Goldgelb mit Jay-Z, Rihanna mit Babybauch und Asap Rocky.
Mehr Prominenz geht nicht (die Obamas hatten angeblich abgesagt), am Klavier saß Lang Lang, dazu ein großes Orchester, der Gospelchor postierte sich.
Damit war klar: Zum reinen Streetwear-Label wird die Maison Louis Vuitton unter dem Rapper und Produzenten Pharrell Williams, früher bekannt als Skateboard P, nicht werden.
Auch wenn es Zweifel gab an seiner Berufung: Der 50-Jährige aus Virginia Beach, seit seinem hypnotischen Song „Happy“ von 2014 einer der Großen im Musikgeschäft, ist kein vollkommener Mode-Neuling. Er lancierte eine erfolgreiche Sonnenbrillen-Linie mit Marc Jacobs, hat für Moncler entworfen und mit Karl Lagerfeld 2019 eine Capsule Collection für Chanel vorgelegt.
Aber an hoher Schneiderkunst versuchte sich Williams, ganz der sich seiner Grenzen bewusste Quereinsteiger, gar nicht erst.
Er sei eben ein Modedesigner, hat er vor ein paar Tagen in einer Mischung aus Trotz und Mäßigung der New York Times erklärt, „aus dem Blickwinkel des Konsumenten“. Dass das mit demokratischer Mode nicht viel zu tun hat, ist klar, schließlich nahm er einen Job bei einem Luxuskonzern an. Aber auch wenn er nicht am Central Saint Martins studiert habe, der berühmten Hochschule in London: „I definitely went to the shops and purchased“, er sei einkaufen gegangen und wisse, was ankommt. Es geht an diesem Abend also um Entwürfe, die möglichst vielen Kunden möglichst gut gefallen sollen, was in der Mode ein legitimes, aber eher selten ehrlich ausgesprochenes Ziel ist.
Konkret bedeutet das bei zwanzig Minuten Laufsteg-Schau: Was zählt, sind einprägsame Looks. Allgegenwärtig das Monogramm LV, das Williams mit dem Wort lovers zum weltumspannenden Logo LVers umgewandelt hat, es prangte auf Schlangenlederjacken oder einem nerzfarbenen Rich-Kids-Pelz. Garantiert massentauglich auch sein Twist für den ehrwürdigen Damier-Print, Louis Vuittons Version des Schachbrettmusters stammt tief aus dem Hausarchiv.
Williams nennt das „Damoflage“ und nahm damit schon mal, sehr geschickt, die mit „Minecraft“ aufgewachsene Jungkundschaft von morgen ins Visier. Routiniert eingestreute Accessoires schließlich – Cargobags, Koffer, Perlmutt-Sonnenbrillen – sind hier sowieso Pflichtprogramm jedes Kreativdirektors. Wobei es in diesem Fall fast wie ein ironischer Kommentar auf die Taschenversessenheit seiner Klientel wirkte, als Williams einen stoischen Trolley-Fahrer über den Runway schickte, der in dem Wägelchen mit Gummireifen die neuesten Modelle über den brückenlangen Teppich kutschierte.
Bleibt die Frage: Was soll noch schiefgehen an den Louis-Vuitton-Kassen? Pietro Beccari, Anfang des Jahres neu installierter CEO, dürfte zufrieden sein mit dem Resultat seines Novizen. „We started small“, beliebte der Italiener zu scherzen nach der Pont-Neuf-Schau, die Machtdemonstration nicht nur einer Marke, sondern schwarzer Kultur war – und zwar mitten im Herz des alten, weißen, elitären Europa, wie der Musikkritiker Jon Caramanica schrieb. Ohne diese Einschätzung zu schmälern: Die schwangere Rihanna als Star der aktuellen LV-Kampagne, der Auftritt der Gospel-Formation „Voices Of Fire“, weltweit bekannt durch eine erfolgreiche Netflix-Dokumentation – es war schon auch ein sehr präzise orchestrierter Auftritt.
Beccari jedenfalls gilt als harter Gewinnmaximierer und hat sich selbst mal als „calvinista“ bezeichnet: Keine halben Sachen. Das sieht Pharrell Williams genauso.
Ach ja, es folgte noch ein kleines Jay-Z-Konzert. Und, man sollte es erwähnen, am Tag danach legte die Paris Fashion Week Men’s richtig los. Auch wenn sie eigentlich gelaufen war.