Nationalpark Bayerischer Wald

Mehr als eine Tierschau für Touristen

Das Freigehege am Lusen ist wie ein Zoo, nur größer und wilder. Die Tiere haben so viel Platz, dass Besucher manche gar nicht zu Gesicht bekommen. Trotzdem lohnt für Fotografen die Anreise aus ganz Europa.

Nationalpark Bayerischer Wald

Mehr als eine Tierschau für Touristen

Das Freigehege am Lusen ist wie ein Zoo, nur größer und wilder. Die Tiere haben so viel Platz, dass Besucher manche gar nicht zu Gesicht bekommen. Trotzdem lohnt für Fotografen die Anreise aus ganz Europa.

2. Dezember 2024 - 5 Min. Lesezeit

Es ist noch früh am Morgen, als Christoph Wagner in sein Dienstauto steigt, um das Frühstück auszufahren. Der Kofferraum ist gut gefüllt mit Lieblingsspeisen: Für die Vegetarier unter seiner Kundschaft stehen heute geriebene Karotten mit Apfel und Schnittlauch-Topping auf dem Speiseplan, außerdem der ein oder andere Salat.

Für die Fleischfresser hat der Tierpfleger Menüs aus Maden, Küken, zerkleinerten Wachteln und Eiern zubereitet.

Ein paar tote Ratten aus eigener Zucht gibt es obendrauf. Wagner betreibt einen sehr speziellen Lieferdienst. Er holpert mit dem Geländewagen durch den Nationalpark Bayerischer Wald, um die Bewohner des Tierfreigeheges in Neuschönau am Lusen zu versorgen. Einen halben Arbeitstag dauert die Rundfahrt, die bei den Vögeln beginnt und bei den Elchen endet.

Manche seiner Kunden warten schon auf Wagner, was aber nicht heißt, dass er immer willkommen ist. Das Temperament der Habichtskäuze zum Beispiel kann stark schwanken: Wenn er sie während der Balz- oder Brutzeit mal einfangen muss, tragen Wagner und seine Kollegen einen Motorradhelm. „Die greifen mit den Füßen an“, weiß er.

Heute aber sitzt der Habichtskauz verschlafen in einer Ecke der Voliere.

Er beobachtet, wie der Zimmerservice Kot zusammenrecht und Futter verteilt.

Heute aber sitzt der Habichtskauz verschlafen in einer Ecke der Voliere.

Er beobachtet, wie der Zimmerservice Kot zusammenrecht und Futter verteilt.

Noch ist Wagner ganz alleine mit seinen Tieren, doch der Herbsthimmel wölbt sich blau über dem Nationalpark Bayerischer Wald - ideales Ausflugswetter. Es dauert nicht lange, dann füllt sich der Parkplatz in Neuschönau mit Fahrzeugen aus ganz Deutschland und Tschechien. Schätzungsweise 20 0000 Besucher lockt das Tierfreigehege pro Jahr an, damit zählt es zu den großen Touristenattraktionen in Ostbayern.

„Es ist der Magnet schlechthin“, sagt Marco Heurich, Professor für Wildtierökologie und Naturschutzbiologie an der Uni Freiburg. Er leitet seit zwei Jahren das große Gehege in Neuschönau und das kleinere am Falkenstein, außerdem kümmert er sich noch um das Wildtier-Monitoring im Nationalpark. Denn die meisten der gut 40 einheimischen Tierarten, die allein in Neuschönau am Lusen gehalten werden, haben frei lebende Verwandte in der Gegend - etwa die Wölfe, die ihren beiden gefangenen Artgenossen schon mal einen Besuch am Zaun abstatten.

„Einzigartig“ findet Heurich das Tierfreigehege. Von den vielen Zoos und Parks unterscheidet es sich allein schon durch seine Fläche von 200 Hektar. Wer es auf dem sieben Kilometer langen Pfad durchwandern will, muss sich mehrere Stunden Zeit nehmen und hat keine Garantie, dass er alle Tiere zu sehen bekommt:

Die Wisente zum Beispiel verteilen sich auf einem 14 Hektar großen Gelände, wo sie zwischen den Bäumen oft nur schwer auszumachen sind.

Naturfotografen frustet und reizt das zugleich. Sie reisen aus ganz Europa nach Neuschönau zum Nationalparkzentrum, um mit ihren kiloschweren Teleobjektiven Aufnahmen von den Stars zu machen: Bären, Luchse und Wölfe bekommt man sonst selten ohne störende Gitter oder Zäune zu sehen.

Der Luchs in der Sonne auf seinem Felsen - ein Bayerwald-Klassiker.

Der Luchs in der Sonne auf seinem Felsen - ein Bayerwald-Klassiker.

Wenn es bei den Bären Nachwuchs gibt, drängen sich die Fotofans an den besten Plätzen. Manche bleiben gleich ein oder zwei Wochen, erzählt Heurich. Wie der Mann aus Ungarn etwa, der den Tieren im dicken Tarnanzug aufgelauert hat und seine Fotos dann stolz auf Facebook postete. Die besten Chancen bieten sich den Beobachtern morgens und abends.

An diesem Vormittag allerdings steht eine Fotogruppe aus Deutschland schon eine Stunde vergeblich mit ihren Stativen herum.

Die beiden Wölfe wollen sich einfach nicht zeigen. Sie streifen am anderen Ende des Geheges umher, unerreichbar für die Kameras der Besucher.

Die Braunbären Luna und Benni hingegen sind weniger publikumsscheu, zumindest wenn das Auto von Christoph Wagner in Sicht kommt.

Sie warten schon am Zaun auf ihn und seine Honigwaben, die er auf eine Stange steckt und durchs Gitter reicht.

An diesem Vormittag allerdings steht eine Fotogruppe aus Deutschland schon eine Stunde vergeblich mit ihren Stativen herum.

Die beiden Wölfe wollen sich einfach nicht zeigen. Sie streifen am anderen Ende des Geheges umher, unerreichbar für die Kameras der Besucher.

Die Braunbären Luna und Benni hingegen sind weniger publikumsscheu, zumindest wenn das Auto von Christoph Wagner in Sicht kommt.

Sie warten schon am Zaun auf ihn und seine Honigwaben, die er auf eine Stange steckt und durchs Gitter reicht.

Im kommenden Jahr dürfen sie in ein neues Bärenhaus einziehen, das gerade gebaut wird. Davor aber werden sie ein paar Wochen Winterschlaf halten, für den sie sich eine dicke Speckschicht angefressen haben.

Es geht weiter mit der Essensausgabe.

Der Baummarder schießt hungrig durchs Gehege, er darf sich sein Ei aus einer Astgabel und anderen Verstecken holen.

Auerhahn, Birkhuhn, Wespenbussard, Ringeltaube - alle bekommen ihre Spezialdiät. Die Wildkatze dagegen wirkt von der Ratte, die ihr vor der Höhle serviert wird, wenig begeistert. Wagner macht sich Sorgen um sie, weil sie kaum frisst und trotzdem unter Übergewicht leidet.

Die Tierärztin hat ihr Blut abgezapft, was der Katze genau fehlt, ist zunächst unklar. Ein paar Wochen später aber wird sie genesen.

Am Schluss kommen die Elche dran, Wagners Lieblingstiere. „Die sind so umgänglich“, schwärmt er. Eine kranke Elchkuh kam sogar mal freiwillig jeden Tag an den Zaun, um sich ihre Spritze abzuholen. Was die Ernährung betrifft, sind Elche allerdings Sensibelchen:

Sie vertragen nur Laub und Äste, aber kein Gras, weshalb Wagner sie mit speziellem Lucerneheu an ihre Futterboxen lockt.

Die Tierärztin hat ihr Blut abgezapft, was der Katze genau fehlt, ist zunächst unklar. Ein paar Wochen später aber wird sie genesen.

Am Schluss kommen die Elche dran, Wagners Lieblingstiere. „Die sind so umgänglich“, schwärmt er. Eine kranke Elchkuh kam sogar mal freiwillig jeden Tag an den Zaun, um sich ihre Spritze abzuholen. Was die Ernährung betrifft, sind Elche allerdings Sensibelchen:

Sie vertragen nur Laub und Äste, aber kein Gras, weshalb Wagner sie mit speziellem Lucerneheu an ihre Futterboxen lockt.

Das Freigehege in Neuschönau ist freilich mehr als eine reine Tierschau für Touristen. Zum Auftrag des Nationalparks gehören die Umweltbildung, aber auch die Kooperation bei Wiederansiedlungsprojekten: Przewalski-Urpferde aus dem Bayerischen Wald durchstreifen seit einigen Jahren wieder ihre angestammte Heimat in den Steppen Kasachstans. Wisente wurden ins Rothaargebirge geliefert, Luchse in den Harz, Habichtskäuze in den Steinwald.

Wildtiere wandern wieder ein

Heurich freut sich darüber, dass auch im Nationalpark viele Wildtiere wieder einwandern, ganz ohne menschliches Zutun: Wölfe, Kraniche, Bekassinen, Wildkatzen - sie alle haben hier wieder ihre Heimat gefunden. Den Bestand an Luchsen beziffert Heurich inzwischen auf 18 erwachsene Tiere und zahlreiche Jungtiere. Wer viel Glück hat, kann sie sogar außerhalb des Freigeheges beobachten, wie die Besuchergruppe aus der Mongolei, mit der Heurich im Nationalpark unterwegs war: Sie erspähten tagsüber eine Luchsmutter mit ihren drei Jungen. Vor ein paar Jahren noch wäre das ein Sechser im Lotto gewesen. Jetzt ist es nur noch ein Fünfer.

Am Mittag kehrt Christoph Wagner zum Betriebshof zurück, wo der Nationalpark auch noch eine Auffangstation für Wildtiere betreibt.

Ein kurzer Kontrollblick auf den jungen Sperlingskauz, der sich ganz hinten in einer dunklen Kunststoffbox versteckt: Er fiel im Wald entkräftet von einem Baum - und zu seinem Glück dem Tierpfleger Wagner direkt vor die Füße. In der Auffangstation wird er nun aufgepäppelt und dann wieder entlassen.

Den Nachmittag verbringt Wagner mit Papierkram im Büro, nach der Arbeit fährt er heim nach Mauth. Dort geht es gleich weiter im Familienzoo: Er und seine Frau halten Pferde, Esel, Schneeeulen, Tauben und Fasane. Für sich, sagt er, könne er sich kein anderes Leben vorstellen als das mit Tieren.

Text, Fotos & Storytelling: Sebastian Beck; Redaktion Storytelling: Katja Schnitzler

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.