Schon klar, es gäbe graduell originellere Vorschläge: Ein Nürnberg-Wochenende auf der – Tusch jetzt – Kaiserburg beginnen?
Das ist in etwa so wie jene „Insidertipps“ aus Reiseführern, in denen einem die Aussichtsplattform auf der Elbphilharmonie hin geraunt wird. Apropos: Man bekommt hier wie dort einen verdammt guten Überblick. Von der Elphi genauso wie von der, nein, nicht „Kaisi“ (Kaiser funktionieren nicht als Verniedlichung).
Es geht aber auf der Nürnberger Burg, diesem deutschen Denkmal, nicht primär um den schönen Blick.
Es geht vor allem um eine Art historisches Verständnis-Panorama: Kaiser, Dürer, „Führer“, Industriegeschichte, Nachbargroßstädte (Erlangen, Fürth) – alles gleich vor Augen. Es geht also darum, über den Dächern einen Eindruck davon zu bekommen, warum man die Stadt Nürnberg mentalitätsgeschichtlich wohl am ehesten mit Wien vergleichen kann. Zumindest in einem entscheidenden Punkt.
Wien, im Ernst? Da gibt es erhebliche Unterschiede, keine Frage. Aber es gibt auch das eine Gemeinsame, das diese beiden Städte verbindet. Es besteht in dem krassen Gefälle zwischen historischer und aktueller Bedeutung. Wien und Nürnberg, das waren mal extrem wirkmächtige Städte in Europa. Was im kollektiven Bewusstsein der Einheimischen selbstredend nachwirkt.
Heute aber, nach massiven Geschichts-Brüchen? Macht man sich über beide gerne mal lustig. Was wiederum die Nürnberger längst selbst kultivieren. Mindestens, wenn es um ihren großen, ebenso fast ausschließlich historisch bedeutsamen Fußballverein geht („Der Club is a Depp“). Dessen Stadion sieht man von dort oben, natürlich.
Es steht auf dem ehemaligen Reichsparteitagsgelände, auf demselben Areal also wie die bekannten Nazi-Monsterhinterlassenschaften: die Zeppelintribüne und das Kongresshallen-Torso.
Die sich wiederum dort wohl nicht finden ließen, wenn sich vom ehemaligen Reichsparteitagsgelände nicht ein imposanter Blick auf die Kaiserburg auftun würde – die angebliche Imperatoren-Verbindung vom „Ersten“ zum „Dritten“ Reich wollten die Nazis für ihre Parteitage propagandistisch ausschlachten.
Auch wenn man kein notorischer Ausstellungsgänger ist, für die sollte man ein Billett kaufen. Was Nürnberg für Kaiser und Reich bedeutet hat, wird einem dort klar.
Überdies werden Besucher, dies speziell für Instagram-Interessenten, mit einem der schönsten Blicke auf Nürnbergs Fachwerk-Hotspot schlechthin belohnt: den Tiergärtnertor-Platz.
Ehe man dorthin aufbricht, hier noch ein kurzer Servicehinweis: Sie haben noch nie in Erwägung gezogen, in einer Jugendherberge zu nächtigen? In Nürnberg könnte man sich das mal überlegen.
Die ehemalige Kaiserstallung, für viele der imposanteste Bau der Burganlage, bietet auf neun Stockwerken zwar überschaubaren Luxus – eine (wenn auch top hergerichtete) Jugendherberge eben.
Nicht zuletzt für den Blick aus der riesenhaften Dachkonstruktion übers nächtliche Nürnberg aber sollten zumindest Familien eine Buchung dort in Betracht ziehen.
Und noch ein Hinweis vor dem Verlassen der Festungsanlage: Das Burgcafé backt einen der besten Kuchen der Stadt. Beim Genießen dürfte man sogar mal den amtierenden Ministerpräsidenten in den besonderen Dank einschließen. Der hatte sich einst wutschnaubend darüber beschwert, dass man auf der – lange stiefmütterlich behandelten – Kaiserburg „nicht mal einen Kaffee trinken“ könne. Nachdem er Finanzminister wurde, änderte sich das. Was soll man sagen? Hat sich gelohnt.
In Letzterer bitte Taschentuch bereithalten: So würde es in Nürnberg noch ausschauen, hätte es die Bombennächte des Zweiten Weltkriegs nicht gegeben.
Kunsthistorisch kickte die Stadt einst in der Liga von Venedig. Tempi passati, klar. Aber in der Weißgerbergasse ahnt man noch etwas davon.
Wer einen Sinn für Würste in Theorie und Praxis hat, besucht das Bratwurstmuseum.
Und was wurde eigentlich aus dem Neubau, über den in den vergangenen Jahren so viel Kontroverses in der Zeitung gestanden hat? Das erfährt man bei einem Besuch des Deutschen Museums („Zukunftsmuseum“) im Augustinerhof.
Letzte Pflichtstation am ersten Nürnberg-Tag: der Schöne Brunnen, mit seinem nahtlos ins eiserne Gitter eingeschmiedeten Messingring, um den sich allerlei Sagen ranken.
Freunde von Touristenritualen drehen dort am Ring und wünschen sich was. Schamhaftere zücken das Handy und fotografieren Touristen, wie die am Ring drehen.
Je nach Tageszeit müssen danach bereits lokale Spezialitäten in einem der absolut nicht zu übersehenden Wurstlokale genossen werden („Bratwursthäusle“, „Bratwurst Röslein“, diverse andere).
Oder erst später, nach dem Besuch im Germanischen Nationalmuseum.
Beide Häuser lohnen übrigens auch ohne Museumseintritt – also gewissermaßen rein äußerlich.
Der zweite Tag wird weniger launig, das gehört aber zu Nürnberg. Natürlich muss man das Ex-NS-Gelände besuchen. Das ist zwar dieser Tage und noch für sehr lange Großbaustelle. Was aber nur bedeutet, dass man dieser Stadt eines ganz sicher nicht (mehr) nachsagen kann: dass sie sich nicht ums schwere Erbe ihrer Historie kümmern würde.
Das Dokuzentrum Reichsparteitagsgelände? Baustelle, muss erweitert werden, weil sich viel mehr Besucher für das Thema interessieren als ursprünglich gedacht.
Kann man sich das Gelände also sparen? Eher nicht, nein. Das Areal dürfte nicht zuletzt dieser Baustellen wegen eines der spannenderen der Republik sein derzeit.
Seine Baustellenzeit gerade hinter sich hat das Memorium Nürnberger Prozesse, etwa fünf Kilometer vom früheren Reichsparteitagsgelände entfernt. Zu sehen sind dort etwa Teile der Anklagebank aus den Nürnberger Prozessen.
Im Saal 600, wo sich Göring und Konsorten verantworten mussten, wurden noch bis ins Jahr 2020 Kapitalverbrechen in Mittelfranken verhandelt.
Inzwischen wird der Saal nur noch als Museum genutzt. Wenn das Wort „Weltgeschichte“ einen Sinn ergeben soll – dann wurde die genau dort geschrieben. Und ja: Glaubt man zu spüren.
Sie verspüren überhaupt keinen Drang, einen sonnigen Tag auf dem Ex-Reichsparteitagsgelände oder im Memorium zu verbringen – wollen daheim aber erzählerisch nicht doof dastehen und der historischen Bedeutung dieser Stadt gerecht werden? Kein Problem.
Der Tiergarten Nürnberg gehört zu den größten der Republik und bietet ebenfalls historisches Erzähl-Potenzial.
Der Zoo war ursprünglich nämlich nicht im Osten, sondern im Süden der Stadt beheimatet, am Dutzendteich. Erst die Nazis haben ihn umgesiedelt. Sie hatten für das Areal anderes im Sinn: genau, ihr Reichsparteitagsgelände.
Übernachtungs-Tipps
Mit Nürnberg-Charme: Drei Raben oder Victoria
Mit Sinn für Design: Karl August
Mit formidablem Nacht-Barblick: Cloud One
Klassisch: Grand Hotel
Schlafen in der Ex-Kaiserstallung: Jugendherberge Nürnberg