Klimawandel

Ewiges Eis, ade

Forscher der Universität Eichstätt vermessen die Alpen und ihre Gletscher aus der Luft - und machen den Klimawandel sichtbar. 

5 Minuten Lesezeit

Von Maximilian Gerl und Anton Brandl (Fotos)

Die Sicherheitseinweisung ist kurz. Nur ein paar Wolken hängen am Morgen über Thüringerberg im österreichischen Vorarlberg. Der Helikopter steht vor dem Hangar bereit.

Vorne ragt eine Metallstange hervor, an ihrer Spitze sind ein Laserscanner und zwei Kameras befestigt. Hinten wartet der Heckrotor. „Wenn du da hinkommst,“ sagt Pilot Gisbert Strolz, „ist’s nicht so gut.“ Geograf Florian Haas prüft ein letztes Mal die Kabel, die sich von der Messanlage ins Cockpit winden. 

Zeit zum Abheben. Zeit, dorthin zu fliegen, wo der Klimawandel längst sichtbar ist.

Drei Stunden werden Haas und Strolz in der Luft verbringen. Aus der Vogelperspektive wollen sie die Alpen vermessen und das, was übrig ist vom vermeintlich ewigen Eis.

Der Flug ist Teil eines deutsch-österreichischen Forschungsprojekts, das von der Katholischen Universität Eichstätt koordiniert wird. Denn der Klimawandel wird die Bergwelt verändern; die Frage ist nur, wie. Genau das wollen Wissenschaftler nun herausfinden.

Der Helikopter vibriert, als er sich in die Höhe hebt. Vorarlberg wird klein. Spielzeugzüge rauschen durch die Landschaft. Weiter im Osten, in Tirol, verschwindet das Inntal unter einer Wolkendecke, einzig durchstoßen vom Dreieck des Tschirgant. Strolz, Jahrgang 1968, fliegt für eine Helikopterfirma, mal Touristen, mal Baumaterial. Haas – Jahrgang 1971, zusammengebundene Haare, Bändchen am Handgelenk – leitet die Messung. Ähnliche Flüge hat er unter anderem im Libanon und über der Donau übernommen. Als einmal die Geräte streikten, ließ er sich kurzerhand selbst mit der Kamera an die Kufen binden. Er erzählt es so, als sei das nichts Besonderes.

Dramatischer Gletscherschwund in den Alpen

Eine Minute Fliegen kostet 37 Euro. Anhand der Tankanzeige lässt sich verfolgen, wie Forschungsgeld verrinnt. Die Vermessung ist Teil des Projekts Sehag, das steht für „Sensitivität hochalpiner Geosysteme gegenüber dem Klimawandel ab 1850“. Fünf Hochschulen sind beteiligt, mehr als zwei Millionen Euro hat ihnen die Deutsche Forschungsgemeinschaft für den Anfang bewilligt. Michael Becht ist Projektsprecher und Professor für Physische Geografie in Eichstätt. Der Lehrstuhl, an dem auch Haas beschäftigt ist, forscht zu Umweltprozessen – vom Einfluss des Mikroplastiks auf Ökosysteme bis hin zu Gefahren durch eine Gletscherschmelze. 

„Dass es den Klimawandel gibt, weiß man“, sagt Becht. „Jeder, der sehen will, kann ihn sehen.“ Der Gletscherschwund in den Alpen sei dramatisch. Seine Auswirkungen aber auch zu quantifizieren, sei schwierig. Zu wenige Daten. So gesehen betreiben die Eichstätter Grundlagenforschung. Drei Täler wollen sie fotografisch aufnehmen und mit Laserscannern vermessen. Später werden daraus 3-D-Modelle der Täler entstehen. Die Daten können die Forscher außerdem mit aktuellen und historischen Fotos vergleichen. 

Bis ins Jahr 1850 wollen sie so zurückgehen und Veränderungen sicht- und messbar machen. Das können sich dann Klimatologen in Bremen zunutze machen, um ihre Prognosemodelle zu verfeinern. Oder Biologen in Innsbruck und Hydrologen in München, um den Einfluss des Klimawandels auf Pflanzen und Flüsse besser zu verstehen. „Lernen aus der Vergangenheit für die Zukunft“, sagt Becht.

Der Flug führt Haas und Strolz ins Horlachtal, ein Seitental des Kaunertals. Der Eingang liegt über dem Stuibenfall, ein bei Touristen beliebtes Wasserspektakel. Haas interessiert sich für ein Gebiet von rund 60 Quadratkilometern am Ende des Tals, oberhalb der Ortschaft Niederthai.

Die Gipfel ragen bis zu 3287 Metern auf. Auf der Hochalm weiden Kühe, darüber ist es karg. Schneereste schmelzen vor sich hin. An den Hängen liegt Schutt.

Haas hat einen Laptop auf dem Schoß, die Messdaten laufen in Echtzeit ein. Er hat eine Karte des Areals mit Linien überzogen, ein Raster, das es in gleichbleibender Höhe und mit niedriger Geschwindigkeit abzufliegen gilt. „150 Meter, 45 Knoten“, sagt Strolz. 45 Knoten entsprechen etwa 80 Stundenkilometern.

Haas hat einen Laptop auf dem Schoß, die Messdaten laufen in Echtzeit ein. Er hat eine Karte des Areals mit Linien überzogen, ein Raster, das es in gleichbleibender Höhe und mit niedriger Geschwindigkeit abzufliegen gilt. „150 Meter, 45 Knoten“, sagt Strolz. 45 Knoten entsprechen etwa 80 Stundenkilometern.

Das Horlachtal wurde von Fernern geformt. Heute ist die Gegend kaum vergletschert. Während der Kleinen Eiszeit zwischen dem 15. und 19. Jahrhundert stießen die Gletscher noch einmal vor. Ab etwa 1850 setzte eine Schmelzperiode ein, die bis etwa in die 1930er-Jahre anhielt. An Rillen im Gestein lässt sich erkennen, wie weit danach das Eis im Horlachtal reichte. 

Das Horlachtal wurde von Fernern geformt. Heute ist die Gegend kaum vergletschert. Während der Kleinen Eiszeit zwischen dem 15. und 19. Jahrhundert stießen die Gletscher noch einmal vor. Ab etwa 1850 setzte eine Schmelzperiode ein, die bis etwa in die 1930er-Jahre anhielt. An Rillen im Gestein lässt sich erkennen, wie weit danach das Eis im Horlachtal reichte. 

Heute endet es viele Meter oberhalb. Dazwischen ist loses Geröll, ein bisschen Bewuchs. Die Temperaturen in den Alpen steigen schneller als in vielen anderen Regionen der Erde. Zwischen 1980 und 2008 lagen sie im Mittel um 0,67 Grad Celsius höher als im Zeitraum zuvor. Was nach wenig klingt, alarmiert Wissenschaftler. Denn alles hängt mit allem zusammen. Verändert sich ein Ökosystem, sind Auswirkungen auf andere wahrscheinlich.

Seit den 1990er-Jahren hat der Gletscherschwund neue Ausmaße erreicht. Noch können es die Forscher nicht beweisen, aber in der Theorie sind die Auswirkungen dramatisch. Beispiel Erosion: Wo Gletscher abschmelzen, wird lockerer Schutt freigesetzt. Bei Starkregen müsste also die Gefahr von Muren steigen.

Oder Gletscherwasser: Wenn weniger davon im Sommer ins Tal gelangt, müssten Flüsse wärmer und die Pegelstände niedriger werden. Kanäle wäre nur eingeschränkt schiffbar, Flusswasser könnte zum Kühlen von Industrieanlagen zu heiß sein.

Alarm gellt durch den Hubschrauber. Alles gut, beruhigt Strolz; wenn die Maschine zu schnell sinke, warne das System. Der Pilot fliegt Schleife um Schleife. Teils folgt er so knapp der Hangkante, dass jedes Steinchen zum Greifen nah zu sein scheint. Von Gipfelkreuzen fotografieren Bergsteiger. Auf einem Grat flieht eine Gams mit Jungtieren vor dem Rotorenlärm. 

Im benachbarten Grastal tauchen im Braun der Berge graues Eis und blaues Wasser auf. Vor ein paar Jahren habe der Gletscher direkt in den See gekalbt, sagt Haas. Nach einer Kurve wird ersichtlich, dass es dazu nicht mehr reicht. „Jetzt ist es nur noch ein Fleckerl“, sagt Strolz.

Gern hätten die Eichstätter auch die bayerischen Berge vermessen, böten die Ferner an der Zugspitze nicht so ein trauriges Bild. Becht schätzt, bis 2050 dürften in den Alpen die kleineren Gletscher unterhalb von 3200 Metern verschwunden sein. „Die großen am Venediger oder Ortler werden noch eine Weile bestehen.“

Mittag. Strolz muss tanken. Er steigt höher auf und navigiert über die Gipfel gen Brennerautobahn. „Servus, die Oscar Golf Alfa“, funkt er, „komme talseitig zu euch.“ Bei Gschnitz steht ein Tankwagen, die Helikopterfirma fliegt dort Baumstämme zu Tal.

Haas ist mit den Messergebnissen zufrieden. Er liegt im Zeitplan, die Daten sehen am Laptop vielversprechend aus. Trotzdem nutzt er die Zwischenlandung, um die Abdeckung von den Instrumenten zu schrauben und die Sensoren zu prüfen. Die beiden Kameras haben nicht durchgehend fotografiert, vielleicht ein Defekt oder ein Wackelkontakt an den Kabeln. Aber das Wichtigste, der Laser, hat funktioniert. 

Am Nachmittag wird er noch einmal einige Stellen abfliegen, zur Sicherheit. Am nächsten Tag will er das Martelltal in Südtirol erkunden, das Gebiet liegt am Ortler und ist stark vergletschert. Ein Gegensatz zum Horlachtal und darum für die Forscher so interessant. Die Daten, etliche Gigabyte, schickt Haas an die Uni Wien zur Bearbeitung: „Das wird etwas dauern, bis die fertig sind.“

Sehag läuft bis 2023. Im besten Fall wissen die Forscher dann mehr über die Bergwelt und was mit ihr mal sein wird. Zuvor steht aber weitere Bildrecherche an. Früher sei nicht so konsequent fotografiert worden, sagt Becht, zum 19. Jahrhundert hin werde das Material für das Horlach- und Martelltal dünn. Einige Aufnahmen fand er schon in Archiven, etwa beim Deutschen Alpenverein. Viele weitere, glaubt er, gelte es zu entdecken, sie ruhten versteckt in Privatbesitz, in Fotoalben, auf Speichern. „Für uns sind das Schätze.“ Tatsächlich waren Gletscher bei Alpentouristen stets ein beliebtes Motiv. Bald könnten sie auch ein rares sein.

Wer historische Fotos aus den Untersuchungsgebieten besitzt, erreicht die Forschungsgruppe per E-Mail unter michael.becht@ku.de.

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