Süddeutsche Zeitung

Zypern:Hoffnung für eine Wiedervereinigung Zyperns schwindet

Auf der Insel findet der Gedanke der europäischen Integration seine bedrückende Begrenzung. Ob sich das jemals ändert, darüber entscheidet am Ende der türkische Staatspräsident Erdoğan.

Kommentar von Mike Szymanski

Allenfalls im Niemandsland zwischen dem türkisch geprägten Nordzypern und dem griechisch-zyprischen Süden der geteilten Insel ist noch Platz für ein bisschen Optimismus. "Durch die Zeit getrennt, durch Hoffnung vereint", steht auf einem kleinen Zettel, angebracht an einer Wand für die Gedanken der Grenzgänger. Das Problem ist nur: Die Zeit kann niemand anhalten. Und mit ihr schwindet die Hoffnung, dass aus zwei Teilen doch noch einmal eins wird.

Auf Zypern findet der Gedanke der europäischen Integration seine bedrückende Begrenzung. Mit Nikosia leistet sich die Europäische Union im Jahr 2016 noch eine geteilte Hauptstadt - mit Stacheldraht und Grenztürmen -, jahrzehntelanger Diplomatie und der Berlin-Erfahrung zum Trotz. Es stellt sich - viel grundsätzlicher - die Frage: Passt heute überhaupt noch zusammen, was 1974 durch die Invasion der Türken auf der Mittelmeerinsel gewaltsam getrennt worden ist?

Es wird nicht mehr gekämpft, nicht mehr gestorben an dieser Trennlinie. Nikosia verkommt zu einem Freiluftmuseum, nirgendwo lässt es sich schauriger Kaffee trinken als in einem Café an der Narbe aus Sandsäcken und Stacheldraht, die quer über die Insel verläuft. Die Stadt hat sich in der Teilung eingerichtet und mit ihr die Europäische Union. Für sie ist der Zypernkonflikt allenfalls ein Nebenschauplatz. Es fällt nicht wirklich ins Gewicht, ob auf Zypern die Teilung anhält, wenn am anderen Ende der EU mächtige Länder wie Großbritannien wegbrechen.

Die Insel-Realität ist genauso: Die Geschäfte laufen nicht unbedingt schlechter, nur weil man zweigeteilt lebt. Der Süden hat sich ganz alleine aus der Finanzkrise herausgearbeitet, was mit extremen Härten für die Bevölkerung verbunden war. Über die Banken im Norden weiß niemand zuverlässig, wie es um deren Bücher bestellt ist. Nordzypern: eine große Blackbox. In der Schweiz verhandelten jetzt die Volksgruppenführer Mustafa Akıncı aus dem Norden und der griechische Zyprer aus dem Süden, Nikos Anastasiadis, im Grunde auch nicht darüber, wie man aus zwei wirklich eins macht, sondern aus zwei bestenfalls zweieinhalb. Auch das misslang.

Die inoffizielle 82. türkische Provinz

Unter einer Art gemeinsamer Bundesregierung soll es zwei Bundesländer mit starken eigenen Regierungen und möglichst viel Unabhängigkeit geben. Die Gespräche in Mont Pèlerin dienten dazu, neue Grenzverläufe zu verhandeln. Bei den Gebietsansprüchen zählt sogar die Nach-Komma-Stelle. An Verbissenheit war der Kampf um Boden jedenfalls kaum zu überbieten. Der Wunsch, zusammenzuwachsen - kaum ausgeprägt.

Den Volksgruppenführern kann man dies noch am wenigsten zum Vorwurf machen. Der Einigungsversuch von 2004 - in den Geschichtsbüchern als Annan-Plan unter großer Enttäuschung abgelegt - scheiterte unter anderem daran, dass der damalige Präsident aus dem Süden im letzten Moment einen Rückzieher machte und seinen Bürgern im Referendum nahelegte, gegen die Wiedervereinigung zu stimmen. Dieses Mal verhandeln zwei Männer, die wirklich wollen. Allein: Auch das ist nicht genug.

Seit 2004 ist nicht die Sehnsucht größer geworden, wieder zusammenzuwachsen, sondern die Entfremdung. Der Norden ist wirtschaftlich von der Türkei abhängiger denn je. Ankara hält nicht nur mit Geld die inoffizielle 82. türkische Provinz am Leben. Neuerdings kommt sogar das Trinkwasser per Pipeline aus der Türkei. Die Türkifizierung des einst säkularen Insel-Nordens schreitet rasant voran, getragen von Ankara-hörigen frommen Siedlern. 70 Prozent der griechischen Zyprer sollen bisher keinen Fuß in den Norden gesetzt haben - aus Verachtung darüber, wie der Norden Staat spielt. Das Projekt des Zusammenwachsens wird nur von einer kleinen Elite mit Leben und Liebe gefühlt. Es sind jene, die jeden Tag mit ansehen müssen, wie eine Insel hinter ihren Möglichkeiten zurückbleibt. Die Generation, die noch miterlebt hat, dass ein friedliches Zusammenleben auf der Insel - im wahrsten Sinne - "Tür an Tür" möglich ist, wird kleiner.

Ob die Wiedervereinigung kommt, darüber entscheidet am Ende ein Außenstehender: der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan. Eine gemeinsame Zukunft für die Insel hängt davon ab, ob er die mehr als 35 000 Soldaten abzieht und Zypern, wenn man so will, freigibt. In besseren Jahren hätte der Beitritt zur EU ihm einen Anreiz dafür geliefert. Eine Lösung des Zypern-Konfliktes hätte die Verhandlungen beflügelt. Erdoğan will im Moment aber von der EU nichts wissen. Er wendet sich vom Westen ab. Innenpolitisch sucht er den Pakt mit nationalistischen Kräften, die niemals einem Abzug zustimmen würden. Im schlimmsten Fall kann auf Zypern alles so bleiben wie es ist.

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