Zypern:Ende der Geduld

Weil die Regierung Sanktionen gegen Belarus blockiert, verstärkt Brüssel den Druck auf Nikosia. Die Haltung schade der Glaubwürdigkeit der EU, heißt es.

Von Matthias Kolb, Brüssel

Am Morgen, nachdem der EU-Sondergipfel wegen eines Corona-Falls im Umfeld von Ratspräsident Charles Michel verschoben wurde, sind zwei Interpretationen zu hören. Es sei möglich, sagen EU-Beamte, dass bis zum neuen Termin am 1. und 2. Oktober das "positive Momentum" gebremst werde, das durch geduldige Diplomatie aufgebaut wurde. Denn Minuten nach der Nachricht, dass sich Michel gemäß belgischer Regeln in Quarantäne begeben werde, hatten die Türkei und Griechenland erklärt, die 2016 unterbrochenen Gespräche über die Ziehung der Seegrenzen im östlichen Mittelmeer fortzuführen. Ein wichtiger Schritt zur Deeskalation ist gemacht, aber angesichts der Emotionen kann in sieben Tagen viel schiefgehen.

Die andere Sicht ist positiver: Die Staats- und Regierungschefs haben nun mehr Zeit, um Zypern zu überzeugen, Sanktionen gegen Belarus zu ermöglichen. Das Veto aus Nikosia schadet der Glaubwürdigkeit der EU. Gleichzeitig fordert Zypern neue Maßnahmen gegen die Türkei wegen der Erdgasbohrungen vor der eigenen Küste, die Zypern als illegal einstuft. Diese Strafen, die wohl Mitarbeiter des türkischen Energiekonzerns TPAO treffen würden, wären aus Sicht von Präsident Recep Tayyip Erdoğan eine Provokation, sagt ein mit der Sache befasster EU-Diplomat: "Dies ist eine Schwarz-Weiß-Situation." Am Dienstag hatte Erdoğan mit Michel und Bundeskanzlerin Angela Merkel in einer Videokonferenz gesprochen. Das Klima wurde als "offen" beschrieben, sprich: Es ging nicht nur diplomatisch zu, beide Seiten sprachen Streitpunkte in aller Deutlichkeit an.

Dies entspricht dem Ansatz von Ratspräsident Michel, der seit Wochen für Dialog wirbt und möglichst viele Akteure zusammenbringen will. Auch aus der Quarantäne dürfte er viel telefonieren, um Zyperns Präsident Nikos Anastasiades zu überzeugen, dass die EU die Souveränität und Anliegen seines Mitgliedsstaates verteidigt, aber Sanktionen mögliche Fortschritte gefährden. Auch andere Regierungschefs dürften zum Telefonhörer greifen. Dass die Geduld mit Nikosia zu Ende geht, zeigt die Aussage von Frankreichs Europaminister Clément Beaune. Präsident Emmanuel Macron unterstützt den Inselstaat auch militärisch. Beaune verriet Politico, was er seinem Kollegen aus Zypern gesagt habe: "Ihr solltet die Sanktionen gegen Belarus freigeben, denn ihr tut euch keinen Gefallen, sie mit der Türkei-Frage zu verknüpfen."

In Brüssel hofft man, dass Erdoğan einseitige Schritte unterlässt und akzeptiert, was er seit Wochen von allen Akteuren hört: EU-Sanktionen kann die Türkei nur abwenden, wenn sie verlässlicher wird. Nur dann sei denkbar, die für Ankara wichtigen Themen anzusprechen, also Visaliberalisierung, eine Erweiterung der Zollunion oder die Reform des 2016 geschlossenen Migrationspakts.

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