Süddeutsche Zeitung

Zwickauer Terrorzelle:Anklage wegen Neonazi-Morden im Herbst

"Ich bin zuversichtlich, dass wir das schaffen": Generalbundesanwalt Range kündigt im SZ-Interview an, bis Herbst genügend Beweise für eine Anklage in der Neonazi-Mordserie zu haben. Die Befugnisse seiner Ermittler bei länderübergreifenden Verbrechen hält er dennoch für unzureichend.

Wolfgang Janisch, Heribert Prantl und Tanjev Schultz

Die Bundesanwaltschaft wird voraussichtlich im Herbst eine Anklage wegen der rechtsextremistischen Mordserie der Zwickauer Zelle vorlegen. Generalbundesanwalt Harald Range ist zuversichtlich, dass bis dahin genügend Beweise vorliegen. Die Aufklärung schreite zügig voran, auch ohne den Zugriff auf Telefon- und Internetverbindungsdaten. "Mein Eindruck ist, dass wir derzeit mit den klassischen Mitteln ganz gut vorankommen. Wir haben die Vorratsdatenspeicherung nun mal nicht, und ob wir besser vorankämen, wenn wir sie hätten, ist Spökenkiekerei", sagte er in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung.

Range sprach sich für klarere Befugnisse der Bundesanwaltschaft bei der Verfolgung rechtsextremistischer Gewalt aus. Bisher ist die Behörde zuständig, wenn es um terroristische Strukturen oder um schwerste staatsgefährdende Straftaten von "besonderer Bedeutung" geht. Range hält es für "bedenkenswert", dies für den Fall zu präzisieren, dass sich die Straftaten über mehrere Länder erstrecken: "Man könnte eine besondere Bedeutung immer dann annehmen, wenn ein länderübergreifender Zusammenhang besteht."

Die Ermittlungen gegen die Zwickauer Zelle Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) hätte die Karlsruher Ermittlungsbehörde im Jahr 1998 - auch in der Rückschau - auf Grundlage der geltenden Gesetze nicht an sich ziehen können; Versäumnisse der Bundesanwaltschaft habe es nicht gegeben. Beim Erlass von Anti-Terror-Gesetzen in den vergangenen Jahren hätte man die Kompetenzverteilung überdenken können: "Als Strafverfolger kann ich mich nur an die bestehenden Gesetze halten, das andere müssen die Politiker entscheiden."

Die Zwickauer Zelle war aus Sicht der Bundesanwaltschaft eine abgeschottete Gruppe, die ganz bewusst ihre Kontakte zur rechtsextremen Szene abgeschnitten hat: "Es ist also nach heutigem Erkenntnisstand nicht so, dass der NSU eine Armee der NPD war", sagte Range. Ein Netzwerk sei nicht zu erkennen. Es existiere lediglich eine gemeinsame ideologische Basis, aber keine organisatorische Verbindung: "Ihr Gedankengut findet man bis weit in die NPD hinein."

Die personellen Überschneidungen zwischen NSU und NPD bezeichnete der Generalbundesanwalt als Einzelfälle. Eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe will in der zweiten Märzhälfte einen Kriterienkatalog vorlegen, um die Möglichkeiten eines NPD-Verbots vor dem Hintergrund der Terrorserie auszuloten.

Der Nachweis, dass Beate Zschäpe zur Terrorzelle gehöre, werde voraussichtlich gelingen. Dafür spreche etwa, dass sie mit Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos jahrelang im Untergrund gelebt und dass sie ihre Wohnung angezündet habe, um Beweismittel zu vernichten. Anhaltspunkte dafür, dass sie unmittelbar an den Verbrechen beteiligt gewesen sei, gebe es aber nicht. Ob der Zelle über die Morde an neun Kleinunternehmern türkischer und griechischer Herkunft sowie einer Polizistin weitere Mordtaten zuzurechnen seien - auch darauf gebe es keine Hinweise. Allerdings dürfte die Gruppe für weitere Banküberfälle verantwortlich sein, sagte Range.

Die Taten des NSU sind nach Einschätzung des Generalbundesanwalts Ausdruck eines geschlossenen nationalsozialistischen Weltbilds: ,,Es ging ihnen um die Vernichtung von Menschen, nur weil diese anderer Herkunft waren.'' Range hält sie allerdings für deutlich versierter als jene "Dumpfbacken", die "ausländerfreie Zonen" propagierten: "Der NSU-Terror ist eine durchaus überlegte Form: Wer kann sich schon so intelligent abschotten in unserer Gesellschaft, die so viele Möglichkeiten der Kontrolle hat?" Niemand habe an Terroristen gedacht, die ihre Verbrechen ohne öffentliche Propaganda verübt haben könnten. Dies sei wohl eine wesentliche Ursache dafür, dass die Taten so lange unentdeckt geblieben seien.

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SZ vom 18./19.2.2012/woja
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