„Schauen Sie mal“, sagt Constance Arndt und zeigt auf den riesigen Blumenstrauß auf ihrem Schreibtisch, „habe ich diese Woche geschickt bekommen.“ Den Absender kannte sie gar nicht. Aber seit Zwickaus Oberbürgermeisterin eine Morddrohung öffentlich gemacht hat, kennen viele ihren Namen, schicken Nachrichten, Solidaritätsadressen, Aufmunterungen – und Blumen. Das Ausmaß hat sie dann doch überrascht: Selbst der Bundespräsident hat sich gemeldet, Kommunalpolitiker aus dem ganzen Land, Kulturschaffende, Zwickauer, Freunde, besorgte Bürgerinnen, sogar aus der Schweiz und Australien. „Es hat eine irre Dimension. Das hat mich ehrlich gesagt fast ein bisschen überfordert“, sagt die 47-Jährige in ihrem Büro mit Blick auf den Hauptmarkt.
Als sie die Drohnachricht sah, am Samstag vor einer Woche, sei ihr sofort klar gewesen, dass sie Anzeige erstattet. Über das digitale Kontaktformular des Rathauses hatte jemand geschrieben: „Denken Sie an Walter Lübke. Immer schön aufpassen.“ Der Betreff der Nachricht: C. A. – ihre Initialen. Als Absender war eingetragen Vorname: Adolf, Nachname: Hitler und als Kontaktmöglichkeit die E-Mail-Adresse: nsu(at)gmail.com. Walter Lübcke, das war der CDU-Kommunalpolitiker aus Kassel, den ein Rechtsradikaler 2019 zu Hause auf seiner Terrasse erschoss, weil er sich dafür einsetzte, Geflüchtete menschenwürdig unterzubringen. Und die Terroristen des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) lebten jahrelang unbehelligt in Zwickau und planten da ihren Mordfeldzug. Neun Migranten und eine Polizistin brachte das Trio zwischen 2000 und 2007 um.
Arndt hat die Mail öffentlich gemacht, weil sie mit der Drohung nicht allein umgehen wollte und weil die Öffentlichkeit eine Form des Schutzes sein kann – vorausgesetzt, sie reagiert so wie in ihrem Fall. Geschluckt hat sie trotzdem, als sich das LKA meldete, um Schutzmaßnahmen zu besprechen. „Ich bin dankbar und froh, dass das ernst genommen wird“, sagt sie. „Ich weiß von meiner Vorgängerin, dass die auch in ihrem persönlichen Bereich sehr stark Anfeindungen und Gewalt ausgesetzt gewesen ist. Sie musste oft erleben, dass das nicht ausreichend war, um ihr einen gewissen Schutz zu geben.“

Gewalt gegen Kommunalpolitiker:„Man fragt sich: Wieso tust du dir das an?“
Kevin Kühnert trat wegen Angriffen gegen ihn als SPD-Generalsekretär zurück, vielen Kommunalpolitikern geht es nicht anders: Vor ihren Haustüren liegen Bilder von abgetrennten Schweinsköpfen, im Briefkasten Morddrohungen. Wie eine bundesweite Beratungsstelle ihnen helfen will.
Kommunalpolitiker werden deutschlandweit bedroht
Arndts Vorgängerin, Pia Findeiß von der SPD, wurde über Jahre bedroht. Angreifer verklebten ihr Türschloss mit Leim, pappten einen „Ausländer raus“-Sticker darüber, mal flog ein Farbbeutel gegen das Haus, ein andermal schmiss jemand einen Pflasterstein durchs Badfenster. Findeiß fehlte die öffentliche Solidarität, die Arndt nun bekommt. Und die gibt es traurigerweise vielleicht auch deshalb, weil die Bedrohungen für Kommunalpolitiker häufiger und härter geworden sind.
Vergangenes Jahr traf es einen SPD-Mann aus dem thüringischen Waltershausen, dem Unbekannte das Ferienhaus anzündeten. Da war der parteilose Oberbürgermeister von Neubrandenburg, der im Kulturkampf mit seinem Stadtrat zermürbt aufgab, als der verbot, die Regenbogenflagge am Bahnhof zu hissen. Da machte der CDU-Landrat aus dem Burgenlandkreis (Sachsen-Anhalt) öffentlich, dass die rechtsextremistische AfD einen Demonstrationszug vor seinem Wohnhaus plante. In einer Umfrage unter Bürgermeistern für das ARD-Magazin Report aus München sagten 2020 mehr als 60 Prozent, sie erlebten Beleidigungen, Beschimpfungen und tätliche Angriffe bei der Ausübung ihres Amtes.
Arndt ist es auch deshalb wichtig, die Drohung gegen sie nicht als lokales Phänomen zu betrachten. „Ich will nicht, dass man jetzt mit dem Finger auf die Stadt zeigt und sagt, ist doch typisch für Zwickau. Das ist es nicht.“ Für sie selbst war es die erste Bedrohung dieser Art. Dabei hat auch sie sich intensiv mit dem NSU befasst, im Weimarer Theater Protokolle aus dem Prozess vorgelesen. Geärgert hat sie sich trotzdem, wenn Zwickau auf den NSU reduziert wurde.
Im Einzelhandel für die Politik gelernt
Natürlich habe sie nicht nur Fans in der Stadt, aber Kritik halte sie aus, sagt die gebürtige Dresdnerin. „Ich bin vom Typ her stressresistent.“ Sie war Filialleiterin bei Wöhrl, bevor sie Politikerin wurde. „Da haben immer viele gelacht und mich als die Schlüpferverkäuferin abgestempelt. Aber wenn man im Handel was lernt, dann ist es, mit Kritikern umzugehen.“ Auf die Lösung konzentrieren, Missmut von unfreundlichen Kunden nicht persönlich nehmen – mit dem Prinzip kann man es auch an die Spitze einer großen Stadt schaffen. „Ich bin ein fröhlicher und freundlicher Mensch, daher begegnet mir auch viel Freundlichkeit“, sagt die Mutter einer Tochter.
Arndt steht seit fünf Jahren an der Spitze der knapp 90 000-Einwohner-Stadt. Seit 2013 engagiert sie sich in der Wählervereinigung Bürger für Zwickau (BfZ). Die OB-Wahl 2020 gewann sie als Parteilose souverän mit mehr als 70 Prozent, ihr Slogan damals: „Erfrischend Arndt’ers – frisch, unverbraucht, kompetent“. Ein paar Stadträte haben am Gründonnerstag die Wahlkampf-Shirts von damals übergezogen, um Arndt den Rücken zu stärken.
Auch Anne-Kathrin Findeiß von der SPD ist dabei. „Es soll eine Überraschung sein“, sagt die Schwiegertochter von Arndts Vorgängerin. Natürlich weiß sie, dass sie die T-Shirts nicht in der Sitzung tragen dürfen, politische Statements durch Kleidung, Banner und Parolen sind nicht erlaubt. Aber es geht ihr um das Signal, die Aufmunterung – dass Arndt nicht allein steht. Die sieht es und freut sich. Die Sitzung des Stadtrates leitet sie aber so freundlich wie straff. Es geht um die Gehölzschutzverordnung, eine mögliche Verpackungssteuer und um den Aufreger der letzten Wochen: ein Werbeverbot für die Bundeswehr.
Zweimal hat es der Stadtrat beschlossen, zweimal hat Arndt dagegen Widerspruch eingelegt. Inzwischen hat die Kommunalaufsicht das Werbeverbot für rechtswidrig erklärt, weil der Stadtrat seine Kompetenzen überschritten habe. So sieht es Arndt auch, aber sie verkneift sich jede Triumphgeste, sagt ihren Stadträten nur: „Sie alle kennen die Begründung.“ Selbst das BSW räumt daraufhin ein, man sei möglicherweise übers Ziel hinausgeschossen. Der rechtswidrige Teil des Beschlusses wird mit großer Mehrheit zurückgenommen. Mehrere Redner fordern zudem verbale Abrüstung, „auch vor dem Hintergrund der Bedrohung unserer Oberbürgermeisterin“.
Auch mal unpopuläre Entscheidungen durchfechten
Seit der Kommunalwahl stellt die AfD die größte Fraktion im Stadtrat. Dieser Realität muss sich Arndt stellen. „Als Oberbürgermeisterin repräsentiere ich alle Zwickauer.“ Inhaltlich distanziere sie sich deutlich von den Zielen der AfD, aber es reiche nicht, nur mit dem Finger auf sie zu zeigen. Was besser wäre? Sich mit der Frage zu beschäftigen, sagt Arndt, warum so viele Wähler der Politik nicht mehr vertrauten. Für sie heißt das: auch mal unpopuläre Entscheidungen durchfechten, wenn man überzeugt ist, das Richtige zu tun. Und nicht alles schlechtreden, sondern mehr anpacken, nicht glauben, eine Stadt könne funktionieren wie ein All-inclusive-Klub. Auch deswegen ist sie immer noch gern OB, „weil hier viele Menschen selbst was auf die Beine stellen, sei es in unendlich vielen Vereinen oder im Ehrenamt“.
Als am Ende der BSW-Debatte im Stadtrat ein Zuschauer von der Besuchertribüne pöbelt, schreitet Arndt sofort ein: „Ich bitte Sie um Ruhe, sonst muss ich Sie des Saales verweisen.“ Als die Sitzung vorbei ist, ruft sie dem Mann auf der Treppe zu, er solle doch einfach mal in ihrer Bürgersprechstunde vorbeikommen. „Echt jetzt?“, fragt der, von so viel Empathie sichtlich überrascht. „Klar“, sagt Arndt, „ich würde mich freuen.“ Selbst mit dem Absender der Drohmail würde sie reden. „Dem würde ich schon gerne mal ins Auge schauen und ihn fragen, was er sich dabei gedacht hat.“