Weil es der Wahlkampf eben verlangt, ist Romney aus seiner kleinen Welt hinabgestiegen, aber gedanklich sitzt er noch immer im Vorstandsbüro, wo er mit zwei knappen Sätzen über Schicksale entscheidet. "Ich mag es, Leute feuern zu können", sagt Romney einmal in einer Rede. Als er im Sommer auf Auslandsreise geht, erklärt er seinen Londoner Gastgebern zur Begrüßung, sie seien bei Olympia nicht auf der Höhe. Vor Spendern klagt er über jene 47 Prozent der Bevölkerung, die sich aus seiner Sicht als Opfer fühlen und den Staat ausplündern. "Mein Job ist es nicht, mir über diese Leute Gedanken zu machen", sagt er. Gefühlt hatte er mit 97 Prozent des Volkes nie zu tun. Wenn er über Mittelschicht oder Armut spricht, klingt es nicht nach Erfahrung, sondern nach Anekdote.
In der Debatte mit Obama gelingt es ihm, die starken Seiten seiner Vorstandspersönlichkeit auszuspielen und die schwachen zu unterdrücken. Er besticht mit ruhigem, verbindlichem Ton, spielt den Vermittler, den Moderaten, den Fürsorglichen. Die Sanierungs-Agenda bleibt in der Aktentasche. Das Debattenformat hat für Romney den großen Vorteil, dass er nicht vor Republikanern sprechen muss, die von seiner Härte und ideologischen Treue überzeugt werden wollen.
Es ist zwar immer unklarer, ob Romney politische Überzeugungen hat. Was er inzwischen aber kann, ist es, die Erwartungen seines Publikums zu managen. Die Amerikaner werden ihn nie lieben, aber vielleicht finden sie Gefallen an der Idee, diesen Oberbefehlsgeschäftsführer einmal auszuprobieren.
Präsident Barack Obama wiederum hat den Wahlkampf bislang darauf beschränkt, Romney für gierig und herzlos zu erklären. Die Karikatur vom bösen Reichen hat den ganzen Sommer die Werbespots im Fernsehen beherrscht, und lange sah es so aus, als habe Obama seinen Rivalen so gründlich als widerlich definiert, dass sich Romney davon nicht erholen würde. In der Fernsehdebatte aber war Obama abwesend. Es gibt viele mögliche Gründe dafür: Er hatte 20. Hochzeitstag, er war müde oder schlecht gelaunt oder zu cool, seine Berater hatten ihn nicht gut vorbereitet, er wollte bloß nicht überheblich sein gegenüber einem Gegner, der schon als sicherer Verlierer galt, er wollte es wie viele Schwarze in Amerika vermeiden, wie ein "zorniger schwarzer Mann" zu wirken, der einen Weißen bedrängt.
Aber die tiefere Ursache könnte sein, dass ihm das Format einfach nicht liegt, diese Show, von der es heißt, dass die Leute lieber einen guten Lügner sehen als einen schlechten Unterhalter. Obama mag nicht die direkte und spontane Auseinandersetzung mit einem Gegner, einem noch dazu, den er, wie Romney, persönlich verachtet. Die größten öffentlichen Momente Obamas sind jene geblieben, in denen er wieder und wieder überarbeitete Redemanuskripte vom Teleprompter ablas, vor einem Publikum, das ihn liebte, was immer er auch sagte. Allgemein aber ist dem Stadionredner Obama Einsamkeit lieber als zu viel Nähe. Während Romney mit zwei, drei Leuten im Raum gut zurechtkommt, kann das dem Präsidenten schon zu viel sein.
Andererseits wächst Obama über sich hinaus, wenn er sich herausgefordert fühlt, wenn ihn sein sportlicher Ehrgeiz packt. Bis vor Kurzem hielt er Romney nicht für einen würdigen Gegner. Jetzt muss er sich auf ihn einlassen, nicht auf die Karikatur, die er geschaffen hat, sondern auf den Mann, der vor ihm steht. "Das Publikum wird ein bisschen mehr Aktivität sehen", hat Obama für das zweite Duell an diesem Dienstag versprochen.
Und: "Wir gewinnen das Ding."