Zweiter Weltkrieg in den Ardennen:Schnee, Stahl und Blut

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Ein amerikanischer Sergeant nach der Belagerung von Bastogne im Januar 1945 (Foto: SZ Photo)

Die Ardennen-Schlacht 1944 spielt in der Erinnerung der Deutschen nur eine bescheidene Rolle. Anthony Beevor erinnert zur richtigen Zeit daran, wie hart und opferreich die freie Welt erstritten wurde.

Rezension von Joachim Käppner

Am frühen Morgen des 16. Dezember 1944, noch acht Tage bis Weihnachten. Ein fürchterlicher Artillerieschlag überrascht die amerikanischen Linien in den Ardennen.

Ihm folgte das stärkste Aufgebot, das Hitlers Armeen noch zu bieten hatten: Tiger-Panzer stoßen durch den Nebel vor, SS-Divisionen überrennen Stellungen der US Army und massakrieren Gefangene, in einer Apokalypse aus Blut, Eis und Feuer kollabiert der Widerstand an vielen Stellen.

Die deutsche Gegenoffensive in den bergigen, tief bewaldeten und schwach verteidigten belgischen Ardennen zielt auf Antwerpen, den Nachschubhafen der Westalliierten. Und einige Tage lang, bis Weihnachten, sieht es beinahe so aus, als könne sie Erfolg haben.

Dieses Ausmaß an Brutalität hatte man zuvor an der Westfront nicht gesehen

In der deutschen Erinnerung spielt die mörderische Schlacht um die Ardennen eine vergleichsweise geringe Rolle. Sie wird überschattet von dem, was zuvor geschah, der Landung der Alliierten am 6. Juni 1944 in der Normandie und der fast vollständigen Befreiung Frankreichs und Belgiens bis kurz vor Weihnachten; und dann des Kollapses des Reiches 1945.

In der amerikanischen Literatur ist "The Battle of the Bulge" (benannt nach der Ausbuchtung der Front nach Westen durch den tiefen deutschen Einbruch) neben dem D-Day das historische Symbol des Kampfes um die Befreiung Europas.

Ardennenschlacht im Zweiten Weltkrieg
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Im Januar 1945 endet die Ardennenschlacht - der letzte große Vorstoß von Nazi-Deutschland. In den Kämpfen büßt das Hitler-Regime den Großteil seiner Panzer ein - und hinter der Front werden Kriegsgefangene massakriert.

Es war die größte Landschlacht, welche die USA in Europa austragen mussten, sie ist eine Heldensage von Tragödie und Triumph und vielfach eingegangen in die Populärkultur. Auf seiner "Born in the USA"-Platte von 1984 griff Bruce Springsteen die Ardennen-Metapher in dem Song "No Surrender" auf: "Like soldiers in the winter's night / with a vow to defend / No retreat, baby, no surrender."

Genau das war die Perspektive vieler US-Einheiten und der völlig überraschten Alliierten. Der britische Militärhistoriker Anthony Beevor hat daraus ein Buch von hoher angelsächsischer Erzählkunst gemacht: scharf in der Analyse, lebendig und anschaulich geschrieben, verbindet er in gewohnter Meisterschaft die Linien der Erzählung mit der Perspektive jener, welche die Schlacht in den verschneiten Schluchten, Wäldern und Dörfern erlebten und erlitten. Ein Soldat "fand seinen Freund tot mit dem Gesicht auf der eisigen Straße liegend. Auf seinem Rücken saß eine Katze und versuchte, die letzte Wärme des Körpers zu bekommen."

Beevor wurde weltbekannt mit seinen Büchern "Stalingrad" und "Berlin 1945". Sie waren im englischen Sprachraum auch deshalb so erfolgreich, weil man dort erstaunlich wenig wusste über den Krieg im Osten - obwohl doch die Rote Armee 1941 bis zur Invasion in der Normandie 1944 die Hauptlast des Kampfes gegen die Deutschen getragen hatte. Mit Beevors Ardennen-Buch ist es umgekehrt: Für Briten und Amerikaner ist es nur eines, wenn auch ein besonders gutes, von vielen "Battle of the Bulge"-Büchern; für die meisten deutschen Leser dürfte vieles neu sein.

Antony Beevor: Die Ardennen-Offensive 1944. Hitlers letzte Schlacht im Westen. Aus dem Englischen von Helmut Ettinger. Verlag C. Bertelsmann München 2016, 480 Seiten. 26 Euro. E-Book: 20,99 Euro. (Foto: N/A)

Dazu gehört wohl auch das Leitthema des Buchs: Die Schlacht um die Ardennen erreichte ein Ausmaß an Brutalität, das man zuvor an der Westfront nicht gesehen hatte; oft unterschied sie sich nicht mehr von jener im Osten. Wie dort hatten die Deutschen damit begonnen.

Bei Malmedy nahmen Angehörige der SS-"Kampftruppe Peiper" einige Dutzend Amerikaner gefangen, trieb sie auf ein Feld, nahm ihnen Handschuhe, Uhren, Zigaretten ab und eröffnete dann mit Maschinengewehren das Feuer auf die Wehrlosen. 84 US-Soldaten wurden ermordet, einige wenige entkamen in den nahen Wald. Das Ereignis - gefolgt von weiteren Kriegsverbrechen an belgischen Zivilisten und amerikanischen Gefangenen - löste Schockwellen bei den Alliierten aus und zahlreiche Racheakte, die Beevor nicht verschweigt.

Den Deutschen gelang der Durchbruch nicht. Sie bleiben weit vor Antwerpen stecken, nicht einmal ihr Etappenziel, die Maas, erreichten sie, dann waren die Kräfte erschöpft. Bald klarte der Himmel auf, und die volle Macht der alliierten Luftwaffen fiel über die deutschen Kolonnen her; diese Schlacht konnten sie nicht mehr gewinnen.

Im Bombenhagel starben auch belgische Zivilisten. Das wallonische Marktstädtchen Houffalize bestand nicht mehr, nachdem 1000 Tonnen britischer Bomben es getroffen hatten. Selbst ein zynischer Mann wie US-General George Patton kritzelte bedrückt eine Art Gedicht nieder:

Little town of Houffalize,

here you sit on bended knees,

God bless your people and keep them safe,

especially from the RAF.

(Kleine Stadt Houffalize, hier sitzt du auf gebeugten Knien. Gott segne deine Menschen und bewahre sie in Sicherheit, besonders vor der Royal Air Force).

Wieso überhaupt hat das sterbende Reich des Zivilisationsbruchs seine letzten Reserven in den Ardennen vergeudet? Der große Publizist Sebastian Haffner hat die Offensive in seinen "Anmerkungen zu Hitler" als Rache des Diktators am eigenen Volk interpretiert. Hitler habe gespürt, dass die meisten Deutschen kriegsmüde waren: "Die Masse der deutschen Bevölkerung dachte nicht mehr, wie Hitler dachte und fühlte. Gut, dann sollte sie dafür bestraft werden - mit dem Tode."

Denn nach der Ardennen-Schlacht besaß das Deutsche Reich keine militärischen Optionen mehr, der rasche sowjetische Vorstoß von der Oder nach Berlin 1945 war auch eine Folge der deutschen Verluste im Westen. Der Untergang war unabwendbar.

Beevors Auslegung ist weniger wagnerianisch: Hitler hatte geglaubt - und die wie stets devote Wehrmachtführung war ihm grummelnd gefolgt -, dass eine gewonnene Schlacht im Westen den Krieg politisch noch wenden, zum Zerwürfnis zwischen Briten und Amerikanern und vielleicht zu einem Sonderfrieden führen könnte. Der Widerstand der Verteidiger "with a vow to defend" machte diese Illusion zunichte.

Kurz vor Weihnachten hatte die Wehrmacht die Stadt Bastogne eingeschlossen und forderte die amerikanischen Verteidiger zur Kapitulation auf. Der amtierende Kommandeur der 101. Luftlandedivision, Anthony McAuliffe, antworte mit einem legendären einzigen Wort: "Nuts" (Blödsinn). Bastogne fiel nicht.

Solche Episoden, nein Beevors gesamtes Buch erinnert zur richtigen Zeit daran, wie hart und opferreich jene freie Welt erstritten wurde, deren Werte und Errungenschaften heute so vielen Menschen so wenig bedeuten.

© SZ vom 14.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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