Ein Bild und seine Geschichte:Wie ein Foto zur US-Ikone wurde

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Eines der bekanntesten Kriegsfotos überhaupt: "Raising the Flag on Iwo Jima" (Foto: picture alliance / AP Photo)

1945 entstand "Raising the Flag on Iwo Jima". Die Geschichte hinter dem wohl berühmtesten Kriegsfoto der Welt ist ein Lehrstück über die Macht der Bilder - und darüber, wie US-Helden gemacht werden.

Von Paul Munzinger

Auf dem Foto, das ihn berühmt und unglücklich machen sollte, ist das Gesicht von Ira Hayes nicht zu sehen. Sein rechter Arm verdeckt es. Er streckt ihn in die Luft, der Fahnenmast, an dessen Ende die amerikanische Flagge flattert, hat seine Hand gerade verlassen. Fast sieht es so aus, als wolle Ira Hayes dem Mast den letzten Schubs geben, während seine fünf Kameraden zerren und reißen, um ihn in die Vertikale zu wuchten.

Es ist diese Dynamik, eingefroren in einer Vierhundertselsekunde, die "Raising the Flag on Iwo Jima", zu einem einzigartigen Foto macht. Der Fotograf Joe Rosenthal erhielt dafür den Pulitzerpreis. Und es war die amerikanische Regierung, die das Foto zu einer Ikone machte. Zu einem Symbol des Sieges, das im kollektiven Gedächtnis der Amerikaner so tief eingegraben ist, dass es sich auch später mühelos revitalisieren ließ, zum Beispiel nach dem 11. September.

Nur jeder zwanzigste japanische Soldat in Iwo Jima überlebte

Dabei war Iwo Jima, die nur 21 Quadratkilometer kleine, aber strategisch wichtige japanische Insel im Pazifik, längst nicht erobert, als Rosenthal auf den Auslöser drückte. Das Foto entstand am 23. Februar 1945, am fünften Tag der amerikanischen Invasion. Die Schlacht dauerte noch bis Ende März und kostete mehr als 6000 amerikanische Soldaten das Leben - unter ihnen drei der Männer, die auf dem Foto zu sehen sind. Ira Hayes, im Bild ganz links, und zwei andere überlebten.

Von den etwa 21 000 japanischen Verteidigern, die ihre Bunker und Stollen tief in die Insel eingegraben hatten, überlebte nur jeder zwanzigste.

Iwo Jima war eine blutige Schlacht, aber es war weder die verlustreichste noch die bedeutendste des Zweiten Weltkriegs im Pazifik. Dass sie dennoch die berühmteste ist, liegt an diesem Foto.

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Im Sommer 1945 tobte der Pazifikkrieg zwischen Japan und den USA. Der Atombombenabwurf über Hiroshima und Nagasaki setzte ihm ein grausames Ende und schockierte die Welt. Die Detonationen und ihre Folgen in Bildern.

Am Morgen des 23. Februar hissten US-Soldaten auf der höchsten Erhebung der Insel, dem Mount Suribachi, eine amerikanische Flagge. Die amerikanischen Soldaten auf der Insel und auf den Schiffen jubelten. Doch die Flagge wurde für zu klein befunden. Ein zweiter Trupp brach auf, um eine größere Flagge zu hissen, 137 auf 71 Zentimeter. In diesem Moment drückte Joe Rosenthal auf den Auslöser.

Rosenthal wurde oft vorgeworfen, das Motiv inszeniert zu haben. Das stimmt nicht, davon zeugt ein Filmsequenz derselben Szene: ein kurzer, wenig heroischer Akt, der erst in der fotografischen Verdichtung Pathos ansetzt. Aber ein Glückstreffer war das Bild trotzdem nicht.

Je länger der Krieg im Pazifik dauerte (in Europa war er Ende Februar 1945 noch nicht vorbei, aber entschieden) und je mehr Opfer er forderte, desto besser musste er in der Heimat verkauft werden. Dafür brauchte die amerikanische Regierung nicht nur Siege. Sie brauchte auch die Gesichter und die Geschichten dazu. Die Landungstruppen wurden deshalb von einem Presseschiff nach Iwo Jima begleitet. Rundfunkreporter berichteten von Bord, 90 Fotografen und Journalisten gingen mit an Land. Einer von ihnen war Joe Rosenthal.

Wohl kaum ein Foto wurde so oft vervielfältigt

Sein Foto überflutete innerhalb kürzester Zeit die USA. Zwei Tage nach der Aufnahme war es auf der Titelseite der New York Times. Zwei Monate später hing es millionenfach in amerikanischen Bahnhöfen, Fabriken und Kinos und warb für amerikanische Kriegsanleihen. Und im Juli 1945 begann die US-Post, die "Flagraiser" auf eine 3-Cent-Briefmarke zu drucken. Sie wurde innerhalb von drei Jahren 137 Millionen Mal verkauft. Womöglich gibt es auf der Welt kein Foto, das häufiger vervielfältigt wurde.

Doch nicht nur das Foto, auch die abgebildeten Soldaten sollten auf Wunsch von Präsident Franklin D. Roosevelt in den USA für die Finanzierung des Krieges werben. Ira Hayes und die beiden anderen überlebenden Flagraisers wurden von der Front zurückgerufen. Am 20. April empfing sie Präsident Harry Truman (Roosevelt war eine Woche zuvor gestorben) im Weißen Haus.

Am 10. Mai hissten die Helden von Iwo Jima die eigens eingeflogene Originalflagge auf dem Kapitol in Washington, um den Sieg über Nazi-Deutschland zu feiern. Einen Tag später enthüllten sie eine Gipsnachbildung der Szene auf dem Times Square in New York. Von dort aus gingen die Überlebenden von Iwo Jima auf Werbetour, durch 42 Städte der USA.

Ira Hayes' Spitzname: Chief Falling Cloud

Ira Hayes war die ideale Figur, um zu einem amerikanischen Helden gemacht zu werden. Er war ein amerikanischer Ureinwohner vom Stamm der Pima, geboren wurde er in einem Reservat in Arizona. Mit 19 Jahren brach er die Schule ab und meldete sich freiwillig zu den Marines. Dort wurde er zum Fallschirmjäger ausgebildet. Sein Spitzname in der Truppe: Chief Falling Cloud, Häuptling Fallende Wolke.

Hayes verkörperte nicht nur den Sieg und den Durchhaltewillen der Nation. Er, der im Reservat geborene Indianer, sollte das Gesicht einer vielfältigen Gesellschaft sein, in der der Krieg alle Schranken verwischt.

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Ausgerechnet die US-Armee, die Westeuropa vom Nazi-Rassenwahn befreite, gehorchte im Inneren dem Prinzip der Rassentrennung. Afroamerikanische Veteranen erinnern sich an die abstruse Segregation - unter der nach dem Krieg auch der spätere Außenminister Colin Powell litt.

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Doch mit der Rolle als Posterboy der amerikanischen Kriegspropaganda kam Ira Hayes nicht zurecht. "Ich drehte durch bei dem Gedanken an alle meine guten Kameraden", soll er einmal gesagt haben. "Sie waren bessere Männer als ich und sie kommen nicht zurück. Schon gar nicht ins Weiße Haus, so wie ich." Keiner der sechs Flagraisers war älter als 25 Jahre, als das Foto geschossen wurde.

Nach dem Krieg kehrte Hayes als hochdekorierter, 23-jähriger Weltkriegsveteran in das Reservat in Arizona zurück. Er schlug sich mit Gelegenheitsjobs durch. Und er trank. 52 Mal soll er wegen Trunkenheit in der Öffentlichkeit festgenommen worden sein.

Auf die Frage, wie ihm der Trubel gefalle, antwortete Hayes: "Er gefällt mir nicht."

Hayes blieb ein Held, der keiner sein wollte. Touristen stöberten ihn im Reservat auf und fragten Hayes, ob er der Indianer sei, der in Iwo Jima die Flagge gehisst hatte. Er wurde auf Empfänge geladen, schüttelte die Hände von Humphrey Bogart und Lauren Bacall und spielte in dem Film "Sands of Iwo Jima" sich selbst. Zusammen mit den beiden anderen Überlebenden hisste er für die Kamera die Originalflagge, die auch diesmal eigens eingeflogen wurde. Die Hauptrolle spielte John Wayne.

Am November 1954 saß Hayes auf der Ehrentribüne, als neben dem Nationalfriedhof in Arlington, Virginia das Denkmal für die gefallenen Marines eingeweiht wurde: eine 24 Meter hohe Bronzenachbildung des Fotos von Joe Rosenthal. Ira Hayes' bronzenes Ebenbild maß wie das der anderen fünf Soldaten zehn Meter. Nach der Zeremonie fragte ein Reporter Hayes, wie ihm der Pomp und der Trubel gefalle. Hayes antwortete: "Er gefällt mir nicht."

Drei Monate später war Hayes tot. Er wurde nach einer durchzechten Nacht in der Nähe seiner Hütte gefunden. Hayes starb mit 32 Jahren, wahrscheinlich an Unterkühlung und einer Alkoholvergiftung. Am 2. Februar 1955 wurde Ira Hayes mit militärischen Ehren auf dem Nationalfriedhof in Arlington beigesetzt.

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