SZ.de zeigt in loser Folge jeweils ein besonderes Foto oder eine besondere Abbildung. Hinter manchen Aufnahmen und Bildern steckt eine konkrete Geschichte, andere stehen exemplarisch für historische Begebenheiten und Zeitumstände. Übersicht der bisher erschienenen Texte
Auf dem Foto, das ihn berühmt und unglücklich machen sollte, ist das Gesicht von Ira Hayes nicht zu sehen. Sein rechter Arm verdeckt es. Er streckt ihn in die Luft, der Fahnenmast, an dessen Ende die amerikanische Flagge flattert, hat seine Hand gerade verlassen. Fast sieht es so aus, als wolle Ira Hayes dem Mast den letzten Schubs geben, während seine fünf Kameraden zerren und reißen, um ihn in die Vertikale zu wuchten.
Es ist diese Dynamik, eingefroren in einer Vierhundertselsekunde, die "Raising the Flag on Iwo Jima", zu einem einzigartigen Foto macht. Der Fotograf Joe Rosenthal erhielt dafür den Pulitzerpreis. Und es war die amerikanische Regierung, die das Foto zu einer Ikone machte. Zu einem Symbol des Sieges, das im kollektiven Gedächtnis der Amerikaner so tief eingegraben ist, dass es sich auch später mühelos revitalisieren ließ, zum Beispiel nach dem 11. September.
Nur jeder zwanzigste japanische Soldat in Iwo Jima überlebte
Dabei war Iwo Jima, die nur 21 Quadratkilometer kleine, aber strategisch wichtige japanische Insel im Pazifik, längst nicht erobert, als Rosenthal auf den Auslöser drückte. Das Foto entstand am 23. Februar 1945, am fünften Tag der amerikanischen Invasion. Die Schlacht dauerte noch bis Ende März und kostete mehr als 6000 amerikanische Soldaten das Leben - unter ihnen drei der Männer, die auf dem Foto zu sehen sind. Ira Hayes, im Bild ganz links, und zwei andere überlebten.
Von den etwa 21 000 japanischen Verteidigern, die ihre Bunker und Stollen tief in die Insel eingegraben hatten, überlebte nur jeder zwanzigste.
Iwo Jima war eine blutige Schlacht, aber es war weder die verlustreichste noch die bedeutendste des Zweiten Weltkriegs im Pazifik. Dass sie dennoch die berühmteste ist, liegt an diesem Foto.
Am Morgen des 23. Februar hissten US-Soldaten auf der höchsten Erhebung der Insel, dem Mount Suribachi, eine amerikanische Flagge. Die amerikanischen Soldaten auf der Insel und auf den Schiffen jubelten. Doch die Flagge wurde für zu klein befunden. Ein zweiter Trupp brach auf, um eine größere Flagge zu hissen, 137 auf 71 Zentimeter. In diesem Moment drückte Joe Rosenthal auf den Auslöser.
Rosenthal wurde oft vorgeworfen, das Motiv inszeniert zu haben. Das stimmt nicht, davon zeugt ein Filmsequenz derselben Szene: ein kurzer, wenig heroischer Akt, der erst in der fotografischen Verdichtung Pathos ansetzt. Aber ein Glückstreffer war das Bild trotzdem nicht.
Je länger der Krieg im Pazifik dauerte (in Europa war er Ende Februar 1945 noch nicht vorbei, aber entschieden) und je mehr Opfer er forderte, desto besser musste er in der Heimat verkauft werden. Dafür brauchte die amerikanische Regierung nicht nur Siege. Sie brauchte auch die Gesichter und die Geschichten dazu. Die Landungstruppen wurden deshalb von einem Presseschiff nach Iwo Jima begleitet. Rundfunkreporter berichteten von Bord, 90 Fotografen und Journalisten gingen mit an Land. Einer von ihnen war Joe Rosenthal.
Wohl kaum ein Foto wurde so oft vervielfältigt
Sein Foto überflutete innerhalb kürzester Zeit die USA. Zwei Tage nach der Aufnahme war es auf der Titelseite der New York Times. Zwei Monate später hing es millionenfach in amerikanischen Bahnhöfen, Fabriken und Kinos und warb für amerikanische Kriegsanleihen. Und im Juli 1945 begann die US-Post, die "Flagraiser" auf eine 3-Cent-Briefmarke zu drucken. Sie wurde innerhalb von drei Jahren 137 Millionen Mal verkauft. Womöglich gibt es auf der Welt kein Foto, das häufiger vervielfältigt wurde.