Das Politische Buch:Der Krieg in den Köpfen

Das Politische Buch: Auf dem Weg zur Entscheidungsschlacht: Deutschen Soldaten in ihren Panzerwagen bei einer Rast auf ihrem Vormarsch Richtung Stalingrad.

Auf dem Weg zur Entscheidungsschlacht: Deutschen Soldaten in ihren Panzerwagen bei einer Rast auf ihrem Vormarsch Richtung Stalingrad.

(Foto: Scherl/Süddeutsche Zeitung Photo)

Peter Englund will zeigen, wie der Zweite Weltkrieg erlebt wurde. Er konzentriert dafür seinen Blick auf einen einzigen Monat im Jahr 1942. So gelingt ihm ein eindrucksvolles Panorama.

Von Cord Aschenbrenner

Vierzig Menschen in Europa, Asien, Nordafrika und Nordamerika. Ein Monat im Zweiten Weltkrieg, der November 1942. Und die Erlebnisse, Gefühle, Gedanken dieser 40 Männer und Frauen, die einander nicht kennen, deren Leben in diesen vier Wochen aber mal mehr, mal weniger vom Krieg betroffen ist, so wie bei der Mehrheit der Menschheit am Ende des Jahres 1942. Das ist die Ausgangslage oder auch die Versuchsanordnung von "Momentum". Der Historiker Peter Englund, einst Kriegsberichterstatter, später Ständiger Sekretär der Schwedischen Akademie, beschreibt nicht klassisch den Krieg, sondern wirft einen genauen Blick auf den Menschen im vierten Kriegsjahr - zu einer Zeit, als die Achsenmächte Deutschland und Japan noch längst nicht geschlagen waren. Sein Buch soll, wie er schreibt, "etwas darüber sagen, wie der Krieg war".

Das Politische Buch: Peter Englund: Momentum. November 1942 - wie sich das Schicksal der Welt entschied. Aus dem Schwedischen von Susanne Dahmann. Rowohlt, Berlin 2022. 672 Seiten, 35 Euro. E-Book: 28,99 Euro

Peter Englund: Momentum. November 1942 - wie sich das Schicksal der Welt entschied. Aus dem Schwedischen von Susanne Dahmann. Rowohlt, Berlin 2022. 672 Seiten, 35 Euro. E-Book: 28,99 Euro

(Foto: Rowohlt)

Englund war einer der ersten Autoren, wenn nicht der erste, der 2008 einen historischen Zeitabschnitt aus der Perspektive vieler meist unbekannter Protagonisten zeichnete, indem er deren Briefe und Aufzeichnungen zu einem umfassenden Panorama montierte - es ging um den Ersten Weltkrieg, das Buch heißt "Schönheit und Schrecken" (Rowohlt, 2011). In seinem neuen Werk geht Englund wieder so vor, dabei entsteht eine so beklemmende wie fesselnde Schilderung des Krieges in seiner unterschiedlichen (und zutiefst ungerechten) Ausprägung - für die Hausfrau Dorothy Robinson auf Long Island brachte er nur eine Art Unbehagen angesichts der Verdunkelung und des Verschwindens von Männern und Söhnen ringsum an die Fronten. Für die Journalistin Wera Inber im belagerten Leningrad war er ein existenzieller, mörderischer Schrecken; unsagbar grauenvoll war, was der KZ-Häftling Jechiel Rajchman durchlitt, der in Treblinka den Ermordeten die Goldzähne herausreißen musste.

40 Personen und ihre Emotionen

Der deutsche Untertitel des Buches führt in die Irre. Denn Englund zeichnet eben gerade nicht die großen Linien, die im November 1942 zusammenliefen und die schon früher eingeleitete Kriegswende unumkehrbar machten: die Offensive der Roten Armee bei Stalingrad, die Niederlage der Deutschen bei El-Alamein, die Landung der Alliierten in Algerien und Marokko, die Schlacht amerikanischer Truppen gegen die Japaner auf der Salomonen-Insel Guadalcanal. Stattdessen arrangiert er klug und sehr eindrücklich auf weit mehr als 500 Seiten - hinzu kommt ein ausführlicher Anmerkungsapparat von eigenem Wert - sein Personal, dessen Angst und Hoffen an ebendiesen Fronten, in den Bombenflugzeugen, in den Geleitzügen, in der gespannten Ruhe Berlins, im besetzten Europa, auch am Filmset von "Casablanca". Einige wie Wassili Grossman, Ernst Jünger, Albert Camus, die spätere SZ-Journalistin Ursula von Kardorff, Sophie Scholl, die Pazifistin Vera Brittain sind bekannt, andere holt Englund aus dem Dunkel der Geschichte. Gelungen ist ihm so ein beeindruckendes, bewegendes Buch über den Zweiten Weltkrieg.

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