Zweiter Jahrestag des Arabischen Frühlings:Was von der Revolution bleibt

Protesters against Egypt's President Mohamed Mursi light fireworks as they gather at Tahrir Square in Cairo

Der Kairoer Tahrir-Platz im Jahr 2011: Zwei Jahre nach der Revolution herrscht Missstimmung in der arabischen Welt.

(Foto: REUTERS)

Die arabische Welt findet keinen Frieden: Tunesier, Libyer und Syrer wollen sich nicht arrangieren, in Ägypten stecken Muslimbrüder und Säkulare im Grabenkampf. Das Land fürchtet sich vor Gewaltexzessen, gerade am zweiten Jahrestag der Revolution. Manche fragen sich, wem die Aufstände genutzt haben - außer al-Qaida und anderen Steinzeitkriegern.

Ein Kommentar von Sonja Zekri, Kairo

Gibt es Deprimierenderes als den zweiten Jahrestag einer Revolution? Ägyptens Medien und Politiker beschwören die glorreichen Tage des Mubarak-Sturzes, aber viele Menschen können die Phrasen nicht mehr hören. Die Währung schmilzt, die Preise steigen, die Wirtschaft ächzt. Hooligans blockieren Metrostationen und Nil-Brücken, um harte Urteile für die Toten bei Fußballkrawallen zu erzwingen. Auf dem Tahrir-Platz gibt es am Donnerstagabend erste Zusammenstöße, das Land fürchtet Exzesse, schlimmer noch: endlose Agonie. Die Revolution kommt manchen so vor wie Giuseppe Tomasi di Lampedusas "Leopard" die Ehe: Ein Jahr Feuer, 30 Jahre Asche.

Politisch herrscht Grabenkampf, das macht es nicht besser. Sie müssten teilen lernen, die Muslimbrüder und die Säkularen. Keinem gehört das Land, keiner darf dem anderen mit Vernichtung drohen, so groß der ideologische Widerwillen auch ist. Gewiss wäre es unter Modernisierungsgesichtspunkten begrüßenswert und zudem eine Sensation, wenn die Islamisten in Ägypten, der Wiege der Muslimbrüder, politisch besiegt würden.

Nach einem halben Jahr an der Regierung werden die Muslimbrüder weniger geliebt als sie sich wünschen. Sie organisieren politische Mehrheiten und siegen dank der politischen Dummheit ihrer Gegner. Aber sie begeistern nicht. Christen, Säkulare und viele Frauen betrachten sie als Feind. Präsident Mursi und die Muslimbrüder wiederum investieren einen Großteil ihrer Energie in die Eroberung eines störrischen Apparates, in den Kampf gegen echte oder vermeintliche Mubarak-Getreue, in die Konsolidierung der Macht.

Die Muslimbrüder werden nicht verschwinden, so wenig wie die Anhänger eines offenen Lebensstils. Selbst der in den Augen der Islamisten so zersetzende Einfluss des Westens - Säkularismus, universale Rechte, ein aufgeklärterer Kulturbegriff - wird sich nur mit offener Repression auslöschen lassen. Das kann passieren. In den Ländern der ehemaligen Sowjetunion kann man studieren, dass autoritäre Rückfälle nie ausgeschlossen sind. Die Russen wurden nach einer berauschenden Selbstbefreiung zermürbt durch Not, Kriminalität und Demütigungen. Irgendwann galt Demokratie als Schimpfwort, und die erschöpften Massen begrüßten einen neuen Autokraten.

Das Übel wurzelt im vorrevolutionären Unrecht

Angesichts des arabischen Missvergnügens fragen sich manche also, wem die Aufstände genützt haben außer al-Qaida und anderen Steinzeitkriegern, die in geschwächte Staaten wie Syrien und Mali einfallen, Waffen horten, frische Verbündete gewinnen, Amerika und Europa auf immer neue Weise gefährlich werden. Hätten die Ägypter oder Tunesier sich und der Welt nicht viel erspart, wenn sie sich mit den Autokraten arrangiert hätten? Und wenn schon ein paar Islamisten in Wüstengefängnissen verschwanden - ohne Prozess, ohne Urteil, ohne Aussicht auf Entlassung? Das können sich manche Säkulare und die wieder aktiven Mubarak-Getreuen noch immer gut vorstellen.

Die historische Wahrheit ist: Offenbar wollten die Ägypter und Tunesier sich nicht arrangieren, nicht einmal die Libyer und Syrer. Zugegeben, die Bilanzen sind trüb, aber das Übel wurzelt im vorrevolutionären Unrecht. Die Tuareg wurden herumgestoßen, bis Libyens Gaddafi sie umarmte. Nach seinem Sturz paktierten sie mit den Islamisten in Mali, nun vielleicht mit den Franzosen, vielleicht kehren sie nach Libyen zurück. In Syrien war die Harmonie der Völker und Religionen erzwungen, nicht Ergebnis eines Ausgleichs. Und: Die Drohung vor einem Gottesstaat war für Arabiens Autokraten ein Joker. Der stach immer, wenn sie die religiösen Gruppen gegeneinander ausspielen wollten. Gesteigert wurde nur der Märtyrernimbus - das Ergebnis sieht man heute.

Für den Westen bleibt deshalb vor allem Ehrlichkeit: Wann ist Stabilität tatsächlich Ausdruck von Ausgewogenheit? Wann verraten Wahlen den Volkswillen? Wann sind sie scheindemokratisches Ritual? Diese Fragen gelten den neuen islamistischen Regimen, aber auch den vermeintlich wetterfesten Monarchien. Gerade freut sich Jordaniens König Abdullah über eine schöne Wahlbeteiligung und viele loyale Abgeordnete, da brechen Proteste aus: Die Muslimbrüder haben die Wahl boykottiert, die Opposition will sich nicht abspeisen lassen. Sie werden teilen müssen, auch hier.

Selbst die reichen Monarchien am Golf sehen sich beispiellosen Forderungen gegenüber. Die Schiiten in Saudi-Arabien und Bahrain, die Islamisten in Kuwait, junge Menschen, Frauen in der ganzen Region erheben Ansprüche, die die Herrscher mit Geld oder Gewalt ersticken. Und mit der vertrauten Drohung vor dem Chaos, das ausbräche, wenn sie einmal nicht mehr da sein sollten.

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