Zwei Jahre schwarz-gelbe Koalition:Sie wollten viel - wir bekamen wenig

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Die Energiepolitik? Eine Achterbahnfahrt. Die Sozialpolitik? Ein bürokratisches Monster. Die Steuerpolitik? Oh weh! Die Liste der Baustellen der schwarz-gelben Koalition ist lang. Viele Projekte sind gar nicht angepackt worden, andere nur verschlimmbessert. Bis 2013 wartet viel Arbeit auf Kanzlerin Merkel und ihr Kabinett.

Thorsten Denkler

Manch einem Koalitionspolitiker graut es bei den Projekten, die Schwarz-Gelb bis 2013 noch zu bewältigen hat. CDU, CSU und FDP haben viel versprochen und wenig eingehalten. Ob Steuersenkungen oder die Frauenquote - überall lauern heikle Fragen und ungelöste Probleme. Ein Überblick.

Prellbock für liberale Vorhaben: Finanzminister Wolfgang Schäuble hat den Ruf der FDP nach Steuersenkungen früh abgeblockt. Dabei ist es nach zwei Jahren Schwarz-Gelb geblieben. (Foto: dpa)

Bundeswehr

Die Wehrpflicht ist abgeschafft. Das ist durchaus ein Erfolg von Schwarz-Gelb. Oder besser von Karl-Theodor zu Guttenberg. Obwohl er da wie bei so vielem auch nur abgeschrieben hat. Die FDP hatte die Idee weit vor der Union. Der Sparzwang machte die Neubewertung der Wehrpflicht letztlich möglich. Guttenberg musste dann Anfang 2011 zurücktreten. Für die Bundeswehr ein Glück, wie sich herausstellte. Statt eines gutbestellten Hauses hatte Guttenberg ein planerisches Chaos hinterlassen. Nachfolger Thomas de Maizière hat aufgeräumt und jetzt eine Bundeswehrreform konzipiert und vorgestellt, die diesen Namen auch verdient.

Hängengelassen hat die Bundesregierung hingegen die vielen Krankenhäuser, Altenheime und andere soziale Einrichtungen, die auf Zivildienstleistende angewiesen waren. Statt Übergänge zu schaffen, setzte Guttenberg das Ende der Wehrpflicht und damit des Zivildienstes im Hauruckverfahren durch. Der eilige eingerichtete Bundesfreiwilligendienst kommt nur schleppend voran. Und freiwillig Wehrdienstleistende sind selten - dabei bräuchte die Bundeswehr sie dringend zur Nachwuchsgewinnung.

Krieg und Frieden

Der deutsche Einsatz in Afghanistan hat die schwarz-gelbe Regierung durchgehend beschäftigt. Im Gegensatz zur schwarz-roten und zur rot-grünen Vorgängerregierung aber hat sie ein paar neue Akzente gesetzt. Erstmals hat mit Karl-Theodor zu Guttenberg ein deutscher Verteidigungsminister Verständnis dafür gezeigt, von einem Krieg am Hindukusch zu sprechen. Nicht zu vernachlässigen ist auch der Beschluss, die deutschen Soldaten ab 2012 aus Afghanistan abzuziehen.

Unter gehörigen Druck ist die Bundesregierung allerdings in einem anderen Konflikt geraten. Anfang des Jahres erfasste der Arabische Frühling auch Libyen. Diktator Gaddafi ging mit brutaler Härte gegen die rebellierende Zivilbevölkerung vor. Am 17. März kam der UN-Sicherheitsrat zusammen, um eine Flugverbotszone über dem Land zu verhängen. Später stellte sich heraus, dass das der entscheidende Schritt war, um Libyen von seinem Despoten zu befreien.

Deutschland aber enthielt sich bei der Abstimmung im Weltsicherheitsrat. Es hatte keine Meinung und stand damit nicht an der Seite seiner transatlantischen Verbündeten, sondern neben China, Russland und Brasilien. International war Deutschland plötzlich isoliert. Zumal die anstehenden Landtagswahlen erkennbar ausschlaggebend für die Enthaltung waren. Angeblich soll Westerwelle, damals noch FDP-Parteichef, sogar auf ein Nein gedrungen haben. Merkel soll ihn gerade noch zu einer Enthaltung gedrängt haben. Westerwelle verlor dadurch noch mehr an Ansehen.

Energie

Was für eine Achterbahnfahrt. Gegen den erbitterten Widerstand der Bevölkerung setzte Schwarz-Gelb Ende 2010 eine Verlängerung der Laufzeiten für Atomkraftwerke durch. Die Koalitionäre verteidigten das Projekt, als hänge das wirtschaftliche Überleben Deutschlands von der Entscheidung ab. Dann kam es im japanischen AKW Fukushima-1 zum Super-GAU, und plötzlich wurde alles auf den Stand des rot-grünen Atomausstiegs zurückgefahren. Weil die Kanzlerin es wollte. Ihre überraschende Erkenntnis: Atomkraft ist vielleicht doch nicht so sicher, wie gedacht.

Profit konnte Angela Merkel daraus nicht schlagen. Es sah eher aus wie eine Notbremse kurz vor der wichtigen Landtagswahl in Baden-Württemberg. Genützt hat es nichts. Die Wahl ging verloren.

Bei ihren Stammwählern und beim Parteivolk hat Merkel dadurch ein Stück Ansehen eingebüßt. Jahrzehntelang hatten sich Unionswahlkämpfer auf der Straße wegen der Pro-Atom-Haltung ihrer Partei anblaffen lassen müssen. Und Merkel räumte diese Traditionslinie der Partei wegen eines Unfalls im fernen Japan innerhalb von Stunden einfach ab. Manchen ging das eindeutig zu schnell.

Sparen

Brummt die Konjunktur, sprudeln die Steuereinnahmen und sinkt die Notwendigkeit, neue Schulden zu machen. Die Konjunktur brummt, besser als erwartet. Und das ist das Glück von Finanzminister Wolfgang Schäuble. Der konnte so die Netto-Neuverschuldung geringer als erwartet ausfallen lassen. Für 2010 etwa 44 Milliarden Euro - statt der von seinem Vorgänger Peer Steinbrück angepeilten mehr als 80 Milliarden Euro.

Dennoch: Schäuble bleibt in der Disziplin Schuldenmachen mit diesen 44 Milliarden Euro einsamer Rekordhalter. Doch geht es der Wirtschaft weiter so gut, dann könnte er es sein, der die Neuverschuldung des Bundes auf nahe null senkt. Das wäre ein Teilerfolg. Insgesamt steht Deutschland mit zwei Billionen Euro in der Kreide. Ein gewaltiger Betrag. Erst wenn dieser Schuldenberg nachhaltig abgetragen wird, sollte sich ein Finanzminister für erfolgreich halten dürfen.

Arbeitsmarkt

Es gibt heute weniger Arbeitslose als zu rot-grünen Zeiten. Das ist unbestritten. Nach knapp unter fünf Millionen Arbeitslosen 2005 ist die Zahl auf heute etwa drei Millionen gesunken. Fraglich ist, welchen Anteil daran konkret die schwarz-gelbe Bundesregierung hat. Es war die rot-grüne Bundesregierung die mit den Agenda-Reformen den Arbeitsmarkt flexibilisiert hat.

Das Ziel war damals, die Unternehmen dazu animieren, in einer Phase des Aufschwungs schneller Arbeitnehmer einzustellen als zu früheren Zeiten. Diese Schwelle wurde unter anderem durch Zeitarbeit, befristete und Mini-Jobs gesenkt. Schwarz-Gelb hat den Arbeitsmarkt dagegen bisher kaum angefasst. Außer vielleicht, um einige aus ihrer Sicht unnütze Fortbildungsprogramme zu streichen.

Völlig unbearbeitet bleibt das Problem des Fachkräftemangels. Union und FDP liegen im Clinch darüber, ob Fachkräfte aus dem Ausland helfen können. Deutschland als Einwanderungsland für Hochqualifizierte: Die FDP wäre dafür, der Großteil der Union stemmt sich dagegen. Eine Lösung ist nicht in Sicht.

Auch die Frage einer Frauenquote für die Wirtschaft bleibt eine heikle Frage. Familienministerin Kristina Schröder von der CDU arbeitet an einem entsprechenden Gesetz, Arbeitsministerin Ursula von der Leyen, ebenfalls CDU, würde gerne auf eine gesetzliche Quote verzichten.

Von der Leyen wird sich außerdem mit Mindestlöhnen befassen müssen, etwa im Einzelhandel. Auch ein flächendeckender Mindestlohn steht zur Debatte - ob sich die Koalition dazu durchringen kann, ist allerdings fraglich.

Euro-Krise

Die Euro-Krise ist ein Problem, für das die schwarz-gelbe Bundesregierung nichts kann. Allerdings scheint sie auch nicht in der Lage zu sein, eine klare Linie vorzugeben. Merkel wirkt - wie alle anderen Chefs der Euro-Länder - wie eine Getriebene. Immer neue Milliardenlöcher müssen gestopft werden. Merkels Strategie bisher: Bei jedem Schritt müssen die Folgen des eigenen Handelns überschaubar sein.

Nur: Das reicht nicht mehr. Eine Bazooka soll jetzt her, ein Instrument, das den Märkten ein für allemal klarmacht, dass die Euro-Gruppe weder Griechenland noch ein anderes Euro-Mitglied fallenlassen wird. Der ganz große Schritt ist gefragt, um den Euro zu retten. Und plötzlich geht es nicht mehr um Milliarden, sondern um Billionen. Nur der Weg ist strittig. Merkel hat einen Schuldenschnitt und die Hebelung des EFSF auf über eine Billion Euro zunächst abgelehnt. Jetzt ist sie doch dafür und verkauft die Umsetzung auf dem Euro-Gipfel in Brüssel als ihren Erfolg.

Souverän wirkt das nicht. Hinzu kommt: Einigungen werden immer schwieriger, weil die Risiken steigen und die Zahl der von der Finanzkrise betroffenen Länder zunimmt. Was passiert, wenn die Bazooka versagt? Daran mag auch bei Schwarz-Gelb kaum einer denken.

Steuern

Ein schwieriges Thema. Steuersenkungen waren das wichtigste Versprechen der FDP im Wahlkampf. Und auch die CSU war dafür. Um 24 Milliarden Euro Entlastung sollte es gehen, so haben es die Koalitionäre im Koalitionsvertrag festgelegt. Am Anfang stand immerhin das eilig beschlossene sogenannte Wachstumsbeschleunigungsgesetz. Damit wurden tatsächlich Steuern gesenkt. Jedoch nur für Erben, Hotelbesitzer und Unternehmer. Der Dschungel unterschiedlicher Mehrwert-Steuersätze wurde damit nur vergrößert. Kleine und mittlere Einkommen hatten nichts davon - der erste richtig große Fehler der Koalition.

Dann schlugen Wirtschafts- und Finanzkrise zu. Steuersenkungen schienen plötzlich haushaltspolitisches Harakiri zu sein. Die Einzigen, die das nicht einsehen wollten, waren die Liberalen. Die schwadronierten noch über Steuersenkungen, als längst klar war, dass es dafür keine Mehrheit geben würde.

Als im Frühjahr 2010 endlich Einsicht auch bei den Liberalen einkehrte, war es schon zu spät. In den Umfragen war die FDP bereits abgestürzt, und zwar nachhaltig, wie sich herausstellen sollte.

Eineinhalb Jahre später - und mit einem neuen Parteivorsitzenden - versucht die FDP zusammen mit CDU-Finanzminister Wolfgang Schäuble nun einen neuen Anlauf. Es geht nur noch um maximal sieben Milliarden, die bei einer leichten Korrektur der kalten Progression den Bürgern zugutekommen sollen. Macht im Schnitt etwa 75 Cent im Monat pro Steuerbürger.

Nur: Weder Schäuble noch Rösler noch Kanzlerin Merkel haben CSU-Chef Horst Seehofer eingebunden. Der ist jetzt so sauer, dass er auch dieses Reförmchen blockieren will oder sich die Zustimmung teuer abkaufen lässt: Etwa um die von ihm geliebte Pkw-Maut oder das Betreuungsgeld für daheim erziehende Eltern durchzusetzen. Damit es überhaupt noch eine Entlastung gibt, könnte der Solidaritätszuschlag abgeschmolzen werden. Aber sicher ist gar nichts.

Gesundheit

Es sollte das große Projekt der neuen schwarz-gelben Regierung werden: eine Gesundheitsreform aus einem Guss. Nicht die Bürgerversicherung, sondern die Kopfprämie sollte das Modell der Wahl sein. Nur wollte die Union sie dann doch nicht mehr ganz so dringend, wie sie es auf einem Parteitag in Leipzig beschlossen hatte.

Heraus kam wie so oft statt eines großen Wurfes eine eher kosmetische Veränderung des Gesundheitssystems. Alles bleibt im Grunde beim Alten. Allerdings wurden die Arbeitgeberbeiträge eingefroren. Steigen werden künftig nur noch die Arbeitnehmerbeiträge.

Außerdem hat Schwarz-Gelb den Wechsel in eine private Krankenversicherung erleichtert, was ganz im Sinne der FDP war. Gespürt haben die meisten Versicherten von der Reform aber nur eines: Die Kassenbeiträge sind gestiegen. Mehr Netto vom Brutto, dafür haben viele ihr Kreuz bei der FDP gemacht. Sie bekamen etwas anderes geliefert, als sie bestellt hatten.

Brach liegt die Reform der Pflegeversicherung. Da prallen ideologische Welten aufeinander. Die FDP will die Pflegeversicherung langfristig privaten Versicherern zuschustern. Die freuen sich auf gute Geschäfte. Die Union sähe es lieber, wenn die Versicherung in staatlichen und damit solidarischen Händen bliebe. Gesundheitsminister Daniel Bahr musste die Veröffentlichung von Eckpunkten seiner Reform mehrfach verschieben.

Soziales

Heute schreibt sich die Koalition die Erhöhung der Grundsicherung für Hartz-IV-Empfänger auf ihre eigenen Fahnen. Dabei hätte sie das Thema wohl nie angefasst, wenn nicht Anfang 2010 das Bundesverfassungsgericht die Neuberechnung der Regelsätze für Kinder verlangt hätte. Weil auch die Länder den Änderungen zustimmen mussten und Schwarz-Gelb im Bundesrat keine Mehrheit mehr hatte, waren Verhandlungen mit der SPD nötig.

In dramatischen Nachtsitzungen kam am Ende eine Einigung zustande, die neben der Erhöhung des Regelbetrages für Erwachsene um acht Euro vor allem ein Bildungspaket für bedürftige Kinder im Umfang von 1,6 Milliarden Euro vorsah. Das war der ganze Stolz von Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen. Doch hatte sie damit ein bürokratisches Monster geschaffen, das bis heute Probleme macht.

Zu wenige Eltern beantragen die Übernahme der Kosten etwa für Musikunterricht, Nachhilfe oder Sportvereine. Auch die Übernahme der Kosten für ein warmes Schulmittagessen hat sich in weiten Teilen als schlechter Witz erwiesen. Viele Kommunen und einige Länder hatten schon vorher warme Mittagessen garantiert. Diese freiwillige Leistung haben die meisten jetzt eingestellt und lassen sie sich vom Bund aus dem Bildungspaket bezahlen. Für Kinder aus armen Familien hat sich damit kaum etwas verbessert.

Bürgerrechte

Zumindest die FDP war angetreten, die Bürgerrechte wieder zu schützen. Doch die schwarz-gelbe Bilanz ist durchwachsen. Das umstrittene Sperren von Internetseiten mit kinderpornographischem Inhalt hat sie zwar rückgängig machen können. Löschen statt sperren ist jetzt die Devise.

Auf anderen Feldern bleibt Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, für manche eine Ikone der Bürgerrechtsverteidiger, auffällig erfolglos. So konnte sie nicht verhindern, dass die Anti-Terror-Gesetze verlängert wurden, die den Sicherheitsbehörden weitreichende Befugnisse geben. Nur ein paar selten genutzte und erkennbar unsinnige Regelungen wurden herausgenommen. Auch das Swift-Abkommen zwischen der EU und den USA über die umfangreiche Weitergabe von Bankdaten musste die FDP schlucken.

Offen ist noch die Frage der Vorratsdatenspeicherung. Hier liegt der Trumpf in den Händen der FDP. Das Bundesverfassungsgericht hat die Vorratsdatenspeicherung im März 2010 für nichtig erklärt, alle Daten mussten gelöscht werden. Die Union will das Instrument zurückhaben. Die Liberalen sträuben sich nach Kräften.

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