Zuwanderung:In Ideologie erstarrt

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Die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Marieluise Beck, warnt vor ideologischen Grabenkämpfen, doch Regierung und Opposition finden auch im Vermittlungsausschuss nicht zueinander. Dabei prophezeien Experten Deutschland längst einen Mangel an qualifizierten Arbeitskräften.

Im Jahr 2002 sind 219.000 mehr Menschen nach Deutschland gezogen, als im selben Zeitraum das Land verließen. 843.000 Menschen kamen nach Deutschland, 623.000 zogen fort. "Deutschland ist gleichermaßen Einwanderungs- und Auswanderungsland", kommentierte Beck den jüngsten Migrationsbericht.

Asylbewerber in Hamburg (Foto: Foto: dpa)

Die Zahlen zeigten eine hohe Mobilität gleichermaßen von Deutschen wie Ausländern, böten aber keinerlei Anlass zu aufgeregter Diskussion. Seit den 90er Jahren habe sich das Migrationsgeschehen deutlich beruhigt, sagte Beck.

Ideologische Debatten lohnen nicht

Als ein Beispiel nannte sie den Ehegatten- und Familiennachzug, bei dem es 2002 insgesamt nur um 80.000 Menschen gegangen sei. Schwerpunkt sei dabei inzwischen entgegen weitverbreiteten Vermutungen nicht mehr "der Türke in Kreuzberg, der aus Anatolien seine Ehefrau nachholt", sondern überwiegend gehe es um Deutsche, die im Ausland ihren Partner oder ihre Partnerin kennenlernen und dann zusammen leben wollen.

Die Verhandlungen um das Zuwanderungsgesetz sind unterdessen in die entscheidende Phase gegangen. Die zuständige Arbeitsgruppe des Vermittlungsausschusses kam in Berlin zusammen, um die Einigungschancen in den seit Monaten festgefahrenen Gesprächen auszuloten. Die FDP kündigte einen Kompromissvorschlag an.

Deutliche Differenzen

Grünen-Fraktionsgeschäftsführer Volker Beck sagte vor dem Beginn der Sitzung, es gebe bei allen drei Kernpunkten des Gesetzes - Arbeitsmigration, Zuwanderung aus humanitären Gründen und Integration - noch deutliche Differenzen. Für die Union kritisierte Fraktionsvize Wolfgang Bosbach, bislang habe Rot-Grün keine ausreichenden Zugeständnisse gemacht.

Da es - wie von der Integrationsbeauftragten Beck konstatiert - neben einer relevanten Einwanderung auch eine relevante Abwanderung gibt, rechnen Experten in wenigen Jahrzehnten mit einem großen Bedarf an ausländischen Arbeitskräften.

Zu diesem Schluss kommen etwa die von den EU-Staats- und Regierungschefs eingesetzen Taskforce Beschäftigung sowie eine Untersuchung des Migrationsexperten Elmar Hönekopp vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) in Nürnberg.

Demographischer Effekt

Hönekopp zufolge ist trotz vier Millionen Arbeitsloser eine Zuwanderung von bis zu einer halben Million Arbeitskräften pro Jahr schon allein wegen der zunehmenden Überalterung der in Deutschland lebenden Beschäftigten unumgänglich.

Der Trend, dass immer mehr Menschen aus dem Arbeitsmarkt ausscheiden als neue nachkommen, werde derzeit durch den Neueintritt von Frauen ins Berufsleben zwar noch kompensiert.

Der sich verschärfende demographische Effekt der Überalterung kann nach Berechnungen des IAB aber selbst bei einer Nettozuwanderung von jährlich 500.000 Arbeitskräften noch nicht rückgängig gemacht, sondern allenfalls um 20 Jahre verschoben werden.

Benötigt würden allerdings nicht unqualifizierte Hilfskräfte, sondern vor allem gut ausgebildete Spezialisten. Dafür Quoten einzuführen, halten die Experten für nicht zielführend. Diesen Kräften müsse sich Deutschland lediglich als attraktives Land anbieten.

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