Süddeutsche Zeitung

Zuwanderung in Deutschland:Gefragte Rumänen

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Immer mehr Zuwanderer aus den neuen EU-Staaten im Osten finden Jobs in Deutschland. Aber zugleich sind auch immer mehr auf soziale Hilfen angewiesen. Beide Entwicklungen zusammengenommen wirken zunächst paradox - doch es gibt eine Erklärung.

Von Roland Preuß, München

Es ist ruhig geworden um die sogenannten Armutszuwanderer aus Rumänien und Bulgarien. Im Januar dieses Jahres hatte eine Stellungnahme der EU-Kommission vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) Empörung hervorgerufen. Brüssel plädierte dafür, dass Deutschland EU-Bürgern leichter Hartz IV-Leistungen gewähren muss, auch wenn diese nie im Land gearbeitet haben oder gar keine Arbeit suchen. An diesem Dienstag entscheiden darüber nun die obersten Richter der EU. Die Attraktivität Deutschlands hat durch die Debatte offenbar nicht eingebüßt: Seit Anfang des Jahres sind abzüglich der Auswanderer etwa 100 000 Bulgaren und Rumänen neu eingewandert. Die Zahlen des Nürnberger Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) zeigen: Die Schere innerhalb dieser Gruppe geht immer weiter auseinander.

Zum einen finden immer mehr Zuwanderer aus den beiden neuen EU-Ländern Arbeit. "Die Beschäftigung ist deutlich stärker gestiegen als erwartet, es läuft besser als damals bei der Öffnung für Polen und die anderen EU-Staaten im Osten", sagt der Migrationsexperte Herbert Brücker vom IAB. Hintergrund ist insbesondere die Arbeitnehmerfreizügigkeit, die seit Anfang dieses Jahres auch für Rumänen und Bulgaren gilt. Dadurch können diese leichter eine reguläre, sozialversicherte Beschäftigung aufnehmen. Im Vergleich zum Januar des Jahres sind deutlich weniger Rumänen und Bulgaren arbeitslos, die Quote sank von 11,4 auf 9,2 Prozent. Die Entwicklung am Arbeitsmarkt verlaufe "weiter positiv", schreibt das Institut in einem aktuellen Papier zum Thema.

Doch neben den Menschen, die Arbeit finden, wächst auch die Zahl der Hartz-IV-Bezieher unter den Rumänen und Bulgaren, und sie wächst schneller als der Anteil der Beschäftigten. Das ist die andere Seite. Während die Jobcenter im Juli vergangenen Jahres noch fast 38 000 Hartz-IV-Bezieher unter den Zuwanderern registrierte, waren es im Juli bereits fast 66 500. "Es gibt eine Polarisierung", sagt Brücker. "Der Anteil der Hartz-IV-Bezieher unter den Bulgaren und Rumänen steigt kontinuierlich, dieser Trend besorgt mich."

Die Verwerfungen spüren vor allem Großstädte wie Duisburg und Berlin

Beide Entwicklungen zusammengenommen wirken zunächst paradox: Mehr Menschen finden Arbeit und zugleich sind mehr Menschen auf soziale Hilfe angewiesen. Die Arbeitsmarktforscher erklären dies durch die hohe Zahl der Zuwanderer, die zuvor nicht gearbeitet haben aber auch keine Sozialleistungen bezogen. Womöglich schlugen sich einige mit Kindergeld oder Gelegenheitsjobs durch oder wussten nichts über ihre Rechte auf Sozialleistungen. "Nun greift die Sozialarbeit der Kommunen", sagt Brücker.

Die sozialen Verwerfungen spüren vor allem Großstädte wie Berlin, wo im August auf drei Rumänen und Bulgaren mit Beschäftigung ein Arbeitsloser kam. In Duisburg liegt der Anteil sogar bei fast einem Drittel, während in München, wo 26 000 Rumänen und Bulgaren leben, die Zuwanderer offenbar viel gefragter sind. Hier liegt die Arbeitslosenquote gerade einmal bei 7,5 Prozent. Trotz aller Debatten und Integrationsprogramme hat sich daran in den vergangenen zwölf Monaten kaum etwas geändert. "Eine durchgreifend Besserung der Situation", schreiben die IAB-Forscher, sei "nicht erkennbar".

Große Unterschiede machen die Forscher zwischen Bulgaren und Rumänen aus. Während etwa rumänische Zuwanderer nur zu 6,5 Prozent arbeitslos waren, lag die Quote bei den Bulgaren mehr als doppelt so hoch (15,3 Prozent). Ähnlich sieht es bei den Hartz-IV-Beziehern aus. Die IAB-Forscher kommen deshalb zu einem überraschenden Fazit: die Rumänen gehörten "zu den am besten in den Arbeitsmarkt integrierten Ausländergruppen in Deutschland". Da passt es schlecht ins Bild, dass der EuGH ausgerechnet wegen der Klage einer jungen Rumänin urteilt. Die Frau lebt mit ihrem Kind seit 2010 in Deutschland bei ihrer Schwester in Leipzig und hatte vergeblich Hartz-IV-Leistungen beantragt. Ihr Fall dürfte am Dienstag wieder heftige Debatten hervorrufen, egal, wie die Richter entscheiden.

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Quelle:
SZ vom 11.11.2014
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