Süddeutsche Zeitung

Flüchtlingshelfer:"Zur Wut reicht die Kraft nicht mehr"

  • Der Alltag von Flüchtlingshelfern wird überlagert von der politischen Diskussion.
  • Manche wirken resigniert, einer sagt: "Zur Verzweiflung reicht die Kraft nicht mehr".
  • Andere politisieren sich noch stärker, manche radikalisieren sich sogar. So ertappt sich ein Christ bei Nazivergleichen.
  • Die Gemeinsamkeit aller Helfer in diesem Report: Sie geben nicht auf.

Von Bernd Kastner

Es ist nicht lange her, da hat sich Bernd Scheffer noch selbst bremsen müssen: "Um ein Ziel zu erreichen, ist pure Empörung ein ganz schlechtes Mittel." Scheffer hatte sich mit ein paar Bekannten verabredet, um über ihr gemeinsames Ziel zu diskutieren, eine humane Asylpolitik. Er ist Psychologe, sie saßen in seiner Praxis und sinnierten, was die Politik mit den Flüchtlingshelfern macht. Als Therapeut, der auch Literaturwissenschaftler ist, weiß Scheffer mit Sprache und Stimmungen umzugehen. "Wir sind ein gnadenloses Land geworden", hatte er in einem Brief an die SZ geschrieben und dann Herbert Achternbusch, den Regisseur und Provokateur, zitiert: "Heimat ist da, wo man am liebsten speien möchte." Das war im Frühjahr, Scheffer, 70, war voller Kampfgeist. Und heute? "Ich bin müde geworden."

"Masterplan", Zurückweisungen, Seenotrettung - darum kreist seit Wochen die Debatte. Flüchtlinge selbst kommen fast nur versteckt in Statistiken vor. Und jene, die 2015 das Asylsystem vor dem Zusammenbruch bewahrten und seither die Integration voranbringen, die Millionen Ehrenamtlichen? Was sie sagen und denken, interessiert die Regierenden kaum mehr.

"Fassungslosigkeit." Werner Schiffauer braucht nur ein Wort für die Stimmung an der Helferbasis. Fassungslos seien die meisten darüber, wie "in einem Pingpong" zwischen Medien und Politik das Thema Flucht skandalisiert werde und wie die Sprache verrohe: Asyltourismus, Antiabschiebe-Industrie et cetera. Schiffauer, 66, ist als Vorsitzender des Rates für Migration eng vernetzt mit der Helferszene, wo sich viele fragten: "Spinnen die alle?" Gemeint sind die in Berlin und München, in den Parlamenten und Ministerien. Der Graben zwischen denen, die regieren, und denen, die helfen, ist tief. Bis ins Private wirke die Großwetterlage, im Freundeskreis müssten sich viele Helfer kritisieren lassen, sie spürten permanenten Rechtfertigungsdruck. "Es legt sich ein Mehltau über die Motivation", sagt Schiffauer. "Das lähmt."

Bernd Scheffer, der Therapeut, hat gerade erfahren, dass ein Afghane aus Kaufbeuren abgeschoben wurde, ein junger Mann, schwer krank, suizidgefährdet. Er saß in dem Flugzeug, das an Horst Seehofers 69. Geburtstag startete. Jetzt ist er in Kabul, ohne Hilfe, Scheffer macht sich große Sorgen. Und wie geht es ihm, dem verhinderten Helfer? Voller Wut? "Verzweiflung. Zur Wut reicht die Kraft nicht mehr."

Die Helfer sind Widrigkeiten gewohnt, sei es bei Behörden, sei es, weil es Konflikte gibt im direkten Kontakt mit den Flüchtlingen. Dieser Alltag aber wird derzeit überlagert von der politischen Diskussion. Zwischen Frust und Trotz pendeln die Gefühle der Helfer, zwischen Ärger über Abschottung und Freude über den ersten Job eines Betreuten. Es gibt nicht die eine Stimmung unter den Helfern, zu heterogen ist die Szene, aber ein paar Strömungen fallen auf: Die einen politisieren sich noch stärker, die nächsten resignieren, und wieder andere radikalisieren sich.

"Wir werden nicht ernst genommen"

Nicht dass sie Steine werfen, aber sie werden rigoroser im Denken und Reden, und kommen gerne aufs absolut Böse. Während AfD-Politiker die Nazis verharmlosen, dienen diese manchen Helfern als Warnung: Wenn wir nicht schnell umsteuern, ist es bald wieder so weit. "Lager", "Stacheldraht", "konzentrieren" - solch eine Begriffskombination weckt Assoziationen. Stephan Reichel hat sie gebraucht, um die aktuellen Massenunterkünfte zu kritisieren. Das war, als er vorigen Herbst in Nürnberg den Verein Matteo vorstellte, der engagierte Christen vernetzen will. Reichel, 65, war früher als Manager viel im Ausland, und als er schon in Rente war, diente er eine Weile der Evangelischen Landeskirche Bayern als Koordinator fürs Kirchenasyl. Man wolle die aktuellen "Lager" nicht mit KZs vergleichen, sagte er noch, aber es gebe eben doch manches, was "an diese schlimme Zeit" erinnere.

Das sehen Claudia Kuss und Elvira Bittner genauso. Sie sind eher Einzelkämpferinnen, Kuss im schwäbischen Obergünzburg, Bittner in München. Sie haben eine Erklärung verschickt, darin geißeln sie "menschenverachtende Vorgänge", nennen Abschiebung "Deportation" und beklagen, dass man "Menschen in Lagern konzentriert". Sie habe ganz bewusst diese Worte verwendet, sagt Kuss. "Die Parallelen werden immer deutlicher. Das Ganze macht mir Angst."

Beide Frauen sind 2015 zur Asylarbeit gekommen, beide stehen idealtypisch für jene, auf die Deutschland so stolz war. Bittner, 53, aufgewachsen in einem CSU-Haushalt, ist Übersetzerin von Beruf, Kuss, 57, arbeitet in der Verwaltung einer Schule. Sie sind erschüttert ob der politischen Entwicklung: Eine "Faschisierung" der Sprache registriere sie bei den Regierenden, sagt Bittner, und die erinnere sie an jene Zeit, als die Ausgrenzung ganzer Bevölkerungsgruppen begonnen habe. Höchste Zeit, dass man diese "Eskalation der Sprache" stoppe. Sie sagt es zu Politikern, aber auch zu sich und der Helferszene.

An wen sie nicht alles Briefe geschrieben hat, an Minister und Abgeordnete, weil sie nicht akzeptieren will, wie man etwa Afghanen die Arbeit verweigert und sie untätig herumsitzen lässt, um sie nach Jahren doch noch abzuschieben, weil sie nicht versteht, wie der Staat Familien auseinanderreißt. Viele Seiten hat sie geschrieben, zurück kamen fast nur Floskeln. "Wir werden nicht ernst genommen", sagt Bittner. "Man läuft ins Nichts."

Werner Schiffauer, der Wissenschaftler, findet es gut, wenn die Helfer verbal auch mal "auf den Putz hauen". Aber bitte nicht mit NS-Vergleichen: "Das ist eine Waffe, die viel zu leicht verwendet wird."

Stephan Reichel, der Kirchenmann, war nach seiner NS-Anspielung über seine eigenen Worte erschrocken, sein Freund habe ihn entgeistert gefragt: "Was hast du denn da für einen Scheiß erzählt?" Seither hat er viel über Verbalradikalisierung nachgedacht. Er sagt: "Wir müssen in der Sprache differenziert bleiben, wir wollen ja nicht so werden wie Söder und Seehofer." Er, der engagierte Christ, verspüre einen "heiligen Zorn" auf Politiker, deren Partei sich christlich nennt, aber man dürfe sich nicht hineinziehen lassen in diesen Sog. Aber das sei nicht einfach, denn als Helfer sei man nun mal nah dran an den Ängsten der Flüchtlinge, bekomme mit, welche Panik unter Afghanen herrsche wegen der Abschiebeflüge. Diese Angst erschwere die Integration auch von jenen, die bleiben dürfen.

"Sollen die da oben in der Politik doch machen, was sie wollen"

Wie bloß der Versuchung des gegenseitigen Aufschaukelns entkommen? Jens Wientapper, 75, erzählt gerne von seinem Antifrust-Rezept. Er organisiert in einem Heim in Essen seit Jahren den Deutschunterricht. Gewiss, auch ihn ärgere vieles, aber er versuche, die Politik zu ignorieren: "Sollen die da oben in der Politik doch machen, was sie wollen, wir machen unseren Job." Er und seine Leute konzentrierten sich auf den Unterricht, und wenn weniger Flüchtlinge in die Deutschstunden kommen, kümmere er sich mehr um einzelne, um zum Beispiel zu verhindern, dass bestens Integrierte abgeschoben werden. Also ist auch er Teil der Antiabschiebe-Industrie? "Mit großer Freude."

Uwe Glaubitz, 63, lacht nicht mehr, die Wut hat sich zu tief in ihn hineingefressen. Er ist Sozialpädagoge, er lebt in Bayern, er ist in Rage. Für ihn ist der Rechtsstaat zum "Rechts-Staat" geworden, und deshalb begehrt er auf: Er verstecke keinen Flüchtling vor drohender Abschiebung, das nicht, aber er rate manchem, sich nicht mehr an seiner Meldeadresse aufzuhalten und das Handy auszuschalten. Das ist eine Art politischer Notwehr, und so klingt auch, was aus einer ostdeutschen Großstadt zu hören ist. Es gebe da eine Richterin, die über den Schutz für Flüchtlinge entscheidet. Die Frau sei AfD-Mitglied. Eine Aktivistengruppe überlege, so berichtet ein Aktiver, diese Richterin zu outen.

"Der Frust hat zu einer Radikalisierung und Zuspitzung geführt, und das in der bürgerlichen Mitte des Landes", sagt Werner Schiffauer, der lange an der Uni in Frankfurt (Oder) Kulturanthropologie gelehrt hat. Während sich die einen Helfer entkräftet zurückzögen, gebe es auch viele, die sich politisieren. Genau das ist auch Schiffauers Appell: Position zu beziehen für einen menschlichen Umgang mit Schutzsuchenden, das sei "bitter notwendig".

Kürzlich bekam er von einem ehemaligen Studenten einen flammenden Appell zu lesen. Ansgar Rudolf hat ihn geschrieben, er ist 29 und arbeitet in der Nähe von Bonn in der Asylberatung der Diakonie. "Es sind so viele Menschen, die diese Hysterie trifft und dafür einen hohen Preis zahlen", sagt er, sie zahlten ihn in Form von Rassismus oder Familientrennung. Es sei wichtig, hat er geschrieben, "jetzt die Stimme zu erheben, da wir den Niedergang von moralischen und rechtlichen Normen, von Grund- und Menschenrechten, von liberalen Demokratien bereits in Polen, Ungarn, Österreich und Italien beobachten können."

Drei Jahre nach dem Willkommenssommer hat die Unterstützung für Flüchtlinge zwar nachgelassen, sie ist aber nicht erodiert. Und es gibt viel mehr Aktive, als man ob der Debatte meinen könnte, das ist aus einer Allensbach-Studie abzulesen, die das Bundesfamilienministerium im Februar veröffentlichte. Seit 2015 haben demnach 55 Prozent der Bevölkerung Hilfe für Flüchtlinge geleistet, derzeit seien es noch immer 19 Prozent. Eingerechnet sind darin auch Spender und "Unterstützer". Jene, die aktive Hilfe leisten, also Flüchtlinge zum Arzt begleiten oder Sprachunterricht geben, machten elf Prozent der Bevölkerung aus, um die neun Millionen. Die Umfragen zur Studie stammen von 2017, und selbst wenn es heute "nur" noch halb so viele wäre, es sind immer noch Millionen.

Auch die Helfer aus diesem Report geben nicht auf. Ansgar Rudolf organisiert Soli-Partys in Berlin und Köln für die Seenotretter von Sea-Watch. Elvira Bittner bereitet eine Großdemo in München mit vor, das Motto lautet: "Ausgehetzt". Claudia Kuss hilft mehreren Afghanen bei der Wohnungssuche. Jens Wientapper lehrt in Essen deutsche Grammatik. Stephan Reichel sucht Paten für die "Ankerzentren". Uwe Glaubitz begleitet Flüchtlinge auf Behörden und zu Anwälten. Und Bernd Scheffer, der Therapeut, sagt: "Ich mache weiter. Achselzuckend."

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Quelle:
SZ vom 14.07.2018/jsa
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