Süddeutsche Zeitung

Zuwanderung:Diese Ausländer leben in Deutschland

  • Deutschlands Grenzen sind durchlässig geworden, zeigen Auswertungen des Ausländerzentralregisters, gerade strukturschwache Randregionen profitieren so von Europas offenen Grenzen.
  • Der durchschnittliche Ausländer ist etwa 38½ Jahre alt und lebt seit mehr als 16 Jahren in Deutschland.
  • Aber auch Flüchtlinge hinterlassen ihre Spuren auf den Landkarten der Bundesstatistiker.

Von Jan Bielicki

Es ist eine Karte, die zeigt, wie durchlässig Deutschlands Grenzen geworden sind - und wie selbstverständlich der Wegfall der Zollschranken gerade in Regionen ist, in denen Grenzen einst trennten. Inzwischen scheint es dort kaum noch eine Rolle zu spielen, auf welcher Seite der Grenze jemand lebt. Das legen Zahlen nahe, die das Statistische Bundesamt jetzt auf fast 400 Seiten einer detaillierten Auswertung des Ausländerzentralregisters ausgebreitet hat. Diese Daten belegen anschaulich, wie Europa an seinen offenen Binnengrenzen zusammenwächst - und wie in vielen grenznahen Städten und Landkreisen Bürger aus den jeweiligen Nachbarstaaten heimisch geworden sind.

Dort stellen sie oft die weitaus größte Gruppe in der ausländischen Wohnbevölkerung. Im Berchtesgadener Land etwa kommt fast die Hälfte der dort ansässigen Ausländer aus dem benachbarten Österreich. In Vorpommern-Greifswald wohnen viele Polen, die oft zum Arbeiten über die Grenze in die Großstadt Stettin pendeln. Ähnlich sieht es mit den Tschechen im Bayerischen Wald oder den Niederländern im Emsland und am Niederrhein aus. Gerade strukturschwache ehemalige Randregionen profitieren so von Europas offenen Grenzen.

Noch stellen Türken die größte Gruppe, doch das ändert sich

Mehr als 9,1 Millionen Nicht-Deutsche, die länger als drei Monate im Land lebten, waren zu Silvester 2015 im Ausländerzentralregister verzeichnet. Das waren fast eine Million mehr als noch ein Jahr zuvor und so viele wie noch nie. Im Schnitt, so haben die Bundesstatistiker ausgerechnet, ist der hiesige Ausländer etwa 38½ Jahre alt und lebt seit mehr als 16 Jahren im Land, jeder siebte ist in Deutschland geboren. Der starke Zuzug hat die Zusammensetzung und Verteilung der ausländischen Wohnbevölkerung zuletzt jedoch deutlich verändert. Diese wird jünger - und männlicher: Waren 2010 noch 49 Prozent der hier lebenden Ausländer Frauen, waren es Ende 2015 nur noch 46,5 Prozent. Das liegt vor allem daran, dass fast zwei Drittel der Zuzügler aus den Kriegsländern des Nahen Ostens Männer sind.

Es verschieben sich so aber auch die Gewichte zwischen den hier lebenden Ausländergruppen. Ein Blick auf die Karte zeigt zwar: Noch stellen die Türken in den meisten Gegenden Westdeutschlands und dort gerade in den großen Städten das weitaus größte Kontingent. Doch die türkische Gemeinschaft schrumpft. Noch zur Jahrtausendwende lebten mehr als zwei Millionen Türken im Land, heute sind es noch etwa 1,5 Millionen. Der Rückgang hat mehrere Gründe: Seit Jahren hält sich die Zahl der türkischen Zuzügler und der Rückwanderer in etwa die Waage. Dafür sterben deutlich mehr Türken in Deutschland, als hier türkische Babys geboren werden - wer hier zur Welt kommt, hat schließlich das Recht auf die deutsche Staatsangehörigkeit.

Aber auch von den Älteren tauschen viele ihren türkischen Pass gegen einen deutschen ein. Das ist eine logische Entwicklung, denn ohnehin gleichen sich die demografischen Daten der hier lebenden Türken denen der deutschen Gesamtbevölkerung längst an: Der Türke im Land ist durchschnittlich mehr als 43 Jahre alt (und liegt damit nur knapp unter dem bundesdeutschen Altersdurchschnitt), er lebt seit 28 Jahren hier - und fast jeder dritte ist ohnehin in Deutschland geboren.

Polnische und rumänische Zuwanderer sind jünger

Deutlich dynamischer entwickeln sich andere Gemeinschaften. So wurden 2015 in deutschen Kreißsälen jeweils mehr als dreimal so viele polnische und rumänische Babys geboren wie türkische, obwohl nur halb so viele Polen und ein Drittel so viele Rumänen im Land leben wie Türken - Tendenz bei beiden Gruppen allerdings stark steigend. Das liegt zum einen natürlich daran, dass EU-Bürger einen deutschen Pass kaum nötig haben. Dazu kommt aber auch, dass polnische Zuwanderer mit 37 und rumänische mit 32 Jahren im Schnitt deutlich jünger sind.

Am stärksten aber drücken jene Zuwanderer den Altersschnitt, auf die gerade alle blicken: Hier lebende Syrer sind durchschnittlich gerade 26 Jahre alt, knapp ein Drittel von ihnen sind Kinder und Jugendliche. Und bereits jetzt hinterlassen sie Spuren auf den Landkarten der Bundesstatistiker: In den bayerischen Landkreisen Deggendorf und Fürth bevölkern Flüchtlinge aus Syrien die dortigen Auffanglager. Sie stellen jedoch auch in vielen Gebieten Ostdeutschlands inzwischen die größte Gruppe - vor allem deshalb, weil dort sonst so wenige Ausländer zu Hause sind. In allen fünf neuen Bundesländern zusammen leben weniger Nicht-Deutsche als in Berlin und nur wenig mehr als in München. Und ist im hessischen Offenbach jeder dritte Bürger Ausländer, so ist es im sächsischen Bautzen nur jeder siebzigste.

Andere Flecken auf der Ausländerkarte sind noch überraschende Überbleibsel aus den Zeiten des Kalten Krieges. In Potsdam und Dresden, einst Garnisonsstädte der Roten Armee, leben immer noch viele Russen. Und in der Pfalz unterhalten die Amerikaner weiter große Stützpunkte.

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SZ vom 01.04.2016/kjan
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