Süddeutsche Zeitung

Zuwanderung:Antithese zu rechts außen

Der UN-Migrationspakt tritt einer rassistischen Politik der Abschottung entgegen. Die Gestaltung wird anstrengend.

Von Daniel Brössler

Es ist nur verständlich, dass die AfD gegen dieses Dokument polemisiert. Dass sie vom angeblich massenhaften Zuzug "bildungsferner Menschen aus fremden Kulturen" spricht, der zum "Ausverkauf der deutschen Sozialsysteme" führen werde. Der globale Migrationspakt liest sich nämlich in Teilen wie die Antithese zum Wahlprogramm der Rechten: Er beginnt mit dem Verweis auf die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte; er betont die Pflicht zur menschenwürdigen Behandlung von Flüchtlingen und Migranten. Und er beschreibt Migration als Merkmal der globalisierten Welt. Er soll Regeln schaffen, wo bisher häufig Chaos herrscht. Gegen Abschottung stellt er Kooperation. Der Sinn dieses Paktes zeigt sich deshalb auch in der Polemik derer, die glauben, Migration lasse sich einfach verbieten.

Es ist also nicht der Widerstand der AfD bemerkenswert, die das Thema für diesen Donnerstag auf die Tagesordnung des Bundestags gesetzt hat. Bemerkenswert ist die Verwirrung, die das zu stiften scheint. Dabei ist die Taktik der AfD mittlerweile sattsam bekannt. Die Partei stellt das von fast allen UN-Mitgliedstaaten ausgehandelte Dokument als Ergebnis verschwörerischer Geheimdiplomatie dar und argumentiert mit Lügen und Halbwahrheiten. Die werden dann in den sozialen Netzen vervielfältigt und nehmen irgendwann so viel politischen Raum ein, dass sie nicht mehr ignoriert werden können. Etliche Abgeordnete, vor allem der Union, sind von der Wucht der Empörung über ein Thema überrascht worden, dem sie - wie die Medien - vorher kaum Beachtung geschenkt haben. Das darf die AfD als Erfolg feiern.

Die Bundesregierung hat es den Verschwörungstheoretikern zu leicht gemacht. Sie hat über den Pakt im Vorfeld nicht systematisch informiert, sie hat auch nicht ernsthaft für ihn geworben. Nun wird sie der Falschinformationen kaum noch Herr, zum Beispiel der Behauptung, der Pakt enthalte nur Rechte von Migranten und Pflichten der Zielländer. Tatsächlich geht es auch um die Rückführung illegal eingereister Migranten, die Verringerung illegaler Einwanderung und den Kampf gegen die Schleuserkriminalität. Die Koalition in Berlin hat hier die Aufklärung versäumt.

In der Sache hätte sie den Konflikt allerdings nicht vermeiden können. Der Umgang mit der Migration ist weltweit umkämpft - und immer spielt es eine Rolle, welches Menschenbild diesem Umgang zugrunde liegt. Auch deshalb haben Länder, in denen mit der AfD weltanschaulich verwandte Politiker regieren oder an der Regierung beteiligt sind, wie die USA, Ungarn und Österreich, die Vereinbarung von Anfang an abgelehnt oder ihre Zustimmung zurückgezogen. Wenn die Bundesregierung demnächst in Marrakesch die - rechtlich nicht bindende - Vereinbarung unterzeichnet, dann trifft sie auch eine Wertentscheidung: Es gibt die Pflicht zum menschenwürdigen Umgang mit Migranten. Und sie geht davon aus, dass legale Migration gerade Deutschland nützt, das auf Zuwanderung von Arbeitskräften angewiesen ist.

Mit der Unterschrift unter den Migrationspakt tritt Deutschland einer zum Teil rassistisch motivierten Abschottungspolitik entgegen, wie sie etwa der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán betreibt. In Marrakesch wird das mit diplomatischem Gepränge geschehen. Dann beginnt die anstrengende Heimarbeit.

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Quelle:
SZ vom 08.11.2018
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