Süddeutsche Zeitung

Zusammenleben:"Deutschland brüllt"

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Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier sorgt sich um das Miteinander der Bürger und ruft zum Dialog auf.

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat die Bürger zu einem größeren Dialog auch mit andersdenkenden Menschen aufgerufen. Das müsse allerdings auf eine respektvolle, demokratischen Weise geschehen, sagte der frühere Außenminister am Sonntag bei einer Veranstaltung von Zeit Onlin e in B erlin mit dem Titel "Deutschland spricht". Steinmeiers aktuelle Diagnose allerdings lautet: "Deutschland spricht nicht, Deutschland brüllt."

Das "tägliche Feuerwerk von Beschimpfungen und Beleidigungen" lasse "die Grenze zwischen dem Sagbaren und dem Unsäglichen zusehends verschwimmen". Man müsse deshalb Gegenstrategien zu den Echokammern und Filterblasen entwickeln, online und auch offline. "Fliehkräfte wirken lange nicht mehr nur in Internetforen, sondern auf offener Straße", sagte der Bundespräsident. Das Land erlebe derzeit "Dauerempörung, eine sozialmoralische Rage, mit der Gruppen regelrecht gegeneinander in den Kulturkampf ziehen". In immer mehr deutschen Städten machten "Krawallprofis" Schlagzeilen - im Osten wie im Westen, sagte Steinmeier. Er bezog sich dabei auf Ausschreitungen von Rechtsextremisten wie zuletzt in Chemnitz und Köthen, aber auch auf Linksextremisten. "Die Rauschschwaden über dem G20-Gipfel in Hamburg waren sicherlich auch kein Angebot zum respektvollen, ergebnisoffenen Dialog." Steinmeier kritisierte, dass mitunter sogar "die Existenzberechtigung des Anderen in Abrede gestellt wird" - bis hin zur "selbstbewusst vorgetragenen Verächtlichmachung unserer politischen Ordnung als "System". Das sei jedoch "in der Regel nichts anderes als ein Frontalangriff auf die liberale Demokratie und ihre Institutionen".

Wolfgang Schäuble sieht "keinen Unterschied zwischen Kandel und Köthen"

Auch Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU) macht sich Gedanken über die aufgeheizte Stimmung in Deutschland. Mit Blick auf Proteste auch von Rechtsextremen unter anderem im sächsischen Chemnitz und in Köthen in Sachsen-Anhalt sagte Schäuble der Welt am Sonntag: "Ich akzeptiere nicht, dass daraus ein Ost-West-Problem gemacht wird. Ein erheblicher Teil der Drahtzieher dieses Gedankenguts kommt aus dem Westen." Der frühere Innen- und Finanzminister verwies auf ähnliche Vorfälle in der Pfalz. "Die Einwohner von Kandel erleben in letzter Zeit ständig Demonstrationen von rechtsgerichteten Personen - oft gegen den Willen der Kandeler. Kein Mensch kommt auf die Idee zu fragen: Was hat die Pfalz falsch gemacht, dass es zu derartigen Kundgebungen kommt? Ich sehe keinen Unterschied zwischen Kandel und Köthen." In Kandel hatte im Dezember des vergangenen Jahres nach Überzeugung des Landgerichts Landau ein aus Afghanistan stammender Flüchtling seine Ex-Freundin erstochen. Seither kommt es in Kandel immer wieder zu Demonstrationen.

Schäuble plädierte in der Flüchtlingsdebatte für mehr Realismus und stärkere Integrationsanstrengungen. "Wir sollten uns klar machen, wie schwer es ist, im Einzelfall abzuschieben. Deswegen sollten wir auch nicht allzu stark die Hoffnung schüren, dass wir die Großzahl dieser Menschen zurückführen können", sagte der CDU-Politiker mit Blick auf die Einreise Hunderttausender Migranten seit 2015. "Eher sollten wir alle Kraft dafür aufbringen, sie in unsere Gesellschaft zu integrieren."

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SZ vom 24.09.2018 / dpa
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