Zur Seligsprechung von Johannes Paul II.:Der Marathonmann Gottes

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Sein Spitzname war "eiliger Vater" - denn kein Papst reiste öfter um die Welt als Johannes Paul II. Aber Karol Wojtyla galt auch als sittenstrenger "geistlicher Diktator". Nun wird der frühere Pontifex in die Reihe der katholischen Heiligen und Seligen aufgenommen.

Lars Langenau

"Du wirst Papst sein, aber ich sehe auch Blut und Gewalt über dich kommen": Es ist eine verwirrende Prophezeiung, die ein Kapuzinermönch dem jungen Studenten Karol Jozef Wojtyla in den vierziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts mit auf den Weg gibt. Drei Jahrzehnte später wird der erste Teil der Vorhersehung wahr. Am 16. Oktober 1978 wählt das Konklave "Lolek", wie ihn seine polnischen Landsleute liebevoll nannten, zum Oberhaupt der katholischen Kirche.

Wegen seiner Reiselust nannten sie ihn den "eiligen Vater": Papst Johannes Paul II während eines Besuchs in den USA im Oktober 1979. (Foto: dpa)

Seine Wahl zum Chef von 4700 Bischöfen, 400.000 Priestern und einer Milliarde Gläubigen war sowohl für die Welt als auch für Karol Wojtyla persönlich eine Überraschung. Keiner seiner 263 Vorgänger - seit dem Tod des Apostels Petrus - kam aus einem slawischen Land. Seit mehr als einem halben Jahrtausend war der Heilige Stuhl für Italiener gebucht. Zudem galt der neue Oberhirte mit 58 Jahren als ungewöhnlich jung. Skeptisch wurde beäugt, dass der neue Stellvertreter Christi auf Erden auch noch sportlich war. Ein Papst der schwamm, regelmäßig Ski fuhr und Berge bestieg - so etwas hatte es in der fast 2000-jährigen Kirchengeschichte noch nicht gegeben. Wojtyla gab sich den Namen Johannes Paul II. - eine Verbeugung vor seinem nur 33 Tage amtierenden Vorgänger Albino Luciani, Papst Johannes Paul I..

Johannes Paul II. übernahm das oberste Amt in einer uralten Einrichtung, die ihre größte Macht im Mittelalter entfaltet hatte und nun von ihm ins dritte Jahrtausend geführt werden sollte. Mit der Wahl eines Bürgers aus einem sozialistischen Staat verbanden sich vor allem bei den Menschen in seiner Heimat Polen riesige Hoffnungen - aber auch große Ängste bei den Regierenden im kommunistischen Ostblock. Tatsächlich richtete sich mit ihm das Augenmerk der Weltkirche nun auch auf die Länder hinter dem Eisernen Vorhang. Nach kurzer Unsicherheit angesichts seiner Verantwortung setzte sich seine Überzeugung durch, von Gott für dieses Amt auserwählt worden zu sein. Mit dieser Kraft schenkte er seinen Anhängern Zuversicht. Er rief ihnen zu: "Habt keine Angst."

Heiligsprechung von Papst Johannes Paul II.
:Pontifex der Rekorde

Nur ein Papst amtierte länger als Johannes Paul II., kein Pontifex reiste öfter als er. Nun wird Karol Wojtyla als erster Pole in Rekordzeit heiliggesprochen - nur acht Jahre nach seinem Tod.

Am 13. Mai 1981 erfüllte sich der zweite Teil der Weissagung: Im offenen Wagen stehend fuhr Wojtyla bei einer Generalaudienz über den Petersplatz in Rom. Da zog der 23-jährige Türke Mehmet Ali Agca eine Pistole. Aus nächster Nähe gab er drei Schüsse auf den Papst ab. Das bis heute rätselhafte Attentat überlebte Wojtyla schwer verletzt. Agca war Mitglied der rechtsextremen türkischen Gruppe "Graue Wölfe", doch seine Begründungen für die Tat blieben wirr und wechselten mehrfach. Immer blieb jedoch die Vermutung, dass tatsächlich der bulgarische Geheimdienst hinter dem Mordanschlag gesteckt habe - und damit die Sowjets im Kreml. Als der Papst den zu lebenslanger Haft verurteilten Agca im Gefängnis besuchte und ihm vergab, zeigte er menschliche Größe.

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Nur ein Papst amtierte länger als Johannes Paul II., kein Pontifex reiste öfter als er. Nun wird Karol Wojtyla als erster Pole in Rekordzeit heiliggesprochen - nur acht Jahre nach seinem Tod.

Obwohl es nie bewiesen werden konnte: Gründe für einen Mordkomplott hatten die religionsfeindlichen Kommunisten genug. Die religiöse Leitfigur Johannes Paul II. war konservativ, politisch hoch engagiert und rüttelte an den Grundfesten ihres Systems. Als er im Sommer 1979 in sein Heimatland reiste, wurde er wie der Messias selbst empfangen. Ein Jahr später gründete sich in Polen die oppositionelle Gewerkschaftsbewegung Solidarnosc, die Johannes Paul II. mit der ganzen Autorität seines Amtes schützte. Die Gewerkschafter sollten ein paar Jahre später einen gewaltigen Einfluss auf den politischen Umbruch in Mittel- und Osteuropa haben. Entgegen vieler seiner Bewunderer, die ihn zum Bezwinger des Kommunismus erhoben, schätzte er seine Rolle realistischer ein: "Der Baum war schon morsch, ich habe ihm nur einen Stoß versetzt."

Karol Wojtyla wurde am 18. Mai 1920 in der Kleinstadt Wadowice geboren. Als er neun war starb seine Mutter, drei Jahre später sein Bruder. "Mit 20 hatte ich schon all jene verloren, die ich liebte", schrieb er in seinen Erinnerungen. Trotz dieser Schicksalsschläge war er ein ausgezeichneter Schüler. Als die Deutschen Polen überfielen, wurde er zur Zwangsarbeit im Steinbruch und in einer Chemiefabrik verpflichtet. Mit 23 hatte er ein Erlebnis, das in ihm den Wunsch reifen ließ, Priester zu werden: Er wurde von einem Laster der Wehrmacht angefahren. Verletzt und bewusstlos blieb er im Straßengraben liegen, bis ihn eine unbekannte Frau fand. Stets war Wojtyla davon überzeugt, dass es die Jungfrau Maria selbst war, die ihm das Leben rettete.

Nach seiner Genesung fand er Kontakt zu einem geheimen Gebetskreis und studierte im Untergrund Philosophie und Theologie. Ein Jahr nach Kriegsende wurde er zum Priester geweiht und lehrte bald darauf als Professor an der Universität Lubin. 1958 wurde er mit 38 Jahren der jüngste Weihbischof Polens. Bereits 1967 ernannte der Papst ihn zum Kardinal.

Wojtylas Leben war erst vom Nationalsozialismus und dann vom Kommunismus geprägt. Beide religionsfeindliche Regime hatten seinen Glauben gestählt und waren für ihn ein "Ausbruch des Bösen" in der Geschichte. Das Böse verstand er als einen Abfall von Gott und als Verrat des Religiösen. Sein Geburtsort Wadowice ist ein kleiner Ort nahe Krakau, weniger als eine Autostunde von Auschwitz entfernt. Dieser Ort, der für immer das Symbol der millionenfachen Vernichtung der Juden durch die Nationalsozialisten bleiben wird, mag seinen Einsatz für eine Verständigung unter den Weltreligionen erklären.

Der erste Papst in einer jüdischen Synagoge

Ein besonderes Augenmerk legte er auf die Verbesserung des über die Jahrhunderte schwer belasteten Verhältnisses zwischen Juden und Christen. Als erster Papst besuchte er 1986 in Rom eine jüdische Synagoge - eine Begegnung mit den "älteren Brüdern", wie er sagte. Und er "beklagte" nicht nur, wie seine Vorgänger, den Antisemitismus, sondern verurteilte die rassistische Form der Judenfeindschaft aufs Schärfste. Er betete an der Klagemauer in Jerusalem und besuchte mehrfach ehemalige Konzentrationslager und Gedenkstätten für den Mord an den Juden.

Zweimal rief er viele Glaubensgemeinschaften zum Friedensgebet nach Assisi, "um vor der Welt zu verkünden, dass die Religion nie zu einem Grund von Konflikten, Hass und Gewalt werden darf." Um ein Zeichen der Wertschätzung für den Islam zu setzen, betrat er 2001 als erstes katholisches Oberhaupt eine Moschee.

Schleppender Dialog mit den christlichen Kirchen

Der Dialog mit anderen christlichen Kirchen blieb jedoch schleppend. Zur orthodoxen Kirche im Osten konnte er nie Kontakt knüpfen und wartete vergebens auf eine Einladung des Kosmopoliten von Moskau. Nie gab es jedoch mit anderen Christen einen Dialog auf gleicher Augenhöhe, denn einzig für den Katholizismus beanspruchte er die Ewige Wahrheit. Der evangelischen Glaubensgemeinschaft sprach der Vatikan gar ab, Kirche im eigentlichen Sinne zu sein. Folglich verbot er Katholiken auch die gemeinsame Abendmahlfeier mit Protestanten.

Zu seinen Anhängern hingegen reiste er in einem fast übermenschliche Kräfte erfordernden Marathon von Kontinent zu Kontinent. Seine Rastlosigkeit trug ihm den Spitznamen "eiliger Vater" ein. In den 26 Jahren seines Pontifikates legte er fast 1,2 Millionen Kilometer zurück. Eine Strecke, die 29 Erdumrundungen oder dreimal der Entfernung zum Mond entspricht. Er küsste den Boden von 129 Ländern, gab mehr als tausend Generalaudienzen und empfing dabei 17 Millionen Menschen. "Er war bekannter als die Rolling Stones. Er war länger dabei als Madonna. Nicht einmal Michael Jackson zu seinen besten Zeiten hat jemals vier Millionen Besucher mobilisiert", schrieb der Spiegel voller Bewunderung.

Eine Art Popstar

Johannes Paul II. war selbst eine Art "Popstar", der die Medien seines Zeitalter perfekt zu nutzen wusste. Und zudem vollbrachte er das Kunststück, wie ein vollkommen moderner Mensch zu wirken, ohne jedoch Abstriche am Dogmatismus des Katholizismus zu machen. Weltweit trat er für Frieden, Gerechtigkeit, Toleranz und demokratische Freiheiten ein. Doch innerhalb seiner Kirche gab es ganz und gar keine Demokratie. Von seinen Glaubensbrüdern verlangte er unbedingten Gehorsam. Gewaltenteilung blieb ihm fremd: Er selbst war oberster Gesetzesgeber, Regierender und Richter. Bestimmt sagte er: "Über die geoffenbarten Wahrheiten kann keine Basis entscheiden."

Auf 80.000 Seiten legte dieser Papst den katholischen Glauben so aus, wie er selbst die Heilige Schrift verstand. Er ließ die Volksfrömmigkeit aufleben und bekannte sich zur Marienverehrung, wie er sie aus seiner Heimat kannte. Mit rund 1800 Selig- und Heiligsprechungen überholte er alle seine Vorgänger. Er förderte einen religiösen Starkult und sprach dabei auch umstrittene Persönlichkeiten heilig. Auf der anderen Seite verwehrte er selbst einem wichtigen Fürsprecher der Armen die Seligsprechung: Oscar Romero, Erzbischof von El Salvador, der an seinem Altar von rechtsextremen Todesschwadronen umgebracht wurde.

Johannes Paul II. glaubte sich im Recht, weil er meinte, nur streng könne er eine starke, geeinigte Kirche erhalten. So traf sein unerbittlicher Bannstrahl Zweifler und Reformer. Priester und Bischöfe, die sich in Lateinamerika für die Armen einsetzten, und mit ihnen für eine Landreform und Gerechtigkeit im Diesseits kämpften, anstatt ein Himmelreich zu versprechen, wurden kurzerhand kaltgestellt. Um "Befreiung von der Sünde und vom Bösen" gehe es, sagte der Papst, nicht um die Befreiung von Großgrundbesitzern. Mit seinem Wort und seinen Taten demütigte er kritische Priester und erstickte vor allem die Versuche in Lateinamerika, das uralte wie verhängnisvolle Bündnis zwischen der Kirche und den Reichen und Mächtigen zu sprengen.

Unantastbare Regeln

Während sich seine Kirche - vor allem durch die Bevölkerungsexplosion - in der Dritten Welt immer stärker ausbreitete, verlor sie immer mehr Mitglieder in der ersten Welt. So werden heute pro Jahr auf den Philippinen mehr Katholiken getauft als in ganz Westeuropa und in Polen zusammen. Unter seiner Regentschaft verstärkten sich die Probleme, mit denen die Kirche heute vor allem in Westeuropa zu kämpfen hat: Etwa beim Mangel an Priestern. Fortschrittliche Geister in der Kirche mussten ihre Hoffnungen in Fragen des Zölibates, also der Verpflichtung der Priester zur Ehelosigkeit, begraben. Oder die Anmaßung, nur die Ehe zwischen Mann und Frau als von Gott gewollt anzuerkennen. Oder der Versuch, den Gläubigen die "richtige" Sexualität vorzuschreiben, die nur der Fortpflanzung dienen soll. Auch ließ der Papst nicht an dem Priesteramt für Laien und einer stärkeren Beteiligung von Frauen am kirchlichen Leben rütteln. Allesamt Regeln, die es erst seit dem 11. Jahrhundert gibt und die etwas mit Macht und Gehorsam zu tun haben, nicht mit der Bibel. Trotzdem blieben sie für Wojtyla zeitlebens unantastbar.

Seine Kritiker warfen ihm vor, trotz Überbevölkerung und der immer stärkeren Ausbreitung der tödlichen Immunschwächekrankheit Aids bei seinem strikten Verbot von Verhütungsmitteln und Schwangerschaftsabbrüchen geblieben zu sein. "Das kann der Papst nicht machen", sagte Johannes Paul II. über sich selbst. "Denn seine Aufgabe, die ihm von Gott anvertraut wurde, besteht darin, die menschliche Person, ihre Würde und ihre Grundrechte zu verteidigen, von denen das wichtigste das Recht auf Leben ist."

Auf einer Weltbevölkerungskonferenz der Vereinten Nationen verbündete sich der Vatikan Mitte der neunziger Jahre gar mit islamischen Fundamentalisten. Gemeinsam stimmten sie gegen einen Plan zur Eindämmung der Bevölkerungsexplosion. Der von Wojtyla mit einem Lehrverbot belegte Theologieprofessor Hans Küng nannte ihn wegen seiner verbohrten Haltung einen "geistlichen Diktator". Symbol seines konservativen Denkens und Handelns war der Leiter der Glaubenskongregation, Kardinal Joseph Ratzinger, der sein Nachfolger werden sollte.

Immer für Überraschungen gut

Trotzdem war Johannes Paul II. immer für Überraschungen gut. Das Jahr 2000 rief der zusehends gebrechlichere Papst zum "Heiligen Jahr" aus. Wider Erwarten begann er es nicht als prunkvolle Selbstbeweihräucherung des Christentums, sondern mit einem Bekenntnis zu den Sünden der Kirche in der Vergangenheit. "Niemand darf den Namen Gottes missbrauchen, um zu töten", schrieb er drei Jahre später an den amerikanischen Präsidenten George W. Bush. Als dieser dann doch seinen Krieg gegen den Irak begann, war das für Johannes Paul II. eine Niederlage der Menschheit. Es enttäuschte ihn schwer, dass auch sein Polen Soldaten in diesen Krieg schickte.

Schon gezeichnet von der Parkinsonschen Krankheit, warnte das Oberhaupt der katholischen Kirche in den letzten Jahren seines Lebens vor "wildem Kapitalismus" und dem Streben nach immer mehr Konsum. Wenn mehr als 800 Millionen Menschen auf der Welt hungern, sagte er, habe das irdische System seinen Bankrott erklärt.

Als Greis rührte er durch das stille Ertragen seiner Leiden selbst viele Menschen zu Tränen, denen seine Gedanken fremd blieben. Einen Rückzug von seinem Amt lehnte er jedoch nachdrücklich ab: "Jesus", sagte er, "ist ja auch nicht einfach vom Kreuze gestiegen". Anfang 2005 verschlechterte sich sein Gesundheitszustand dramatisch. Im Angesicht seines Todes schrieb er noch ein paar Zeilen: "Ich bin froh, seid ihr es auch."

Seine Reise ist noch nicht zu Ende

Am Abend 2. April 2005 verkündeten die Glocken des Petersdoms den Tod des Papstes. Als sein Leben mit 84 Jahre endet, schien es für kurze Zeit, als hielte sein Tod die Uhr an. Die Mächtigsten der Welt räumten ihren Terminkalender frei und reisten zu seiner Beerdigung nach Rom. Die Beisetzung wurde zu einer der größten Pilgerfahrten des Christentums. Mehr als vier Millionen Gläubige nahmen Abschied von ihrem Oberhirten. Besonders viele junge Menschen trauerten um Johannes Paul II., eine Generation, die keinen anderen Papst kennengelernt hatte und für die er ein Stück Verlässlichkeit in einer chaotischen, unübersichtlichen Welt war. Einer seiner Kardinäle fand die passenden Abschiedsworte: "Er war ein Petrus, ein Fels, an dem man sich festhalten und unter Umständen aber auch stoßen konnte."

Als er zu Grabe getragen wurde, hatte Karol Wojtyla einfache Schuhe an - nicht Brokat- oder Samtpantoffeln wie seine Vorgänger. Ein Zeichen, dass seine Reise noch nicht zu Ende ist. Zwei Monate nach "Loleks" Tod nahm der deutsche Papst Benedikt XVI. ein Verfahren zur Seligsprechung seines Vorgängers auf. Am 1. Mai 2011 ist der Tag gekommen.

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