Süddeutsche Zeitung

Wilhelm-Nachfolge:Platz nehmen im Schleudersitz

Kanzlerin Merkel sucht einen Nachfolger für Ulrich Wilhelm. Doch die Geschichte zeigt: Regierungssprecher haben es nicht immer leicht. Kein Wunder, dass es in der Geschichte der Bundesrepublik weit mehr Sprecher als Kanzler gab.

Klaus Bölling

Sitzt sie am Schreibtisch, hat sie das Adenauer-Porträt von Kokoschka im Rücken. Große Kunst. Man darf sagen, dass das Gemälde zugleich Rückendeckung und Rückversicherung für Angela Merkel ist; ehrfürchtige Verbeugung der Frau aus Templin vor dem großen Mann aus Rhöndorf, ein Signal an die Partei, deren Vorsitzende sie ist: Konrad Adenauer, den sie nur aus Erzählungen und Büchern kennt, ist das Vorbild, sonst niemand. Auf eine Ähnlichkeit zwischen Merkel und Adenauer soll hingewiesen werden, gerade jetzt, da die Kanzlerin nach einem neuen Regierungssprecher Ausschau hält. Dieses Amt findet in der Öffentlichkeit kein brennendes Interesse.

Medienwissenschaftler urteilen fast einhellig, dass das Presseamt der Regierung, mit einem Staatssekretär an der Spitze, in die Unauffälligkeit abgedankt hat. Das war in der Zeit von Adenauer ganz anders.

Ein Glücksfall für Adenauer

Hans-Peter Schwarz, sein wichtigster Biograph, notierte: "Alle, die mit ihm zusammenarbeiten, bezeugen seine große Sensitivität für die öffentliche Meinung. Entsprechend ausgeprägt erscheint sein Wille, die Möglichkeiten der Informationspolitik bis an die Grenze dessen auszunützen, was in einem demokratischen Verfassungsstaat noch möglich ist."

Über solche Sätze wird man heute vielleicht erschrecken. Grundlos, denn schon als Oberbürgermeister von Köln verstand es Adenauer, die Zeitungsleute dort für sich einzunehmen, mitunter auch zu manipulieren. Nach einigen Fehlbesetzungen berief der Kanzler 1952 den Journalisten Felix von Eckardt in das nur ihm unterstellte Amt. Der war ein Glücksfall für ihn.

Der "Bundespressechef" (als habe er die Verfügungsgewalt über die Journalisten) hatte bald das Vertrauen seiner Klientel, das Vertrauen des Kanzlers ohnehin, er war klug, geistreich, ein "political animal", einer, der Adenauer zu widersprechen wagte, auch wenn der Alte ungnädig reagierte.

Die Kanzlerin hatte mit ihrem in Bayern verwurzelten Regierungssprecher Ulrich Wilhelm über fünf Jahre ähnliches Glück. Während der großen Koalition gehörte zudem der konservative Sozialdemokrat und gelernte Journalist Thomas Steg als Stellvertreter Wilhelms zu den wenigen Personen, die sowohl Merkels Vertrauen als auch den Respekt der Bundespressekonferenz hatten.

Der simplen Erkenntnis Adenauers, dass erfolgreiches Regieren gute Tuchfühlung mit der Presse braucht, hat sich Merkel sogleich angeschlossen. Doch ähnlich wie Adenauer (während der Spiegel-Affäre) oder der "Medien-Kanzler" Gerhard Schröder musste sie erleben, dass mit den Vertretern der veröffentlichten Meinung kein ewiger Bund zu flechten ist.

Den nun zum Intendanten des Bayerischen Rundfunks gewählten Wilhelm kann sie dafür nicht haftbar machen. Eine andere einfache Erkenntnis heißt nämlich, dass der Regierungssprecher - und sei er noch so talentiert - nichts ausrichten kann, wenn das Produkt, die Regierungsarbeit, kaum noch zu verkaufen ist. Der Glorienschein der Angela Merkel ist nun sehr verblasst. Da ist der "Verkäufer" machtlos.

Zwiegespräch mit dem Herrn

Immerhin hat es Wilhelm zum alter ego der Kanzlerin geschafft. Der Bayer ist ein Ausbund an Loyalität. Das war er zuvor lange Zeit an der Seite von Edmund Stoiber. Er hatte Merkels ungeschmälertes Vertrauen und soll, wie man hörte, auch abweichende Meinungen riskiert haben.

Das Vademecum eines Sprechers verlangt das tagtägliche Zwiegespräch mit dem Dienstherrn, die vor Fallstricken warnende Stimme, die gründliche Kenntnis des Stoffes, den er der Presse feilbietet. Er hat verloren, wenn die Journalisten einen Anruf bei ihm für verlorene Zeit halten und lieber ihre Konfidenten im Regierungsapparat treffen, was für die Elite der Berichtenden schon unter Helmut Kohl üblich war. Der verschliss ein halbes Dutzend Sprecher. Keiner von denen hatte unmittelbaren Zugang zu ihm.

Wer als Journalist etwas mehr wissen wollte, erkundigte sich bei Eduard Ackermann, einem Medienprofi direkt im Kanzleramt, der in der Gedankenwelt des Pfälzers zu Hause wie kaum ein anderer war. Unter Schröder war die zuverlässigste Adresse für die Journalisten sein Amtschef Frank-Walter Steinmeier. Der freilich suchte sich seine Gesprächspartner sehr genau aus.

So taten das einst auch Adenauer und Eckardt. Zum "Kanzlertee" wurden nur wenige, nach beider Meinung besonders qualifizierte Korrespondenten eingeladen. Heute, da die Berliner Berichterstatter auf Bataillonsstärke angewachsen sind, hat es ein Regierungssprecher ungleich schwerer als zu Bonner Zeiten. Er hat es auch mit solchen Presseleuten zu tun, denen es an Bildung mangelt, unfähig der gewissenhaften Analyse des Geschehens.

Unter dem Druck der Konkurrenz jagen sie nach Sensationen, die anderntags keine mehr sind. Der Regierungssprecher als Institution steht nicht länger im Rampenlicht. Was früher seine Sache war, ist inzwischen die der Kanzlerin. Auch zu Themen, die von zweit- und drittrangiger Bedeutung sind, tritt sie selber vor die Kamera. In den Augen der Zuschauer ist sie allgegenwärtig und unterliegt damit auch einem augenfälligen Abnutzungsprozess. Nicht anders als ihr Vorgänger im Amt. Schröder war auch sein bester Regierungssprecher.

Was er haben sollte: "Großes Wissen und Humor"

Trotz allem, die "Stimme seines Herrn" (oder eben der "Herrin") ist in der Mediendemokratie nicht entbehrlich. Schon auf dem Weg ins Weiße Haus war John F. Kennedys Pressesekretär Pierre Salinger ein unersetzlicher Gehilfe, fast ein Genie der Kommunikation. Tony Blair wurde von seinen Kommunikationsartisten Peter Mandelson und Alastair Campbell entscheidend zum Sieg verholfen. In Paris war der Historiker Max Gallo als Sprachrohr wichtiger als die meisten Minister seines Präsidentenfreundes Mitterrand.

Ein schon geflügeltes Wort besagt, das Amt des Regierungssprechers sei ein Schleudersitz. Kaum eine Übertreibung. Es hat in der Geschichte der Bundesrepublik ungleich mehr Sprecher gegeben als Bundeskanzler. Was nicht unbedingt nur an den Kanzlern lag.

Wenn die Kanzlerin nach einem neuen Interpreten sucht, gelten die Kriterien, die Felix von Eckardt einmal so beschrieben hat: "Unerschütterliche Ruhe, großes Wissen, Humor, schnelle Reaktionsfähigkeit, Kenntnis der Gesetze, unter der die journalistische Arbeit steht, und jederzeit Hilfsbereitschaft". Da muss die Kanzlerin schon sehr großes Glück haben.

Klaus Bölling, 81, gilt vielen im politischen Betrieb als die Verkörperung eines Regierungssprechers. Er übte die Funktion, mit einer Unterbrechung, von 1974 bis 1982 unter Helmut Schmidt aus.

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SZ vom 09.07.2010/liv
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