Süddeutsche Zeitung

Zum Tod von Philipp Mißfelder:Keiner Kanzlerin Untertan

Philipp Mißfelder hatte immer einen eigenen Kopf. Er war Kohl-Fan und Merkel-Kritiker. Geldsammler und Machtmensch. Im August wäre er 36 Jahre alt geworden.

Von Thorsten Denkler, Berlin

Am 25. August wäre Philipp Mißfelder 36 Jahre alt geworden. Jetzt ist er tot. Ganz plötzlich. Über Nacht. Lungenembolie. Am Morgen noch kommt - wie jeden Montag - die Parteispitze der CDU im Konrad-Adenauer-Haus zusammen. Sie müssen noch auf Angela Merkel warten. Die Kanzlerin ist in Brüssel gerade dabei, nach 17 Stunden den Deckel auf die Kredit-Verhandlungen mit Griechenland zu machen. Statt Merkel erreicht die Anwesenden die Nachricht vom Tod Mißfelders.

Ein Schock für die CDU und für die Unionsfraktion. Mißfelder war seit 2005 Mitglied der CDU/CSU-Fraktion. Fast zehn Jahre. Seit 2002 war er Bundesvorsitzender der Jungen Union, bis er das Amt im vergangenen Jahr abgeben musste. 13 Jahre lang. Von 2008 bis 2014 war er Mitglied im Parteipräsidium. Sechs Jahre. Er war seit 1993 Mitglied der CDU. 22 Jahre.

Mißfelder hat eine politische Biografie, wie manche sie in einem ganzen Leben nicht zusammenbekommen. Und er war erst am Anfang. Mißfelder gehörte zu den vielleicht größten politischen Talenten, die die CDU vorzuweisen hat. Ein guter Redner, parlamentarisch erfahren. Und mit einem eigenen Kopf ausgestattet. Überdies ein Konservativer. Einer der wenigen, die es in der Union noch gibt.

Der Mann mit der Hüfte

Sein eigener Kopf hat ihn manches Mal in Schwierigkeiten gebracht. 2003, gerade JU-Bundeschef geworden, war das noch Kalkül. Da empfahl er betagten Menschen, auf kostspielige Hüftoperationen zu verzichten. "Ich halte nichts davon, wenn 85-Jährige noch künstliche Hüftgelenke auf Kosten der Solidargemeinschaft bekommen", sagte er damals. Früher seien die Leute "schließlich auch auf Krücken gelaufen".

Das machte ihn auf einen Schlag bundesweit bekannt. Seit dem war er der "Mann mit der Hüfte". Die Hüft-Debatte beschäftigte die Republik über Wochen. Rücktrittsforderungen wurden laut. Es schien, als hätte er die Alten auf ewig gegen sich.

Mißfelder aber war ein gewiefter Machtpolitiker. Er hatte sich in den Jahren danach strategisch schlau mit dem Chef der Senioren-Union, Otto Wulff, angefreundet. Auf Parteitagen lobten sie sich gegenseitig - Alt und Jung müssten zusammenstehen. Und unterstützten sich. Mit Hilfe von Wulff kam Mißfelder 2008 in das Parteipräsidium. Seitdem leitete er zusammen mit Wulff den von Merkel eingesetzten Initiativkreis "Zusammenhalt der Generationen" der CDU. Damit war die Versöhnung perfekt.

Ein Fan von Helmut Kohl

Es war immer lohnend, mit Mißfelder zu reden. Er sprach offen aus, was er dachte. Überraschend offen. Die CDU ein Kanzlerwahlverein? Klar, was sonst. Merkel lähmt die Republik? Na sicher. Mißfelder hätte einiges sehr gerne sehr anders gemacht. Merkels Kurs der Sozialdemokratisierung war nichts für ihn. Schon 2007 hat er sich mit einem Papier zu einem "modernen bürgerlichen Konservatismus" im Kanzleramt unbeliebt gemacht.

Mit Merkel hat er sich halbwegs verstanden, brachte stets die notwendige Ehrerbietung auf. Mehr aber auch nicht. Er hielt es lieber mit Helmut Kohl, seinem großen Vorbild. Der traf sich gerne mit Mißfelder, ließ sich zum Geburtstag mit einem Ständchen von Mißfelder und anderen Größen der Jungen Union überraschen. Mißfelder war ein Kohl-Fan. Nur seinetwegen ist er in die CDU eingetreten.

Im vergangenen Jahr entfernte er sich erkennbar von Merkel. Er gab seinen Sitz im Parteipräsidium auf und verzichtete auf das Amt des Amerika-Beauftragten der Bundesregierung.

Geburtstagsparty mit Schröder und Putin

Dem vorangegangen war reichlich Kritik an seinem Verhalten. Die Außenpolitik bietet innenpolitisch eher selten Konfliktstoff. Im April 2014 aber, zu Beginn der Ukraine-Krise, wurde Mißfelder auf einer Geburtstagsparty zu Ehren von Altkanzler Gerhard Schröder gesichtet. Mit dabei auch der russische Präsident Wladimir Putin. Zur gleichen Zeit hatten prorussische Separatisten im Osten der Ukraine Beobachter der OSZE als Geiseln genommen. Zu allem Überfluss erklärte er in der Bild-Zeitung, dass er Schröder sehr schätze. Außerdem hatte er niemanden in seiner Fraktion über die Sause informiert.

Das war zu viel. In der Fraktion wuchs der Druck, Mißfelder kaltzustellen. Was aber nicht passierte. Mißfelder zog sich dann selbst zurück, blieb aber außenpolitischer Sprecher der Fraktion. Und er ließ sich zum Schatzmeister der NRW-CDU wählen. Wieder ein geschickter Schachzug. Er übernahm damit eine undankbare Aufgabe, eine Art vertrauensbildende Maßnahme. Sein Wahlkreis Recklinghausen ist fest in SPD-Hand. Er brauchte also einen sicheren Listenplatz, um in den Bundestag zu kommen.

Mißfelder hätte in den kommenden Jahren seine Position gefestigt. Und irgendwann in einer Zeit nach Merkel hätte er neue Chancen bekommen. Den Preis, sich zu einem Untertanen Merkels zu machen, jedenfalls wollte er nicht zahlen. Nach der Wahl 2013 hatte er sogar einen Posten als parlamentarischer Staatssekretär im Verteidigungsministerium abgelehnt. Das sei nur ein Job, keine Aufgabe, sagte er zu dem Angebot. Allerdings hätte er für den Job andere lukrative Nebentätigkeiten sausen lassen müssen. Als Berater für den teNeues Verlag hat er mehr als 100 000 Euro im Jahr bekommen.

Das war die andere Seite des Philipp Mißfelder. Er konnte Geld eintreiben wie kaum ein anderer. Dass er ausgerechnet für das Amt des Landesschatzmeisters vorgeschlagen wurde, hängt auch damit zusammen, dass er aus der notorisch klammen Jungen Union eine finanz- und damit schlagkräftige Organisation gemacht hat.

Mißfelder war ein Politiker, der wusste, wie Karrieren gemacht werden. Sein System bestand aus Geben und Nehmen. Gefallen für Gegengefallen. Kohl ist auf diese Art Kanzler geworden. Was Mißfelder hätte werden können, wird auf dieser Welt nicht mehr zu entscheiden sein. Philipp Mißfelder hinterlässt Frau und zwei Kinder.

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