Zum Tod von Lech Kaczynski:Der intellektuelle Kämpfer

Streitbarer Staatsmann auf der Suche nach der historischen Wahrheit: Polens Präsident Lech Kaczynski polarisierte seine Landsleute, war Ziel spöttischer Kritik und könnte nun, nach seinem Tod bei einem Flugzeugabsturz, für viele zum Mythos werden.

Thomas Urban, Warschau

Lech Kaczynski hat seine Landsleute polarisiert, allerdings nicht ganz so stark wie sein Zwillingsbruder Jaroslaw. Überraschend hatten sie im Herbst 2005 erst die Parlaments-, dann die Präsidentenwahlen gewonnen. Sie verkündeten eine moralische Wende, eine Rückbesinnung auf die nationalen Traditionen.

Diesem Doppelsieg war ein tiefgreifender Rechtsschwenk in der politischen Stimmung des Landes vorausgegangen. Er war eine Folge vor allem der zahlreichen Korruptionsskandale und Finanzaffären, in die die bis dahin regierenden Postkommunisten verstrickt waren.

Recht und Gerechtigkeit

Die von den Zwillingen gegründete Partei trug den programmatischen Namen "Recht und Gerechtigkeit". Ihr Programm war in der Außenpolitik nationalpatriotisch, in der Wirtschafts- und Sozialpolitik aber sozialdemokratisch; es zielte also durchaus populistisch auch auf die Reformverlierer ab. Deshalb trifft das Etikett "national-konservativ", das die Zwillinge bald in den internationalen Medien bekommen haben, nur einen Teil ihres politischen Programms. Der Begriff "linksnational" wäre sicherlich treffender.

Die Brüder hatten sich ein hehres Ziel gesteckt: die "Gesundung der Gesellschaft". Dies bedeutete für sie nicht nur den Kampf gegen Korruption, sondern auch den Kampf für die historische Wahrheit. Nach ihrem Geschichtsbild war Polen im 20. Jahrhundert immer wieder Opfer der aggressiven Nachbarn im Westen wie im Osten geworden. Sie erwarteten, dass die heutigen Regierungen in Berlin und in Moskau dies anerkennen und sich vor den polnischen Opfern erst der deutschen Besatzung im Zweiten Weltkrieg, dann des kommunistischen Terrors verbeugen.

1949 geboren, waren die Brüder Kaczynski in den Trümmern Warschaus groß geworden. Die Innenstadt war nach der Niederschlagung des Warschauer Aufstandes im Herbst 1944 von den Deutschen dem Erdboden gleichgemacht worden, während die Rote Armee tatenlos am Ostufer der Weichsel zusah. Ihre Eltern hatten damals in der polnischen Untergrundarmee gegen die Deutschen gekämpft.

Doch das erste herausragende Ereignis in ihrem Leben fand außerhalb der Politik statt: Als Zwölfjährige spielten sie zwei freche Zwillinge in dem Kinderfilm Über die beiden, die den Mond gestohlen haben. Der Film gilt heute als Klassiker und wird immer wieder gezeigt.

Alltag in der Planwirtschaft

Doch dann holte sie der normale Alltag mit all seinen Problemen in der Planwirtschaft ein. Die Zwillinge sahen bereits als Gymnasiasten die Ursache dafür in der erzwungenen Zugehörigkeit Polens zum von Moskau kontrollierten Ostblock. Als Studenten stießen sie zur verbotenen Demokratiebewegung, die sich bald um die Gewerkschaft Solidarnosc scharte. Als Juristen gehörten sie zu den Rechtsberatern des Arbeiterführers und späteren Präsidenten Lech Walesa.

Im Wendejahr 1989 kam ihre erste große Stunde: Nach den ersten teilweise freien Wahlen zimmerten sie hinter den Kulissen eine Koalition, die der Solidarnosc den Sessel des Ministerpräsidenten einbrachte und die Kommunisten von der Macht verdrängte. Es war ein historischer Durchbruch, der sich auch auf die Nachbarländer auswirkte.

Doch bald überwarfen sich die Zwillinge mit Walesa. Sie hielten ihm vor, die Aufarbeitung des kommunistischen Regimes nur halbherzig zu betreiben. Der Bruch war irreparabel: In den vergangenen Jahren verkehrten beide Zwillinge mit ihrem einstigen Idol nur über Rechtsanwälte, es ging immer wieder um Beleidigung, mal in die eine, mal in die andere Richtung.

Als sie nach langen Jahren im politischen Abseits 2005 doch die wichtigsten Männer im Lande wurden, setzten sie auf Konfrontation, sowohl in der Innen- als auch in der Außenpolitik.

Versöhnlicher und verbindlicher

Dabei gab es durchaus Unterschiede: Jaroslaw, heute Oppositionsführer, war der aktivere und schärfere; auch ist er ein glänzender Rhetoriker. Der nun bei dem Absturz zu Tode gekommene Lech wirkte zwar vor den Fernsehkameras oft unbeholfen, war aber viel versöhnlicher und verbindlicher.

Viele polnischer Beobachter führten dies auf den Einfluss seiner Frau Maria zurück, die im Lande außerordentlich beliebt war. Sie sprach mehrere Fremdsprachen, konnte also auch mit Staatsgästen parlieren. Sie war offenbar liberaler als ihr Mann: So setzte sie sich öffentlich für Umweltschützer ein und sprach sich auch gegen eine Verschärfung des Abtreibungsverbotes aus - was ihr Hasstiraden des Chefs des nationalistischen Senders Radio Maryja einbrachte.

Ungerecht und karikaturhafte Darstellung

Die internationalen Medien haben Lech Kaczynski oft ungerecht und karikaturhaft dargestellt, beginnend mit einer grobschlächtigen Satire in einer Berliner Zeitung. Darin wurde er als Kartoffel verunglimpft. Die von seinem Bruder geführte Regierung hat sich darüber offiziell beschwert, was die ganze Sache nur noch schlimmer gemacht hat.

Lech Kaczynski war kein dumpfer Nationalist, er war ein hochgebildeter Intellektueller mit einem stark ausgeprägten historischen Bewusstsein. Doch hat er bald gelernt, dass seine Versuche, das historische Schicksal seines Volkes mit aktuellen politischen Interessen zu verbinden, kontraproduktiv sind. Dies musste er schmerzlich erfahren, als er damit auf einem EU-Gipfel auf eine breite Front der Ablehnung stieß. Er hatte nämlich gefordert, Polen müsse wegen seiner hohen Zahl von Kriegsopfern einen überproportional großen Anteil an Vertretern in EU-Gremien bekommen.

Die Stimme vieler Polen

Doch hat Kaczynski die Polen keineswegs nur als historische Opfer sehen wollen. Als Justizminister hat er vor einem Jahrzehnt das Pogrom von Jedwabne noch einmal untersuchen lassen - mit dem Ergebnis, dass in dem polnischen Städtchen 1941 eine Gruppe von katholischen Polen, aufgehetzt von einem SS-Kommando, mehrere hundert ihrer jüdischen Nachbarn ermordet hat. Auch zum Jahrestag des Pogroms von Kielce 1946 hat er als Präsident im Namen der Polen um Verzeihung für die an Juden begangenen Verbrechen gebeten.

Mit seinem Blick auf die tragischen Seiten der polnischen Geschichte stand Kaczynski nicht allein, in diesem Punkt hatte er zweifellos die überwältigende Mehrheit hinter sich. Unpopulär aber war er geworden, weil die meisten Polen sich durch ihn im Ausland nicht gut repräsentiert sahen. Auch stieß der konfrontative Politikstil seines Bruders immer mehr auf Ablehnung.

Den Umfragen zufolge hätte er keine Chance gehabt, die ursprünglich für den Herbst anberaumten Präsidentenwahlen zu gewinnen.

Er hätte gegen Parlamentspräsident Bronislaw Komorowski antreten müssen, einen soliden und proeuropäischen Konservativen. Komorowski steht nun bis zu den vorgezogenen Wahlen an der Spitze des Staates. So will es die Verfassung. Die Wahlen müssen innerhalb der nächsten zehn Wochen stattfinden.

Welle der Trauer

Mit Lech Kaczynski ist ein Großteil der Führung der von seinem Zwillingsbruder Jaroslaw geführten Partei Recht und Gerechtigkeit ums Leben gekommen. Experten wollen nicht ausschließen, dass auf der Welle der Trauer, die nun das ganze Land erfasst hat, der von Jaroslaw Kaczynski zu bestimmende Präsidentschaftskandidat seiner Partei das Rennen gegen den gemäßigten Komorowski machen werde.

Lech Kaczynski aber könnte durch seinen Tod auf dem Weg nach Katyn für einen großen Teil seiner Landsleute zum Mythos werden, zu einem Staatsmann, der bis zuletzt für die historische Wahrheit gestritten hat.

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