Zum Tod von Jacques Vergès:Leidenschaft für die Hoffnungslosen

Zum Tod von Jacques Vergès: Jacques Vergès 2011 in seinem Büro

Jacques Vergès 2011 in seinem Büro

(Foto: AFP)

Er gefiel sich in der Rolle des schlechten Gewissens des Westens: Der französische Anwalt Jacques Vergès vertrat Nazis, Rebellenführer und Diktatoren. Er war eine provokante Figur, doch Frankreich liebte ihn, den hoch gebildeten Ästheten und feinsinnigen Genießer. Jetzt ist Vergès im Alter von 88 Jahren gestorben.

Von Joseph Hanimann

Gegenüber seinem Leben wirkt sein Tod fast banal. Herzinfarkt. Der französische Rechtsanwalt Jacques Vergès war so etwas wie eine in die Wirklichkeit verirrte Romanfigur. Er verteidigte mit Leidenschaft die hoffnungslosen Fälle: den Nazi Klaus Barbie, den Roten Khmer Khieu Samphan, den Terroristen Carlos, den Serbenführer Milosevic. Verteidigung im Gerichtssaal war für ihn Gegenanklage.

Die Auflehnung begann für Vergès, geboren 1925 in Thailand als Sohn eines Franzosen aus La Réunion und einer Vietnamesin, schon früh. Siebzehnjährig trat er in London gegen Vichy und Nationalsozialismus in die französische Résistance ein. Nach dem Krieg schloss er sich der Kommunistischen Partei Frankreichs an, die er 1957 wieder verließ, weil sie ihm zu moderat war.

Während des Algerienkriegs verteidigte der Junganwalt Kämpfer der algerischen Befreiungsorganisation FLN, unter anderen die zum Tode verurteilte Djamila Bouhired, die er 1963 heiratete. Er stand dem Maoismus nahe und unterstützte diverse palästinensische Befreiungsorganisationen. Im Jahr 1970 verschwand er aus der Öffentlichkeit und wurde acht Jahre lang nicht mehr gesehen. Darüber, was er in dieser Zeit getrieben habe, schwieg er sich nach der Rückkehr in seine Anwaltskanzlei aus und raunte nur, er habe "sehr weit östlich von Frankreich" Urlaub gemacht. Es ist die mysteriöse Leerstelle seines Lebens, die seinen Ruf noch anrüchiger macht. War er in Kambodscha? In China? In Palästina?

Schulbuchwürdige Plädoyers

Der hoch gebildete, feinsinnige Genießer, Kunstliebhaber und Ästhet mit der teuren Havanna im Mund war einer der brillantesten Anwälte von Paris. Seine schulbuchwürdigen Plädoyers für Gewaltherrscher und Verbrecher sind nach dem Muster gestrickt: Die Gesellschaft ist im Grund kaum besser als der Angeklagte. Vom bloßen Dandy unterschied ihn ein Kern aufrichtiger Überzeugung, der für Freunde wie für Feinde jedoch unfassbar blieb. Seine Bücher - mehr als ein Dutzend - tragen Titel wie "Schönheit des Verbrechens" oder "Die Demokratie mit obszönem Gesicht". Dieser Mann gefiel sich in seinem Ruf als das schlechte Gewissen des Westens. Der Filmautor Barbet Schroeder widmete ihm 2007 einen Film mit dem Titel "Der Anwalt des Terrors".

Zum Tod von Jacques Vergès: Vergès 1991

Vergès 1991

(Foto: AFP)

Im Pariser Théâtre de la Madeleine trat er auch selber auf die Bühne. Sein Tod am Donnerstagabend erlöste die Faszination ganz Frankreichs für seine schillernde Erscheinung nun aus ihrer Gehemmtheit. Solche Figuren, heißt es in den Würdigungen, kämen nur zwei- oder dreimal vor pro Epoche.

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