Der "Comandante":Revolutionär und Borderline-Demokrat

Er ließ die Uhr vorstellen, damit Kinder mehr Sonne sehen - und gab dem Fußvolk Geld und Stimme. Seine Anhänger verehrten ihn glühend, seine Feinde versuchten, ihn zu stürzen. Nun ist Hugo Chávez gestorben. Und nicht nur die Venezolaner fragen sich, ob mit dem Präsidenten auch seine sozialistische Revolution endet.

Von Peter Burghardt, Buenos Aires

Vor seinem Tod wollte es Venezuelas Präsident noch einmal allen zeigen. Seinen Freunden. Seinen Feinden. Sich selbst. Im Wahlkampf erklärte er die Krankheit für besiegt und stürzte sich ins Getümmel. Kein Landsmann konnte es mit ihm aufnehmen. "Dies ist eine Schlacht der Wahrheit gegen die Lüge, des Volkes gegen die Bourgeoisie, des Sozialismus gegen den Kapitalismus", rief er. Jetzt ist er tot. Nicht nur 29 Millionen Venezolaner fragen sich, ob mit ihm seine sozialistische Revolution stirbt.

Bis 2019 wollte Chávez regieren oder bis 2031, aber im Juli 2011 gab er diesen mysteriösen Tumor an der Leiste bekannt. Immer wieder wurde er auf Kuba operiert und bestrahlt. Zwischenzeitlich verstärkte der Kampf gegen das Geschwür den Mythos vom Unbesiegbaren und die religiöse Verehrung.

Vor seiner finalen Reise erhob der Kranke im Palast Miraflores von Caracas ein letztes Mal die Stimme. Hinter ihm hing das Ölbild des Befreiers Simón Bolívar, dessen Wiedergänger er gab. Den Vize Nicolás Maduro ernannte Chávez zum Nachfolger, falls etwas passieren sollte. Er sprach von Volk, Vaterland, Armee, Einheit. "Ich gehe von Wunder zu Wunder." Nun ist das Wunder vorbei. Es endet eine Ära, die Lateinamerika geprägt hat.

Eingesperrt, begnadigt - dann Präsident

Begonnen hatte es vor gut zwei Jahrzehnten. Am 4. Februar 1992 putschte der Oberstleutnant mit weinrotem Barett gegen den konservativen Präsidenten Carlos Andrés Pérez. Der erste Aufstand gegen das Establishment misslang zwar, doch es war sein Durchbruch - und der Beginn einer Glückssträhne. Chávez wurde eingesperrt und nach zwei Jahren begnadigt. 1999 war er Präsident.

Das Land im Norden Südamerikas besitzt die reichsten Ölvorkommen des Westens - und Caracas riesige Slums. Solche Widersprüche nützte der Instinktmensch mit Fortüne. Er gab dem Fußvolk Geld und Stimme.

Sein Chavismus wurde zur Religion. Seine Feinde verachteten ihn als populistischen Militaristen und autoritäre Nervensäge. Seine Freunde verehrten ihn in wie Jesus und Bolívar, sein Gassenhauer war der "Sozialismus des 21. Jahrhunderts".

Chávez polterte wie Fidel Castros Erbe gegen Washington - und verkaufte den USA Öl. Statt einer US-geführten Freihandelszone Alca entstand das bolivarische Gegenmodell Alba, Morgenröte. Dazu wuchs der Politverband Unasur.

Comandante und Borderline-Demokrat

Jahrelang wurde jeden Sonntag seine Fernsehshow "Aló Presidente" ausgestrahlt, stundenlang. Chávez sang, tanzte, rezitierte. Er stellte die Uhr eine halbe Stunde nach vorne, damit Schulkinder morgens früher die Sonne sehen.

2002 wurde Chávez gestürzt und war nach drei Tagen zurück. Nachher legten Gegner den staatlichen Ölkonzern PDVSA lahm, Chávez wechselte 20.000 Angestellte gegen Gefolgsleute aus.

Seine Genossen nannten ihn Comandante, wie Castro. Er freundete sich mit Parias wie Irans Mahmud Ahmadinedschad oder Syriens Baschar al-Assad an. Sein monarchischer Stil missfiel auch gemäßigten Kritikern. Aber der Caudillo blieb eine Art Borderline-Demokrat. Chávez entschied vier Präsidentschaftswahlen und mehrere Referenden für sich. Fast immer hatte er die Mehrheit, weil eine Mehrheit von ihm profitierte. Niemand bezwang ihn, erst dieser Krebs.

Den vollständigen Nachruf lesen Sie in der morgigen Ausgabe der Süddeutschen Zeitung.

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