Zum Tod von Horst Ehmke:Feuerkopf der SPD

Zum Tod von Horst Ehmke: Horst Ehmke spricht während einer Haushaltsdebatte im Bundestag im Jahr 1986.

Horst Ehmke spricht während einer Haushaltsdebatte im Bundestag im Jahr 1986.

(Foto: Egon Steiner/dpa)

Horst Ehmke war der sprudelnde Geist an der Seite von Willy Brandt, er war eines der größten Talente, das die Sozialdemokratie je hatte. Nur der Stallgeruch fehlte ihm.

Nachruf von Heribert Prantl

Die SPD ist eine alte, eine sehr alte Partei. In dieser sehr alten Partei war Horst Ehmke eines der größten Talente, das die Sozialdemokratie je hatte. Er war ein brillanter politischer Denker, ein Rechtslehrer und Rechtsgelehrter von hohen Graden, ein Homo furiosus, ein genialischer Wirbelwind und ein begnadeter Spötter. In der besten Zeit von Willy Brandt war er dessen Kronprinz; er war der sprudelnde Geist an der Seite des ersten sozialdemokratischen Kanzlers der Bundesrepublik.

Ehmke war auf allen Podien zu Hause, mehr als in den Parteigremien - er war schlagfertig, witzig, weltgewandt, charismatisch. Der Großbürger, Kulturmensch und Ordinarius des öffentlichen Rechts konnte über den Dualismus von Recht und Staat, über das Sein und das Sollen genauso gewandt und gescheit reden wie über Kunst, Kultur und die Finessen der Außenpolitik. Er war der wohl schillerndste Repräsentant der Brandt'schen SPD - und daher auch Chef von dessen Kanzleramt; er war, zusammen mit Egon Bahr, dem Vater der neuen Ostpolitik, der "konzeptionelle Impulsgeber der sozialliberalen Koaliton", wie Hans-Dietrich Genscher das beschrieb.

Sein Schicksal erinnert an das seines Mentors Carlo Schmid

Nur eines konnte Ehmke nicht: sich eine Hausmacht schaffen. Vielleicht hätte er auch das gekonnt, aber das Spiel um persönliche Macht reizte ihn nicht so sehr. Er war und blieb ein Stratege ohne Truppen, ein Held der Hörsäle und der Planungsstäbe. Deshalb hatte er keine Chance, sich gegen Helmut Schmidt durchzusetzen. Kanzler? Hätte er gekonnt. Aber ihm fehlte das, was in der SPD Stallgeruch heißt; und er wollte auch nicht so riechen. Er stammte aus feinen Verhältnissen, der Vater, ein Freimaurer, war Chirurg und Leiter einer Privatklinik in Danzig.

Ein wenig erinnert sein politisches Schicksal an das Schicksals seines Mentors Carlo Schmid, den Fein- und Schöngeist der SPD, Staatsrechtsprofessor in Tübingen, der der Star der Grundgesetzberatungen von 1948 auf Herrenchiemsee gewesen war. Carlo Schmid war eigentlich der geborene Bundespräsident - aber er wurde es nie; er blieb als Minister in der zweiten Reihe. So ähnlich erging es Horst Ehmke. Er war und blieb, wie er das selbst sagte, "ein Seiteneinsteiger von oben" - Staatsekretär des Bundesjustizministers Gustav Heinemann, dann Justizminister, als Heinemann Bundespräsident geworden war, dann Leiter des Bundeskanzleramts von Willy Brandt.

Er machte aus diesem Kanzleramt eine politische Schaltzentrale und galt als "Oberminister" und "Unterkanzler": selbstbewusst, forsch, nie liebedienerisch. Er galt als neuer Politikertypus. Als Minister für Forschung und Technologie, Post- und Fernmeldewesen wirkte er zuletzt eher unterfordert.

Aus seiner Zeit als Haudrauf und Stratege im Kanzleramt stammt eine der schönsten Anekdoten des politischen Bonn. Auf die Frage seines Fahrers "Wohin?" soll er die legendäre Antwort gegeben haben: "Egal wohin, ich werde überall gebraucht." Er konnte aber auch krachend und verletzend sein: Er war es , der einst im Streit um die neue Ostpolitik getobt hatte, dass "wir uns von den acht Arschlöchern in Karlsruhe nicht unsere Ostpolitik kaputtmachen" lassen. Die Ostverträge wurden dann vom Bundesverfassungsgericht mit knapper Not genehmigt.

Er schrieb sich in einen neuen Beruf hinein

Mit Karlsruhe, genauer gesagt in Karlsruhe, hatte Ehmkes Karriere kometenhaft begonnen: Er vertrat den Spiegel in der sogenannten Spiegel-Affäre vor dem Bundesverfassungsgericht. Er schrieb, unterstützt von seinem damaligen Assistenten Peter Häberle (der vor fünf Jahren als Doktorvater von Karl-Theodor Guttenberg in die Schlagzeilen geriet), die Verfassungsbeschwerde, um die Pressefreiheit gegen die Machenschaften des Franz Josef Strauß zu verteidigen.

35 Jahre alt war der Rechtsprofessor Ehmke damals, gelernt hatte er unter anderem bei Adolf Arndt, dem Kronjuristen der SPD. So jung war Ehmke damals, dass er beim Spiegel-Prozess in Karlsruhe gefragt wurde, wo denn sein Vater, "der Professor Ehmke" sei.

Seinerzeit entdeckte ihn die SPD, und der Feuerkopf wurde mit Ämtern und Aufgaben überhäuft - und er stürzte sich mit gewaltiger Energie hinein, weil er das Gefühl hatte, "an der Renovierung der Welt"`mitzuarbeiten. Er war und blieb "die älter werdende, ewig junge Hoffnung der SPD", wie er von sich selbst einmal selbstironisch sagte.

Ein vollendeter Unvollendeter

1994 schied Ehmke aus dem Parlament aus, er blieb aber hinter den Kulissen einflussreicher Berater. In der Festschrift mit dem Namen "Metamorphosen", die ihm 46 Freunde zum achtzigsten Geburtstag schrieben, kommt das außenpolitische Talent Ehmkes besonders zum Tragen.

Ehmke hat nämlich einiges zur Demokratisierung der Kommunistischen Partei Italiens beigetragen und deren Transformationsprozess im Namen und im Auftrag der deutschen SPD unterstützt. So kam es, dass Giorgio Napolitano 2006 Staatsoberhaupt wurde und das fast zehn Jahre lang blieb; zum erstenmal in der Geschichte der italienischen Republik stand ein ehemaliges Mitglied der Kommunistischen Partei Italiens an der Staatsspitze. Aber auch mit den Amerikanern konnte es Ehmke ziemlich gut - er war schließlich nach dem Krieg einer der ersten deutschen Studenten mit einem US-Stipendium gewesen und hatte in Princeton und Berkeley Jura, Geschichte und Politik erst gelernt und dann gelehrt.

Als alter Herr schrieb Ehmke sich dann hinein in einen neuen Beruf. Ehmke wurde Kriminalschriftsteller, und zwar ein guter. "Grenzen der Verfassungsänderung" war der Titel seiner Doktorarbeit gewesen, sein erster Krimi, erschienen 1998, hieß "Global Players", sein letzter "Im Schatten der Gewalt". Die Lektüre von Ehmkes Politthrillern lohnt auch deswegen, weil seine Krimis auf beklemmende Weise in die politische Zukunft schauen.

Man mag Horst Ehmke einen politisch Unvollendeten nennen - weil er die Gabe auch für die höchsten Staatsämter gehabt hätte. Aber er war glücklich so, wie es kam, er war mit sich und seinen privaten Verhältnissen zufrieden, und glücklich vor allem mit seiner Frau Maria. Er war ein vollendeter Unvollendeter. Am Sonntag ist Horst Ehmke im Alter von 90 Jahren in Bonn gestorben.

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