Es gibt wenige Gelegenheiten, bei denen sich die deutsche Justiz mehr blamiert hätte, als an diesem 27. Mai 1980. Es ist der 178. Verhandlungstag gegen die Angeklagten Ralf Reinders u.a.. Vor dem Berliner Landgericht geht es um die Ermordung des Gerichtspräsidenten Günter von Drenkmann Ende 1974 und um die Entführung des CDU-Landesvorsitzenden Peter Lorenz Anfang 1975.
Als Mittäter angeklagt ist ein berufsloser ehemaliger Germanistikstudent, der über Jahre Polizei, Universität und Justiz erfolgreich vorführte. Selbst der Richter war gespannt auf die Angriffe der Angeklagten.
Das lag an Fritz Teufel, der berüchtigten "Ausgeburt der Hölle". Dieser Teufel wird im Rückblick auf sein Leben sagen, dass es "meine Aufgabe war, im Knast zu sitzen". An diesem 178. Verhandlungstag erhebt sich der Angeklagte feierlich, weiß er doch, was sich gehört.
Seit fünf Jahren sitzt er jetzt im Gefängnis. Die Folgen der Haft, die er durch wiederholte Hungerstreiks noch verschärft hat, sind ihm deutlich anzusehen. Er bittet das Gericht um Entschuldigung dafür, dass er nicht die gewohnten Narrenspossen zu bieten habe.
"Wie Sie sehen, habe ich mich nach den Blödoyers der Bundesanwälte rasiert und mir die Haare schneiden lassen, um der Welt die Fratze des Terrors zu zeigen, die ich bisher hinter Bart und Matte versteckte."
1638 Tage saß Teufel in Haft, aber er saß unschuldig, wie er so treuherzig wie möglich vorträgt, denn er kann als Alibi einen Ausflug zur werktätigen Bevölkerung vorweisen: Während der Lorenz-Entführung war Teufel in einer Fabrik in Essen mit der Herstellung von Klodeckeln beschäftigt.
Die Staatsanwaltschaft, die ihn überführt glaubte, versucht verzweifelt, ihrem langjährigen Lieblingsfeind die Mittäterschaft nachzuweisen, bemüht Flugpläne und lügnerische Zeugen, präsentiert Polizisten, die mit falschen Aussagen bestätigen würden, dass dieser Teufel in Berlin mitmordete, um dann am nächsten Morgen pünktlich zum Schichtbeginn in Essen zu erscheinen, aber es gelingt einfach nicht.
Die Mitwirkung an Banküberfällen ist mit der bisherigen Haftdauer abgebüßt, der Angeklagte kann das Gericht als freier Mann verlassen. Auf dem Heimweg bittet er seinen Anwalt, vor einer Bank anzuhalten. Der Bankräuber Teufel will, so berichtet es sein Biograph Marco Carini, endlich ein Konto eröffnen.
Fritz Teufel, 1943 gutbürgerlich in Ludwigsburg als Sohn eines Finanzbeamten geboren, kam 1963 aus der Provinz nach Berlin mit dem Berufsziel "humoristischer Schriftsteller", doch muss er sich dafür in ein Studium der Germanistik bequemen.
Fritz Teufel ist tot:Der berühmte Achtundsechziger
Der gebürtige Schwabe prägte die Studentenbewegung mit, gründete die Kommune 1 und saß acht Jahre lang im Gefängnis - die meiste Zeit über unschuldig.
Wie einige andere träumt er von der "Revolutionierung des Alltags" und gründet mit Rainer Langhans, Ulrich Enzensberger, Dieter Kunzelmann und Dorothea Ridder die Kommune 1. Das Phantom der "freien Liebe" geistert plötzlich durch Berlin, und die Springer-Zeitungen dichten den Kommunarden begeistert Drogen- und Sexorgien an.
Es kommt noch schlimmer: Die Abenteurer tragen lange Haare, sind also eindeutig Kommunisten und planen deshalb die Ermordung des amerikanischen Vize-Präsidenten Hubert Humphrey. Tatsächlich war es eine harmlose Puddingmischung, mit der Humphreys Konvoi ein bisschen eingenebelt werden sollte. Oder wie es Teufel später formulierte: Wir wollten "den Amivize Hampfri mit Napalm beschmeißen, weil die Amis Vietnam mit Pudding bombardierten".
Teufel muss deshalb zum ersten Mal ins Gefängnis. An der Freien Universität droht ihm die Relegation; Vorsitzender des Disziplinarausschusses ist der spätere Bundespräsident Roman Herzog. Teufel hat sich in seinem Erscheinungsbild inzwischen John Lennon von den Beatles angenähert, deren Album Sergeant Pepper's Lonely Hearts Club Band am 1. Juni 1967 erscheint: Nickelbrille und Bart, ein Mädchenschwarm.
Einer Karriere als Revolutionär steht fast nichts mehr im Weg, als Teufel eingesperrt wird, weil er bei der Demonstration gegen den "Schah von Perwersien" rädelsgeführt und Steine geworfen haben soll.
Während der Polizeiwachtmeister Karl-Heinz Kurras mit dem Wohlwollen seiner Oberen den Studenten Benno Ohnesorg erschießen durfte und keinen einzigen Tag im Gefängnis verbrachte, wird der unschuldige Teufel ein halbes Jahr in Untersuchungshaft gehalten. "Ich habe fließend Wasser und einen Abort in meiner Zelle", meldet er den Freunden draußen. "Die Küche ist gediegen. Heute gibt es Klöße und Backobst." Diese schöne Zeit geht erst zu Ende, als Teufel der Aufforderung des Richters, sich zu erheben, mit dem heute sprichwörtlichen Satz nachkommt: "Wenn's der Wahrheitsfindung dient."
Die solcherart verspottete Justiz hatte noch immer nicht genug, verurteilte ihn wegen "Beleidigung in Tateinheit mit Abbrennen von Feuerwerkskörpern im Gerichtssaal", wegen "Hausfriedensbruch in Tateinheit mit Störung des Gottesdienstes". Da glaubte das erfahrene Justizopfer, es sei Zeit, dem Bild des Bürgerschrecks endlich zu entsprechen.
Aus dem "Haschrebellen" wurde ein Untergrundkämpfer, doch konnte er das Dichten nicht lassen. Bei einem Banküberfall verteilten er und seine Genossen Negerküsse an die Kunden. "Hoffentlich geht's gut, also: Her mit der Kohle!"
Es ging natürlich nicht gut. Der Klodeckelverfertiger und spätberufene Stadtguerillero Teufel wurde verhaftet und eingesperrt. Nachdem ihn das Gericht 1980 freigeben musste, verwandelte sich der ungebärdige Teufel in einen leidenschaftlichen Reisenden.
Er beteiligte sich in London an einer Bäckerkommune, schaute bei der Revolution in Portugal vorbei und gründete schließlich in Berlin einen Fahrradkurierdienst. Manchmal schrieb er noch für die tageszeitung, glossierte den Niedergang der Revolte und attackierte in einer Talkshow den damaligen Finanzminister Hans Matthöfer (SPD) mit einer Spritzpistole.
Vor zwölf Jahren packte ihn die Parkinson'sche Krankheit. Die Revolte hatte den Dichter, der Wilhelm Busch als Vorbild nannte, zum Krüppel werden lassen, aber Teufel jam-merte nicht. Wer mit ihm sprechen wollte, musste sich auf ein Tischtennisspiel einlassen, das ihm, krumm und elend, wie er bereits war, noch immer einigermaßen gelang.
Die Justiz, die 1968 noch reichlich mit Nazi-Richtern durchsetzt war, hat sich von Fritz Teufel zu ihrem Glück nie wieder erholt. "Teufel hat der Wahrheitsfindung gedient", ruft ihm deshalb ein anderer 68er, der CSU-Abgeordnete und Rechtsanwalt Peter Gauweiler nach. Am Dienstag ist der ewige Angeklagte Teufel in die kleine Galerie großer deutscher Revolutionäre wie Till Eulenspiegel, Erich Mühsam und Wolfgang Neuss aufgenommen worden.