Zum Tod des Altbundeskanzlers:Trauer um Helmut Schmidt

Der ehemalige Bundeskanzler stirbt mit 96 Jahren in seiner Heimatstadt Hamburg. Deutschland verliert einen großen Staatsmann - und eine Jahrhundertfigur.

Von Detlef Esslinger

Helmut Schmidt ist tot. Der frühere Bundeskanzler starb am Dienstag in Hamburg. Er wurde 96 Jahre alt, so alt wie keiner seiner Vorgänger. Er war seit Längerem krank, und doch kam sein Tod für die Öffentlichkeit relativ plötzlich. Schmidt hatte in seinem Leben so viel erlebt und so viel überstanden, dass Krankheitsmeldungen für Außenstehende meistens wenig beunruhigend klangen.

In den vergangenen Tagen hatte sich gleichwohl abgezeichnet, dass diesmal wirklich Anlass zu Sorge bestand. Menschen, die ihm nahestanden, gingen zu Wochenbeginn an die Öffentlichkeit mit dem Satz, es gehe Helmut Schmidt "wirklich nicht gut". Er starb nach Aussage seines Arztes Heiner Greten am Dienstag "sehr, sehr friedlich" in seinem Bett zu Hause. Dort kümmerten sich Pfleger um ihn. Auch seine Tochter Susanne, die in England lebt, war seit Tagen dort. Bundespräsident Joachim Gauck nannte den verstorbenen Altkanzler einen "leidenschaftlich vernünftigen Denker": Sein "entschlossenes Handeln in schwierigsten Situationen, seine Fähigkeit, das Machbare zu erkennen und zu gestalten, aber auch seine Kompromissfähigkeit, sein Eintreten für die Verteidigungsbereitschaft der freien Staaten Europas in Zeiten der Bedrohung - das alles steht mir und vielen Menschen in unserem Land in diesen Stunden der Trauer vor Augen". Kanzlerin Angela Merkel erinnerte sehr persönlich an die Rolle Schmidts als Innensenator in Hamburg bei der großen Sturmflut 1962. Sie habe seinen Namen damals zum ersten Mal gehört, im Radio. Schmidt sei für sie eine Instanz gewesen, "einer, dessen Rat und Urteil mir etwas bedeuteten", sagte sie.

Der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel nannte ihn einen "großen Europäer". 33 Jahre ist es her, dass Helmut Schmidt das Kanzleramt verließ. Nach Konrad Adenauer, Ludwig Erhard, Kurt Georg Kiesinger (alle CDU) und Willy Brandt (SPD) war er der fünfte Bundeskanzler. Wie alle seine Vorgänger und bisher alle seine Nachfolger musste er unfreiwillig gehen - Schmidt war aber von ihnen der einzige, der durch ein Misstrauensvotum gestürzt wurde. Die FDP hatte mitten in der Legislaturperiode die Koalition mit der SPD aufgegeben und wählte am 1. Oktober 1982 zusammen mit CDU und CSU den CDU-Vorsitzenden Helmut Kohl zum Kanzler. Schmidts Ansehen hatte nach mehr als acht Jahren an der Spitze der Regierung im eigenen Lager gelitten - weil er an der Nachrüstung der Nato mit Mittelstreckenraketen festhielt, weil er dem Umweltschutz wenig abgewinnen konnte und weil die Wirtschaftslage damals so schlecht war, dass sich SPD und FDP nicht einig wurden, mit welchen Mitteln sie zu verbessern war.

Das Verhältnis zu seinem langjährigen FDP-Vizekanzler und Außenminister Hans-Dietrich Genscher blieb danach lange Zeit angespannt. Am Dienstag nannte Genscher dies "eine bittere Phase, die für mich die menschliche Seite nie berühren konnte".

Je länger die Kanzlerzeit zurücklag, desto stärker wuchs Schmidts Ansehen wieder - seit mindestens anderthalb Jahrzehnten betrachteten die Deutschen ihn geradezu mit Verehrung. Schmidt war nach seiner Zeit als aktiver Politiker nicht in die Rolle des Geschäftsmanns, sondern in die des Publizisten gewechselt. Schon im Mai 1983 wurde er Mitherausgeber der Zeit; eine Position, die er drei Jahrzehnte lang nutzte, um den Deutschen ihr Land, die Welt und die Weltwirtschaft zu erklären. Was er sagte und wie er es sagte, verschaffte ihm das Image, ein weiser Erklärer der Zeitläufte zu sein. Helmut Schmidt sprach oft lakonisch, manchmal schneidend, immer rauchend. Es ging ihm darum, die reale Welt zu deuten - aber nicht, Wege zu einer wünschenswerten Welt aufzuzeigen. "Wenn wir uns überall einmischen wollen, wo himmelschreiendes Unrecht geschieht, dann riskieren wir den Dritten Weltkrieg", war ein klassisches Schmidt-Zitat.

Seinen Nachfolger Kohl betrachtete er lange mit Geringschätzung; später bekundete er ihm öffentlich Respekt. Noch vor einem Jahr schrieb Schmidt ihm einen Brief, in dem er dessen Buch "Aus Sorge um Europa" lobte. Im Umgang mit Russland komme es darauf an, "was an diplomatischen Kanälen und Kooperationen möglich ist oder wieder möglich gemacht werden kann". Schmidt machte den Brief öffentlich, um so ein quasi gemeinsames Statement der beiden Altkanzler zu erzeugen.

Geboren wurde Helmut Schmidt am 23. Dezember 1918 in Hamburg. Sein Großvater war ein jüdischer Bankier, was die Familie dem NS-Staat verheimlichte. Seit 1941 musste er als Soldat am Krieg teilnehmen. In die SPD trat er 1946 ein. Bevor Schmidt 1974 Kanzler wurde, war er drei Jahre Verteidigungs- und zwei Jahre Finanzminister. Er war 68 Jahre lang mit seiner Frau Loki verheiratet. Sie starb vor fünf Jahren.

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