Zum Grundrecht auf Versammlungsfreiheit:Kein demokratisches Trallala

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Die Geschichte der Großdemonstrationen in Deutschland könnte alsbald zu Ende gehen. Ein konkretes Ergebnis des G-8-Gipfels ist auch ein zerriebenes Grundrecht zur Versammlung.

Heribert Prantl

Das Wort Demonstration kommt vom lateinischen demonstrare - und das heißt "etwas zeigen". In Heiligendamm zeigt sich, und das gehört zu den konkreten Ergebnissen des Gipfels, wie das Grundrecht der Versammlungsfreiheit zerrieben wird: Es wird zerrieben zwischen Politik, Polizei und dem Teil der Demonstranten, der sich Schwarzer Block nennt, aber Schwarzer Mob heißen sollte. Das Bundesverfassungsgericht steht irritiert daneben und weiß nicht, was es tun soll.

Das höchste Gericht will das Demonstrationsgrundrecht bei Großveranstaltungen retten: Es tadelte daher die Sicherheitsbehörden, es warf ihnen Maßlosigkeit vor und es bezeichnete ihre absoluten Versammlungsverbote am Schutzzaun als verfassungswidrig - wohl auch deswegen, weil die Proteste so sehr beschränkt worden sind, dass sie schier nicht mehr friedlich ablaufen konnten.

Aber das Verfassungsgericht zog daraus keine Konsequenzen; es getraute sich nicht mehr, die Bannzonen aufzuheben, ja es konnte dies auch nicht mehr tun, weil die Gründe, die bei Erlass der Verbote fehlten, von bornierten und brutalen Gewalttätern nachgeliefert worden sind.

Selbsterfüllende Prophezeiung

Indes: Ist ein staatlicher Verfassungsverstoß nachträglich heilbar durch private Straftaten? Wenn das so wäre und also das Modell Heiligendamm Schule machte, dann könnte die Geschichte der Großdemonstrationen in Deutschland alsbald zu Ende gehen - und von der Geschichte der sich selbst erfüllenden Prophezeiung abgelöst werden: Im Vorfeld eines Großereignisses wird dann künftig stets der Teufel an die Wand gemalt, nach diesem Bild bei den kritischen Initiativen der Republik nach den Teufeln gesucht - und wenn die Beelzebuben damit gelockt werden, dienen sie als Rechtfertigung für die zuvor verhängten Großverbote.

Eine Großdemonstration derjenigen, die ihren friedlichen Protest ortsnah zeigen wollen, wird so juristisch unmöglich gemacht. Im Strafrecht nennt man das Notwehr-Provokation. Das in Notwehr verletzte Opfer ist in diesem Fall das Grundrecht nach Artikel 8.

Protest einzukalkulieren ist klug

Laura Bush, die Gattin des US-Präsidenten, hat in einem Interview in Heiligendamm gesagt: "Es gefällt uns nicht, kritisiert zu werden, aber die Demonstrationsfreiheit gehört zur Demokratie". Das ist eine schlichte Weisheit; die Sicherheitsbehörden haben sie im Vorfeld von Heiligendamm nicht geachtet.

Der Schutz des Grundrechts gehört nicht in die Abteilung demokratisches Tralala. Auch unter Sicherheitsgesichtspunkten ist es höchst klug, Protest einzukalkulieren und ihm Raum zu verschaffen, um keine Eskalation zu riskieren. Das ist die Lehre aus früheren Gipfeln.

Diesen Raum hat der Staat dem Protest gegen den G-8-Gipfel in Heiligendamm leider nicht ausreichend geben wollen. Dies festzustellen, bedeutet nicht, Schuld an Gewalttätigkeiten einseitig dem Staat zuzuschieben. Dies festzustellen bedeutet, an die demokratische Lernfähigkeit der Sicherheitsbehörden zu glauben.

© SZ vom 8.6.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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