Zulauf bei Salafisten in Deutschland:Krude Ideen gegen die Einsamkeit

Razzien, ein Vereinsverbot und eine Festnahme - Innenminister Friedrich ist zufrieden mit der groß angelegten Aktion gegen Salafisten in mehreren Bundesländern. Doch Experten bezweifeln, dass strafrechtliche Schritte alleine das richtige Mittel gegen den Salafismus sind. Orientierungslose Jugendliche müssten anders erreicht werden.

Hannah Beitzer

Innenminister Hans-Peter Friedrich ist zufrieden. Als "außerordentlich erfolgreich" wertet er die Großrazzien gegen Salafisten in mehreren deutschen Bundesländern. Zahlreiche Beweismittel seien sichergestellt und ein mutmaßlicher Islamist, der in Großbritannien per Haftbefehl gesucht wird, festgenommen worden. Bereits am Vormittag hatte der Innenminister die salafistische Vereinigung Millatu Ibrahim verboten, gegen zwei weitere Organisationen laufen Ermittlungsverfahren.

Mit den Razzien sei deutlich geworden, dass der freiheitliche Rechtsstaat seine Gegner abwehren könne, sagt Friedrich - eine Aussage, die der Extremismusforscher Alexander Straßner von der Universität Regensburg nur bedingt teilt: "Da geht es doch nur wieder darum, dass der Staat angesichts der Anti-Islam-Stimmung in der Öffentlichkeit Handlungsfähigkeit zeigt." An die Wurzeln des Problems rühre die Aktion nicht.

Auch der Islamwissenschaftler Götz Nordbruch vom Verein Ufuq (dt: Horizont), der sich vor allem mit jungen Muslimen beschäftigt, sagt: "Strafrechtliche Verfolgung kann im Umgang mit dem Salafismus nur eine Facette sein, sie ist nur der letzte Schritt gegenüber denjenigen, die tatsächlich zu Gewalt aufrufen."

Doch das eigentliche Problem liege tiefer, sind sich die Experten einig: nämlich in der enormen Anziehungskraft, die der Salafismus auf manche Jugendliche ausübt. "Die Frage ist doch, wieso sich deutsche Staatsbürger einer solchen Gruppierung anschließen", sagt Straßner. Die Antwort: Viele junge Menschen sehnten sich nach Orientierung, einem festen Wertekonstrukt, das sie in ihrem Umfeld vermissen: "Und Salafisten-Prediger wie Pierre Vogel bieten klare Ansagen, eine klare Unterteilung der Welt in Gut und Böse". Dazu gehörten eben auch die strikte Ablehnung von Homosexualität und ein rückständiges Frauenbild.

Vereinsverbote helfen da nach Ansicht der Wissenschaftler nur wenig, denn die meisten Jugendlichen kämen eher über Videos im Internet zum Salafismus. Zudem sei die Organisationsstruktur schwer zu überschauen.

Krude Ideen gegen die Einsamkeit

Für Nordbruch steht deswegen das Bemühen im Vordergrund, den Jugendlichen rechtzeitig "ein Angebot zu machen": "Sie müssen sich von der Gesellschaft angenommen fühlen", sagt er. Schon kleine Gesten könnten hier viel bewirken. Als Beispiel nennt er die Äußerung des damaligen Bundespräsidenten Christian Wulff, der Islam gehöre zu Deutschland. "Das war eigentlich nur ein kleiner Satz, der ganz leicht eingebaut ist in so eine Rede. Aber er hatte eine große Öffentlichkeit und wurde auch bei den muslimischen Jugendlichen in deren Internetforen viel diskutiert", erzählt der Experte. Da habe es geheißen: "Endlich sagt mal einer, dass wir auch dazu gehören!"

Im Umkehrschluss hätten aber auch Aussagen wie die von Thilo Sarrazin eine enorme Wirkung: "Ein Buch wie seines macht ganz viel kaputt." Muslimische Jugendliche bekämen so das Gefühl, nicht zur Gesellschaft zu gehören - und eben dieses Gefühl des Alleinseins mache sie anfällig für krude Ideologien. "Die Salafisten bieten Jugendlichen eine Gemeinschaft, wo Alternativen fehlen." Es gebe hier durchaus Parallelen zum Rechtsextremismus, der auch hauptsächlich auf orientierungslose junge Menschen setze.

Im Internet gebe es viele Videos von charismatischen Predigern, die Antworten auf ganz einfache Fragen aus dem Alltag junger Menschen geben: 'Darf ich als Muslim im Café nebenan Fußball schauen?' zum Beispiel. "Auf eine solche Frage wird der Imam von der Moschee nebenan oft keine Antwort wissen", sagt Nordbruch. Dafür aber einer wie der Salafisten-Prediger Pierre Vogel. "Es wäre fatal, wenn das Islamverständnis mehr und mehr von Leuten wie Vogel geprägt wird", findet der Experte.

Die Lösung? Bildung und Aufklärung, finden beide Wissenschaftler. "Man muss den jungen Menschen erklären, warum unsere Staatsform gut ist, warum die Demokratie gut ist", sagt Alexander Straßner. Nordbruch sieht den Schlüssel zur Integration in den Schulen. "Religion muss dort als Thema behandelt werden", sagt er - auch, wenn ein Lehrer selbst nicht religiös sei. "Wenn Schüler über Gott reden wollen, dann muss man als Lehrer darauf eingehen."

Natürlich müsse man nicht alles, was Schüler denken, kritiklos annehmen - gerade wenn es zum Beispiel um das Frauenbild im Islam gehe. Wichtig sei, dass sich die Jugendlichen ernstgenommen fühlten. Das gelte auch für Themen wie den Nahost-Konfikt oder Diskriminierung, die zum Beispiel Mädchen mit Kopftuch erfahren. "Auch wenn man hier Angst vor Fettnäpfchen hat - man muss Ängste ansprechen."

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