Süddeutsche Zeitung

Zentrum Deutsche Einheit:Zukunftswette für 200 Millionen

Halle bekommt überraschend den Zuschlag für die größte Investition des Bundes in dieser Dekade - das Zukunftszentrum für Deutsche Einheit und Europäische Transformation. Der Jubel ist groß, die Brachfläche auch.

Von Iris Mayer, Halle

Das letzte Mal, als sie in Halle die Zukunft erfunden haben, sollte der Kapitalismus schon längst Vergangenheit sein. Anfang der Siebzigerjahre war das, an der Fassade des Energiekombinats am Ernst-Thälmann-Platz schuf der spanische Kommunist Josep Renau das Fliesenmosaik "Die friedliche Nutzung der Atomenergie". Während deren Zeit hierzulande spätestens im April abläuft, soll in nur 200 Metern Luftlinie vom Kachelkunstwerk bis 2028 das Zukunftszentrum für Deutsche Einheit und Europäische Transformation entstehen. 200 Millionen Euro investiert der Bund dafür, sein größtes Bauvorhaben in dieser Dekade. Am Dienstagabend gab eine 15-köpfige Jury aus Bürgerrechtlerinnen, Wissenschaftlern und Politikerinnen der 240 000-Einwohner-Stadt Halle in Sachsen-Anhalt den Zuschlag für das Prestigeprojekt, für das lange Frankfurt (Oder) als Favorit gehandelt wurde.

Entsprechend groß war der Jubel an der Saale: "Das ist eine großartige, um nicht zu sagen, einmalige Nachricht für unsere Stadt, die Region und das Land Sachsen-Anhalt", sagte Halles Bürgermeister Egbert Geier (SPD), der am Ende auch Jena, Eisenach und das Bewerbertandem Leipzig-Plauen aus dem Feld schlug. Geier hob die Teamleistung hervor: Ein Netzwerk aus über 70 kulturellen, zivilgesellschaftlichen, wissenschaftlichen und wirtschaftlichen Einrichtungen habe die Bewerbung mitgetragen und gefördert. Halle sei mit seiner Transformationserfahrung perfekt für das Zentrum geeignet: "Wir sind sympathisch unfertig." Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) machte es kurz: "Ich bin glücklich."

"Eine unverdiente Niederlage für Frankfurt"

Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) tröstete sich dann auch damit, dass die "Metropolregion Halle-Jena-Leipzig" und der ganze mitteldeutsche Raum gestärkt würden. Frankfurts OB René Wilke (Linke) zeigte sich hingegen enttäuscht: "Für unsere Stadt ist es eine unverdiente Niederlage." Das Zukunftszentrum soll die Leistungen der deutschen Vereinigung würdigen und die Erfahrungen daraus nutzbar machen, für künftige Umbrüche und Krisen. Es soll Begegnungs- und Forschungsstelle zugleich sein, Raum bieten für Kultur und lebendige Diskussionen. Es geht auf einen Vorschlag der Kommission "30 Jahre Friedliche Revolution und Deutsche Einheit" aus dem Jahr 2020 zurück.

Nach einem Architekturwettbewerb soll bis 2028 ein "Gebäude mit einer herausgehobenen modernen Architektur" gebaut werden, als Vorbild wird unter anderem das Guggenheim in Bilbao angeführt. Für den Betrieb sind 40 Millionen Euro im Jahr vorgesehen. Bis zu eine Million Menschen soll das Zentrum jedes Jahr anziehen. Für den Ostbeauftragten Carsten Schneider (SPD) ist es "eines der wichtigsten Projekte für die Festigung der deutschen Einheit und des Zusammenhalts in Europa". 200 Arbeitsplätze sollen dauerhaft entstehen.

Schnäppchenversprechen schlägt Zukunftsvision

In Halle wird dies nun an einem Ort passieren, der in vielerlei Hinsicht als Symbol für Transformation gelten darf. Im Mittelalter stand hier der städtische Galgen. Kurz vor Ende des Zweiten Weltkriegs bombardierte die US-Armee den Umkreis des Bahnhofs und zerstörte so das Gesicht des Riebeckplatzes, benannt nach dem Industriellen Carl Adolph Riebeck, einem "Pionier der verarbeitenden Braunkohleindustrie in Mitteldeutschland", wie es heute wieder auf dem Straßenschild heißt. Keines der einst prägenden Hotels "Weltkugel", "Hohenzollernhof" oder "Europa" wurde nach dem Krieg wieder aufgebaut, zu DDR-Zeiten ging der in Ernst-Thälmann-Platz umbenannte Ort als verkehrsreichster Knotenpunkt der Republik in die Geschichte ein - ein alptraumhaftes Knäuel aus Stadtautobahn, Kreisel und Fußgängertunnel.

Auch heute donnern um die 80 000 Fahrzeuge täglich über die ineinander verschlungenen Hoch- und Bundesstraßen, dazu kommen 50 Straßenbahnen pro Stunde und im Hintergrund die Bahnschienen nach Berlin und Leipzig. Bislang wird die städtische Brachfläche noch als Parkplatz genutzt (Höchstparkdauer eine Woche).

Der Riebeckplatz selbst stehe für Transformation, sagt Geier am Mittwoch in Berlin und könne künftig durch herausragende Architektur ein Bezugspunkt werden, "den jeder sieht, der in der Stadt ankommt". So weit ist es freilich noch nicht, am Dienstag verschwindet die Ankündigung "Hier kann Zukunft beginnen!" noch hinter der Parole des Baumarkts Hornbach: "Hier geht's zu den Dauertiefpreisen!" Aber am Ende werden sie in Halle auch dieses Mal wieder die Zukunft neu erfinden.

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