Zukunftswaffen:Zwischen Warnschrei und Schuss

Vernichtungsschmerzen aus der Waffenkammer der Science-Fiction: Wie Amerikas Militär mit Hitze, Licht und Laserstrahlen Aufständische in Schach hält.

Olaf Arndt

"Zeus" ist im Irak, gleich drei Mal. Die amerikanische Firma Sparta Inc. hat ihn und seine Klone hingeschickt. Zeus erzeugt 10 000-Watt-Laserlicht auf dem Dach eines Hummer-Jeeps. Bereits dies ist ein alchemistischer Akt von göttlichem Format. Doch Zeus vereint noch mehr Widersprüche in sich: Er ist ein humanitärer Gewalttäter. Mit seinem glühenden Strahl zerstört er Landminen. Er ist ein "demon" (kurz für "directed energy munition"), ein Dämon.

Mehr Schmerzen, weniger Tote. So lautet das Prinzip des Hitzestrahlers auf dem Dach eines Hummer-Geländewagens, an den sich Kirk Hackett, der erste ADS-Programm-Manager der Air Force, und seine Nachfolgerin Diana Loree lehnen.

Mehr Schmerzen, weniger Tote. So lautet das Prinzip des Hitzestrahlers auf dem Dach eines Hummer-Geländewagens.

(Foto: Foto: Air Force)

Mit der "gerichteten Energie des Lichts" bewahrt er uns vor weiteren Schäden. Doch nun behaupten Bürger in Bagdad, er würde nicht nur Kriegsgerät, sondern ganze Busse voller Zivilisten einschmelzen. Das berichtete zum Beispiel der erste Geiger des Bagdader Stadtorchesters, Majid al Ghezali, im italienischen RAI News-Film "Der Sternenkrieg": Der Bus sei in Bagdad vom Schmelzstrahl des Minenräumers getroffen worden.

Nun geht der Horror um. Nicht nur der Violinist Ghezali, auch andere Augenzeugen berichten, wie unsichtbare, lautlose Strahlen den Opfern in die Füße und zur Schädeldecke wieder heraus fahren. Die Kleidung aber bleibe unverbrannt. Keine Spur von konventionellen Projektilen. Technischer Totschlag im Tempo des Lichts. Ein echtes Mysterium. Zeus hat die Regeln der Physik aufgehoben.

Spätestens seit die Sendung "Report" und die Nicht-Regierungsorganisation Medico International Mitte August nachgewiesen haben, dass die schwarz verbrannten Toten im Libanon nicht Opfer einer Chemikalie waren, wuchern Verschwörungstheorien über "geheime Superwaffen", gezüchtet in Tausenden Blogs, von den Medien aufgegriffen. Dass Geräte wie Zeus Minen, nicht Menschen zerstören sollen, fällt dabei kaum ins Gewicht. Die Hersteller unterscheiden ohnehin nicht so fein.

Seit Jahrzehnten sind unsichtbare Zerstörungsstrahlen wie elektromagnetische Impulsgeräte, "E-Bomben", Mikrowellen-, Laser- sowie Plasmawaffen im Gespräch, wenn es um die Zerstörung feindlicher Waffen und Computer geht. Bislang gehörten sie in Hollywoods "Star Wars"-Arsenal. Inzwischen aber stehen etliche Geräte für Polizei und Militär vor der Marktreife: das Active Denial System (ADS), das Aktive Vertreibungssystem der Firma Raytheon, das punktgenau starke Hitzewellen erzeugt oder Produkte der deutschen Firmen Diehl und Rheinmetall. Im Irak fährt noch dieses Jahr der "Sheriff" Patrouille: der mobile Mikrowellen-Strahler hat bis zu 500 Meter Reichweite und dient der Zerstreuung von ,,Unruheherden". Der "Sheriff" löst "maximale Schmerzen" aus.

Charles Sid Heal vom Los Angeles Sheriffs Department kennt die faulen Stellen dieser Erde. Jahrelang war er als Team-Leader des Marine Corps in Asien unterwegs. Korea, Vietnam, Thailand, Philippinen. Am persischen Golf hat er für den Frieden gefochten. Gefängnisaufstände schlägt er persönlich nieder, mit einer "Stachelball"-Granate in der Hand. Heal, Mitte Fünfzig, ein Kerl wie eine Eiche, hat den Taser, den effektivsten Elektroschocker der Welt, mehrfach am eigenen Leib ausprobiert.

Er hat "sticky foam", einen stark ätzenden Klebstoff, gegen die andrängenden Massen in Afrika eingesetzt. Das war 1995 bei der "Operation United Shield" in Somalia, die als die Geburtsstunde der "nicht-tödlichen Waffen" gilt. Sid ist aber auch ein fantasiebegabter Theoretiker: Er hat das "fünfdimensionale Schlachtfeld" erfunden, das den Cyberspace mit umfasst.

Geschmolzene Kontaktlinsen

Heal nennt Hitzekanonen wie den "Sheriff" den "heiligen Gral der crowd control". Sie schließen die Lücke zwischen "Warnschrei und Schuss" bei der Unterwerfung aufrührerischer Massen. 54,4 Grad Celsius konzentrierter Hitze erzeugen, abhängig von der Dauer, mindestens 8 dol auf der Skala, die das größte vorstellbare Schmerzerlebnis mit 10 dol ansetzt. Mediziner nennen solche blitzschnell einsetzenden Gefühle "Vernichtungsschmerzen".

Silent GuardianTM ist der Name einer dieser Maschinen. Geräuschlos treffen die Strahlen des "stillen Wächters" und dringen nur 0,4 mm unter die Haut. Bloß eine leichte Rötung entsteht, und sie verschwindet nach wenigen Minuten. Eine spurenlose Waffe, die den Willen bricht. Die so genannte Millimeterwelle, auch "Cousine der Mikrowelle" genannt, erzeugt diese ungeheuere Sensation.

Zwischen Warnschrei und Schuss

Vor wenigen Wochen veröffentlichte der amerikanische Luftwaffenoffizier Doug Beason sein Buch "The E-Bomb" auch in Europa (Perseus Press, London). Beason ist Associate Director des staatlichen Los Alamos National Laboratory. Einer der Bilder und Plots erdenkt, eher ein Gestalter, als ein Krieger. Beason hat in einer Parallel-Karriere viele Romane produziert, Science Fiction.

Das ist in den USA nicht unüblich: Die Fantasy-Bestseller-Autorin Janet Morris leitet die Forschungsabteilung am "Global Security Council", einer CIA-nahen Einrichtung. Tom Clancy, der auflagenstärkste Militärromancier der Welt, arbeitet als Promoter für das Joint Non-Lethal Weapons Directorate (JNLWD), jenes Institut im amerikanischen Verteidigungsapparat, das dem Einsatz von Zukunftstechnologien gewidmet ist.

In seinem überaus bilderreichen Sach-buch lobt Beason den bald im Irak laufenden ADS-Strahler als "Maxwellschen Teufel", offenbar eine sehr freie Interpretation des Gedankenexperimentes von James Clerk Maxwell aus dem 19. Jahrhundert. Doch anders als "Maxwells Dämon" trennt ADS keine Moleküle, sondern böse von guten Demonstranten. Die laut Beason "selektive Waffe" kann "Unschuld von feindlicher Intention unterscheiden". Ist sie endlich erfunden, die mitdenkende, mitfühlende Maschine?

Zeus' Kollege, der Maxwellsche Teufel, straft mit dem Strahl des Lichts. Ein bisschen schmelzen kann er auch, zum Beispiel Kontaktlinsen in den Augen. Erst nach zwölf Jahren Entwicklung und etwa 50 Millionen Dollar Forschungsgeld stellte sich bei einem Test im vergangenen Jahr heraus, dass das aufgeheizte Kleingeld in den Taschen der Probanten weiter brennt, wenn der Strahl der modulierten Wellen längst versiegt ist.

Dennoch werden solche Szenen bald Realität auf unseren Straßen sein: "Eine der gemieteten Testpersonen hebt den Arm zum Stein-Wurf. Ein Soldat - er steht hinter dem ,Aktiven Vertreibungssystem", einer Art elektrischem Gewehr, das aussieht wie eine Satellitenschüssel - visiert den sich auffällig gebärdenden Unruhestifter an. Er zieht den Abzug und setzt einen lautlosen Energiestrahl frei." So beschreibt der Historiker Steven Mihm Videoausschnitte von ADS-Testläufen mit Menschen, die ihm das Pentagon vor zwei Jahren vorführte.

Und weiter: "Nach Bruchteilen einer Sekunde jault der Zivilist auf und hoppelt über das Feld, während er mit einer Hand offenbar versucht, sein Hinterteil zu kühlen. Andere Demonstranten kläffen wie Hunde und rasen in Panik umher, als würde man sie mit unsichtbaren Flammenstößen attackieren. Während sie flüchtend übereinander purzeln, drehen sich Teile der Horde immer wieder herum, grölen und schwenken die Fäuste wie ein Stamm aus der Steinzeit, der zum ersten Mal einer wirklich modernen Waffe begegnet."

Vierzehn vierrädrige "Teufel" zum Preis von 10,5 Millionen Dollar sollen noch vor Jahresschluss gegen gewaltbereite Irakis eingesetzt werden, meldet der Hersteller Raytheon, eine führende amerikanische Rüstungsfirma. Ihr Name bedeutet zu deutsch "Gott der Strahlen". Mit 80.000 Angestellten erzielt sie etwa 20 Milliarden Dollar Jahresumsatz. In der Zeitschrift New Scientist steht das ADS auf Platz 5 der "Hitliste angesagter Zukunftswaffen".

Sado-Maso-Gesellschaft

Brett Wagner vom California Center for Strategic Studies hingegen Mitte Juli eine Petition eingereicht, um "Rumsfelds ray gun", Rumsfelds Strahlenkanone, zu stoppen. Die Strahler sieht er nicht nur als fundamentalen Eingriff in die Rechte der freien Meinungsäußerung. Da sie Schmerz in ungeheuerlichem Umfang und damit bleibende Traumata erzeugen können, kategorisiert er sie als Folterinstrumente, möglicherweise mit Todesfolge. Die Genfer Konvention verbietet Waffen, deren einziges Ziel die Erzeugung von Schmerz ist. Die Demokratie ist nach Wagners Meinung in Gefahr.

Für das Jahr 2006 diagnostiziert selbst die Schutzkommission beim deutschen Bundesminister des Innern in ihrem "Dritten Gefahrenbericht" vermehrt "E-Gefahren" für die Zivilbevölkerung. Diese ergänzen die bekannten ABC-Gefahren um den "elektromagnetischen Impuls". Doch die Befürworter erpressen die Öffentlichkeit mit Notstandsargumenten und Terrorgefahr. Elektroimpulsgeräte werden im aktuellen bayrischen Polizeigesetz bereits als erlaubte Hilfsmittel der körperlichen Gewalt aufgeführt.

Und vor dem Unterausschuss für Abrüstung, Rüstungskontrolle und Nichtverbreitung des Auswärtigen Ausschusses im Deutschen Bundestag stellt der Herold der nicht-tödlichen Wirkmittel, John B. Alexander, die Zuhörer vor die Alternative: mehr Schmerzen oder mehr Tote. Wir befinden uns auf dem Weg in eine sadomasochistische Gesellschaft.

Der Autor ist Medienkünstler und lebt in Berlin. Er ist Mitglied der Gruppe BBM (www.bbm.de). Zu diesem Thema erschien von ihm zuletzt das Buch "Demonen. Zur Mythologie der Inneren Sicherheit" (Edition Nautilus, 2005).

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