Zukunftstechnik:Windkraft in der Flaute

Offshore-Windpark Butendiek

Der Offshore-Windpark Butendiek, etwa 30 Kilometer vor der Insel Sylt: Von dem Strom, der hier erzeugt wird, schafft es nur wenig in den Süden.

(Foto: Daniel Reinhardt/dpa)

Forscher und die fünf norddeutschen Länder werfen der Bundesregierung vor, sie tue zu wenig für die Energiewende. Auch der Bundesrechnungshof bezieht klar Stellung.

Von Thomas Hahn, Hamburg

Jan Rispens hat früher Kampagnen für die Umweltorganisation Greenpeace koordiniert, jetzt ist er Industrielobbyist. Auf den ersten Blick passt das nicht zusammen, auf den zweiten schon: Denn Rispens, ein hagerer Niederländer mit Elektroingenieur-Diplom, vertritt als geschäftsführender Direktor des Netzwerks Erneuerbare Energie Hamburg (EEHH) ein Bündnis von Unternehmen, welche die abgasfreie Herstellung von Strom bewerkstelligen. In seiner sachlichen Art vermarktet Rispens also jetzt die industrielle Umsetzung von Positionen, die er einst als Aktivist vertrat. Und dabei verbreitet er einerseits Zuversicht, weil gerade der Ausbau der Windenergie weltweit gut vorangeht. Andererseits sorgt sich Rispens gerade um die Entwicklung in Deutschland. "Die Bundesregierung bremst die Energiewende beziehungsweise löst aktuelle Probleme nicht", sagt er, "das stellt unsere Industrie vor erhebliche Probleme."

Die Energiewende ist ein Schicksalsthema für die moderne Komfortgesellschaft. Diese Gesellschaft braucht Strom, aber sie braucht auch weniger Treibhausgase in der Luft, damit der Klimawandel weniger dramatisch wird. Die Umstellung der Energiegewinnung von der Verbrennung fossiler Stoffe auf das Einsammeln natürlicher Kräfte wie Wind oder Sonne wirkt deshalb wie eine vorrangige Notwendigkeit. Trotzdem lässt sich die Bundesregierung Zeit damit. Diesen Eindruck haben zumindest jene, die technische Lösungen finden sollen für die Wende.

Am Freitag ist in Hamburg die Messe WindEnergy zu Ende gegangen. Diese Messe ist eine der wichtigsten Ideenbörsen für eine klimaneutrale Energieversorgung. Und die Stimmung dort war geprägt von jener seltsamen Mischung aus ungebrochenem Erfindergeist und Ernüchterung, die auch Rispens vermittelt.

Gerade in Norddeutschland, wo die mit Abstand meisten Windparks stehen, tüftelt die Industrie pausenlos daran, emissionsfreie Energie so einzusetzen oder zu speichern, dass möglichst viel davon Verwendung findet. Mächtige Ausbauprojekte für Windenergie in Indien, Australien und Südamerika bestätigen die Branche. Selbst in den USA, wo Präsident Donald Trump Umweltschutz wie eine teure Nebensache behandelt, erkennen viele Unternehmen, dass es rentabler sein kann, Energie aus der Luft zu greifen, statt schmutzige Kohlekraftwerke zu betreiben.

Aber die Bundesregierung stört mit ihrem aktuellen Vorgehen den Trend. Seinen deutlichsten Ausdruck fand das während der Messe in einem Aufruf der fünf norddeutschen Bundesländer Bremen, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen und Schleswig-Holstein. Tenor: Die große Koalition in Berlin möge endlich mal umsetzen, was im Koalitionsvertrag steht. Zum Beispiel einen konkreten Plan vorlegen, wie der Anteil der erneuerbaren Energie am Stromverbrauch bis 2030 auf die gewünschten 65 Prozent steigen soll. Oder den stecken gebliebenen Netzausbau Richtung Süden vorantreiben, damit der Stromüberschuss aus den Windkraftanlagen des Nordens ins ganze Land fließen kann. Wirtschafts- und Umweltministerien von CDU, SPD, FDP und Grünen zeigten dabei eine seltene Eintracht.

Für die norddeutschen Länder an den sturmerprobten Küsten von Nord- und Ostsee ist Windenergie nicht nur ein Werkzeug zum Klimaschutz. Sie ist ein Standortfaktor, den die Bundesregierung durchaus umfangreich unterstützte. Mit vielen Millionen Euro fördert sie weiterhin die Forschung im Sinne der Energiewende. Laut Rispens ist so eine dynamische Innovationsindustrie mit 160 000 Arbeitsplätzen gewachsen, die mit ihren Produkten zum deutschen Exporterfolg beiträgt. 2017 waren Windparks zu Wasser und zu Land installiert, die zusammen eine Leistung von 56 Gigawatt produzierten. Aber verschiedene Umstände hemmen die Entwicklung.

Veränderungen bei der Vergabepraxis von Flächen für Windkraftanlagen benachteiligen kommerzielle Anbieter gegenüber Bürgerprojekten, auch wenn diese noch gar keine Baugenehmigung haben. Das Versprechen aus dem schwarz-roten Koalitionsvertrag in Berlin, den Fehler per Sonderausschreibungen wettzumachen, ist bisher leer geblieben. Aber selbst wenn diese schnelle Abhilfe käme: Weil der Netzausbau fehlt, ist der Anreiz zu Windstromproduktion gebremst. Und für alternative Nutzungen bei Mobilität oder Wärmeversorgung ist der Windstrom noch zu stark mit Abgaben belastet und deshalb für den Verbraucher zu teuer. Schleswig-Holsteins grüner Umweltminister Jan Philipp Albrecht sieht deshalb "dringenden Handlungsbedarf für eine umfassende Reform des Steuer- und Abgabensystems".

Der Bundesrechnungshof reiht sich ebenfalls in die Reihe der Mahner ein

Dass die Bundesregierung ihre Klimaziele für 2020 aufgeweicht hat, ist auch kein gutes Signal für die Branche. Die rechnet und reagiert: Statt Wachstum ist Konsolidierung angesagt. Mehr als 5000 Arbeitsplätze sind schon verloren gegangen. Niedersachsens Umweltminister Olaf Lies (SPD) beobachtet eine "Verlagerung von Aktivitäten ins Ausland". Und Rispens sagt: "Diese energiepolitische Tatenlosigkeit in Berlin beunruhigt die gesamte Windenergiebranche in Deutschland."

Wie sehr das die Bundesregierung beeindruckt, ist nicht ganz klar. Auf der Messe WindEnergy war sie nicht vertreten. Und auf den Aufruf aus dem Norden reagiert das Bundeswirtschaftsministerium von Ressortchef Peter Altmaier, CDU, eher unbestimmt. Die Zukunft der deutschen Windindustrie sei "ein wichtiges Anliegen", antwortet eine Sprecherin auf SZ-Anfrage. Ein Vorschlag zur Umsetzung des Koalitionsvertrags sei erarbeitet und Teil eines "größeren Gesetzentwurfs zu verschiedenen energiepolitischen Themen", der derzeit abgestimmt werde.

Sicher ist vorerst nur, dass der Druck auf die Bundesregierung wächst. Erst am Freitag hat der Bundesrechnungshof ihr vorgeworfen, dass Aufwand und Ertrag beim ökologischen Umbau der Energieversorgung in einem "krassen Missverhältnis" stünden. Rechnungshofpräsident Kay Scheller sagte: "Die Bundesregierung droht mit ihrem Generationenprojekt der Energiewende zu scheitern." Und der frühere Umweltaktivist Rispens unterstützt den Wächter der Finanzen. "In den Forschungstöpfen des Bundes für erneuerbare Energien ist so viel Geld drin wie nie zuvor. Deutschland zahlt in die Erforschung einer Energiegewinnung, die sie auf dem Heimatmarkt verlottern lässt." Der Fortschritt im Sinne einer klimafreundlichen Stromerzeugung bleibt an der Berliner Trägheit hängen - so sieht Jan Rispens das. "Die Innovationen kommen unheimlich schnell", sagt er, "die deutsche Politik kommt nicht nach."

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