Zukunft Europas:Gefährliches Gemisch - leicht entflammbar

Die Wahl in Italien hält Europa den Spiegel vor. Die Politik muss büßen, weil in der Krise die simplen Erklärungen und schnellen Lösungen fehlen. Über die Populisten Grillo und Berlusconi machen die Wähler ihrem Ärger Luft. Das ist Europas neue Realität: Der Ton wird schrill, der Konsens schwindet. Und die Bindekräfte sind womöglich nicht stark genug.

Ein Kommentar von Stefan Kornelius

Wenn sie wenigstens pfeifen würden. Wenn sie wenigstens mit gespitzten Mündern durch den dunklen Wald liefen und sich Mut machten mit einem Liedchen. Aber es ist still geblieben in dieser Woche, in der es wieder dunkel wurde über Europa. Diejenigen, die etwas zu sagen haben, in Brüssel, in Madrid, in Paris, in Berlin - sie schwiegen lieber. Die Ruhe ist Beweis dafür, dass die Krise wieder da ist. Nach drei Jahren Bekanntschaft mit dieser Krise wissen die Entscheidungsmächtigen in Europa, dass sie im Angesicht des Monsters besser schweigen. Wer redet, macht alles nur noch schlimmer.

Die Wahl in Italien zeigt in aller Brutalität einen neuen Zustand Europas. Italien ist der gewölbte Spiegel, in dem sich die Misere hässlich verzerrt, aber besonders deutlich betrachten lässt. Die Wahl gibt Auskunft über die wahre Befindlichkeit der europäischen Res publica. Und die Botschaft ist hart: Wenn er denn je bestanden hat, so ist der Konsens in Europa über die Rettung aus der Krise verschwunden. Dafür hält mit aller Macht der Populismus Einzug. Der Ton der Krise ändert sich. Ist die Zeit der Reformen also vorüber? War das der Tag der Lähmung?

Italien ist die drittgrößte Volkswirtschaft in der Union. Mit einer Staatsverschuldung von beinahe 130 Prozent des Bruttoinlandsprodukts entzieht sie sich jeder Hilfe. Italien ist zu groß, um gerettet werden zu können. 11,7 Prozent der Menschen sind ohne Arbeit, bei den Jugendlichen liegt die Quote bei 38,7 Prozent. Noch nie wurden in dem Land so hohe Werte gemessen.

Grillo wie Berlusconi sind Populisten, wenn auch unterschiedlicher Art

Italiens Wähler haben Auskunft darüber gegeben, wen sie für diese Misere verantwortlich machen: die politische Klasse im eigenen Land, Brüssel und Deutschland. Vor allem haben sie mitgeteilt, dass sie die Medizin, die gegen die Probleme verschrieben wurde, ablehnen. Was in Berlin erdacht, in Brüssel diskutiert und auch vom technischen Ministerpräsidenten Mario Monti akzeptiert wurde, findet keine Mehrheit. Die Italiener mögen den Euro behalten wollen. Aber sie werden nicht akzeptieren, dass dazu auch die Produktivität im Land steigen muss und nicht nur die Lohnkosten, die Preise und die Schulden.

Man kann ökonomische Zusammenhänge ignorieren und sogar Wege finden, mithilfe einer Zentralbank oder höherer Schulden ein unbeschwertes Leben zu führen. Nicht zu ignorieren ist aber, dass sich hinter abstrakten Zahlenkolonnen konkrete Härten verbergen. Die Krise tut weh. Italiens Wähler haben ihre Stimme unter dem Druck der Verhältnisse abgegeben. Sie revoltieren gegen die Aussichtslosigkeit und die Last in ihrem Leben.

Das politische System des Landes hat ihnen dafür ein Ventil geboten. Während in Spanien, Frankreich, Portugal oder Irland alle politischen Lager weitgehend den eigenen Anteil an der Krise akzeptieren und auch den von Deutschland verordneten Rettungskonsens unterschreiben, lieferte die italienische Wahl zwei Spezialitäten. Der Populist Beppe Grillo führte eine anarchistische Dagegen-Bewegung an, deren Programm sich, zugespitzt, reduzieren lässt auf: mit uns nicht.

Spötter, Zyniker, Clowns

Hinter ihm versammelten sich die Enttäuschten und Zornigen, deren Widersprüchlichkeit vor lauter Wut kaum auffällt. Sie wollen "aufräumen", aber gleichzeitig wollen sie keine Verantwortung übernehmen. Und so sehr das wichtigste Ziel ihrer Wut - die korrupte und taube politische Klasse Italiens - alle Prügel verdient hat, so sehr versäumen die Grillisten, die Konsequenz zu ziehen und ihr Alternativangebot mit Personen, Plänen und Strukturen auszustatten. Das mag sich in den nächsten Wochen noch ändern.

Nicht ändern wird sich die italienische Spezialität Nummer zwei: Silvio Berlusconi besitzt die Unverfrorenheit, die Misere zu beklagen, die er selbst angerichtet hat. Er reibt sich genüsslich an einem äußeren Feind (Deutschland) und verspricht Geld, das weder Italien noch Europa hat. Bemerkenswert, wie sich in einem einzigen Mann Europas Probleme verdichten.

Grillo wie Berlusconi sind Populisten, wenn auch unterschiedlicher Art. Sie sind Spötter und Zyniker, weshalb man sie auch als Clowns bezeichnen darf. Freilich: Ein Kanzlerkandidat in Deutschland sollte das besser bleiben lassen, weil er über politisch wirkungsvollere Waffen verfügt als den Spott. Wählt er hingegen den Spott, dann wird er selbst zum Populisten und beraubt sich seines seriösen Einflusses. Er muss sich also entscheiden, auf welcher Seite er spielen möchte.

Die Steinbrück-Fußnote ist nicht irrelevant, weil sie erkennen lässt, in welcher Tonart das Krisendrama von nun an gespielt wird. Zwei Fragen muss gerade die deutsche Politik jetzt beantworten: Wie geht sie mit dem Populismus und der gegen Deutschland gerichteten Stimmung um, die jetzt in Italien besondere Blüten trieb, die aber überall in den Krisenländern zu einem ernsten Problem wird? Und: Reicht der Krisen-Dreisatz aus Sparen-Reformieren-Anschieben noch aus?

Ein ungutes Gemisch - leicht entflammbar

Schon ein paar Mal stand Bundeskanzlerin Angela Merkel vor dem Problem, ob sie ihre Taktik - Hilfe nur gegen Reformen - aufgeben muss. Nach Italien stellt sich aber mehr denn je die Frage: Sind die ausgelaugten Krisenstaaten so übermächtig in ihrer Beharrung, dass sie sich auch unter noch so viel Druck nicht auf ein deutsches Wirtschaftsmodell zubewegen werden? Oder fügen sie sich am Ende der deutschen Logik und bringen ausreichend Kraft für Reformen auf? Italiens Antwort war "Nein". Ehe die italienische Regierungskrise nicht gelöst ist, wird nicht an ein europäisches Reformpaket zu denken sein, das Merkel eigentlich noch im Juni durchsetzen wollte.

Anders als in den drei vergangenen Krisenjahren steht Deutschland jetzt vor Bundestagswahlen. Da wächst die Lust an der einen oder anderen klaren Kante - siehe Steinbrück. Die Versuchung ist groß, auf den groben Klotz einen groben Keil zu setzen. Auch wird der Lärm von außen zunehmen. Es ist bezeichnend für die gewachsene deutsche Bedeutung in Europa, dass die Bundestagswahl zu einem Schlüsselereignis für alle Europäer wird. Frankreichs Präsident könnte sich von einem Regierungswechsel bessere Konditionen für seine Politik erhoffen. Er wird seinen Einfluss geltend machen.

Dies ist Europas neue Realität: Der Ton wird schrill, der Konsens schwindet. Die Bindekräfte sind womöglich nicht stark genug für die Krise. Es wächst das Bedürfnis nach simplen Erklärungen, schnellen Lösungen, beherrschbaren Problemen. Weil diese Krise so unglaublich komplex ist, muss die Politik dafür büßen. Ihre seriösen Vertreter bieten keine schnelle Erlösung an. Also schlägt die Stunde der Populisten. Ein ungutes Gemisch - leicht entflammbar.

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