Zukunft Europas:Angst vor einer Kettenreaktion

Finanzminister Schäuble will einen Reformplan für die EU vorlegen. Es soll aber nicht darum gehen, die Euro-Zone zu vertiefen.

Von Cerstin Gammelin, Berlin

Es war in den vergangenen, von der Flüchtlingskrise dominierten Monaten nicht immer so, dass Kanzlerin und Bundesfinanzminister dieselben Worte verwendeten, um politische Ziele zu beschreiben. Wolfgang Schäuble beschränkte sich gelegentlich darauf, zu versichern, dass er loyal hinter Angela Merkel stehe. Nach dem Brexit-Referendum scheint zwischen die CDU-Politiker wieder nicht einmal als das sprichwörtliche Blatt Papier zu passen. Beide hätten in den jüngsten Tagen öfter als sonst telefoniert, heißt es in Schäubles Umfeld, sie seien sich so einig in dem, was zu tun sei, wie schon länger nicht mehr. Wie zum Beweis ähneln sich die Botschaften, sie reichen von Schäubles "Drin ist drin, und draußen ist draußen" bis zu Merkels Absage an "Rosinenpickerei".

Wie weit die Einigkeit geht, wird sich zeigen. Schäuble will in Kürze einen Reformplan für Europa vorlegen: Wie die EU ohne Britannien aussehen kann. Sein Ministerium sah sich am Mittwoch veranlasst zu bemerken, dass für Schäuble nicht die Vertiefung der Euro-Zone im Vordergrund stehe. Die Vorschläge des Ministers zielten "in eine andere Richtung", nämlich die EU der 27 Staaten zusammenzuhalten und zu zeigen, "dass die EU einen Unterschied bei der Bewältigung der großen Probleme macht, die ein einzelner Mitgliedstaat nicht im Alleingang bewältigen kann".

So ähnlich hatte es Merkel vergangenen Montag auch gesagt, dann aber nur mit zwei der 27 Chefs, Frankreichs Staatspräsident François Hollande und Italiens Premier Matteo Renzi, im Kanzleramt über den Brexit beraten. Dass Renzi eingeladen wurde, der niederländerische Regierungschef Mark Rutte hingegen nicht, zeigt, dass es aus deutscher Sicht offenbar ratsam ist, Italien besondere Aufmerksamkeit zu widmen. Italien ist das Sorgenkind der Euro-Zone. Renzi hat für Oktober ein Verfassungsreferendum ausgerufen, und so, wie die Lust am Zerstören etablierter Strukturen gerade ausgeprägt ist, will niemand ausschließen, dass Renzi verlieren und die italienischen Wähler, angeführt von der euroskeptischen Fünf-Sterne-Bewegung, gegen den Euro rebellieren könnten.

Das Papier enthält viele bekannte Positionen

Eine Kettenreaktion, die am Ende die gesamte Euro-Zone im Bestand gefährden kann, lässt sich nur vermeiden, wenn die Euro-Staaten enger kooperieren. Dazu passen die Rufe aus Paris und Rom nach einem gemeinsamen Budget der Euro-Staaten. Auch wenn Schäuble offiziell dementieren lässt, an der Vertiefung der Euro-Zone zu arbeiten, haben die Beamten in der Grundsatz- und in der Europaabteilung seines Hauses ein "Papier zum Sachstand" verfasst. Es enthält bekannte Positionen. Berlin will nationale Haushaltsrisiken begrenzen und Reformen durchsetzen. Statt der politisch agierenden EU-Kommission soll eine unabhängige Instanz kontrollieren. Statt ein Budget für Euro-Staaten einzurichten, sollen soziale Härten über den EU-Haushalt abgefangen werden. Schon länger schließt Schäuble nicht aus, etwa über eine Benzinabgabe mehr Geld in den EU-Haushalt zu spülen. Der Euro-Rettungsfonds ESM soll ausgebaut und die Bankenaufsicht aus der Europäischen Zentralbank ausgegliedert werden. Es sind ordnungspolitische Forderungen, die durchzusetzen Merkel in den letzten Jahren nie gelungen ist. Weswegen der Plan kaum in ihre neue Brexit-Kategorie fallen dürfte, die lautet: Jeder Vorschlag zum Guten ist willkommen.

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