Süddeutsche Zeitung

Zukunft der Piratenpartei:Sie sind viele, sie sind marginal

Nach dem Debakel kommt die Depression: Die Piratenpartei ist deutlich an der Fünf-Prozent-Hürde gescheitert. In Zukunft dürfte es für sie schwer werden, als bundespolitische Kraft überhaupt in Erscheinung zu treten. Ihre Vertreter wirken ratlos.

Eine Analyse von Hannah Beitzer, Berlin

Die Piraten haben bei der Bundestagswahl ordentlich eins auf den Deckel bekommen. Und reagieren darauf schon wie die Großen. Parteichef Bernd Schlömer hat erwartungsgemäß gemeinsam mit anderen Vorstandskollegen seinen Rückzug verkündet. Außerdem spielt die einstige Vorzeige-Piratin Marina Weisband mit dem Gedanken, an die Parteispitze zurückzukehren.

Seit dem Wahlabend hagelt es außerdem die üblichen Fehleranalysen. Müssen die Piraten mehr "raus auf die Straße", ihre "Filterbubble" verlassen - also auch attraktiv für nicht netzaffine Wähler werden? Müssen sie die Pressearbeit verbessern? Sich intern besser vernetzen? Oder muss die Partei die interne Mitbestimmung revolutionieren, um glaubwürdig zu werden?

Aus all diesen Beiträgen spricht vor allem Ratlosigkeit. Für die Piraten wird es die kommenden Jahre schwierig werden, in der Bundespolitik überhaupt noch zu Wort kommen. In Zeiten zweistelliger Umfragewerte, nach ihrem Einzug in vier Länderparlamente, galten sie ganz selbstverständlich als neue politische Kraft, die etwas zu sagen hatte - wenn auch nicht immer ganz klar war, was eigentlich. Immerhin sah es eine Zeitlang so aus, als könnten die Piraten tatsächlich den Bundestag "entern". Mit der Aufmerksamkeit ist es nun ebenso vorbei wie mit maritime Metaphern.

Weniger Aufmerksamkeit, weniger Einfluss

Was das für ihre Arbeit bedeuten könnte, darauf hat die Partei im Sommer bereits einen kleinen Vorgeschmack erhalten. Während des NSA-Skandals traten die Piraten zwar als überzeugende Aktivisten auf. Sie wurden aber gleichzeitig schmerzhaft an die eigene Machtlosigkeit erinnert.

Da konnten engagierte Piratinnen wie Anke Domscheit-Berg oder Katharina Nocun noch so viele Gastbeiträge schreiben und in noch so vielen Talkshows vor Überwachung warnen. Wahrgenommen wurden sie allenfalls am Rande, die wichtigen Entscheidungen trafen sie nicht, die großen Auftritte hatten andere. Zum Beispiel jene Parteien, die im Bundestag vertreten waren. "Wo sind die Piraten?", hieß es immer wieder. Ihre Demos, ihre Krypto-Partys, ihre Petitionen und Strafanzeigen verpufften. Und bei der Bundestagswahl gewann ausgerechnet die Union, deren Haltung zu Überwachung nicht gegensätzlicher zu der der Piraten sein könnte.

Hinter der Ratlosigkeit der Partei steckt aber noch ein ganz anderes Problem als die Tatsache, dass ihnen der Zugang zu Parlamenten fehlt. Sie weiß schlicht immer noch nicht, wo es eigentlich hingehen soll.

In ihr tummeln sich höchst unterschiedliche Persönlichkeiten. Es gibt zahllose Flügel und Seilschaften, deren Vertreter sich teilweise in tiefster Abneigung verbunden sind. Was hat auch der bodenständige ITler aus Baden-Württemberg mit der Berliner Genderaktivistin gemeinsam? Der digitale Wandel allein, auch das hat diese Wahl gezeigt, reicht eben nicht, um eine Partei zusammenzuhalten. Geschweige denn, Wähler zu überzeugen.

Nun ist es nicht so, dass das den Piraten vor der Wahl nicht bewusst war. Sie hatten immerhin versucht, sich so etwas wie ein umfassendes Programm zu geben. Doch jetzt, wo die Wahl vorbei ist, brechen genau jene Gräben wieder auf, die die Partei auf diversen Parteitagen der vergangenen Jahre mühsam zugeschüttet hat.

Das Programm sei mit Forderungen wie dem bedingungslosen Grundeinkommen zu links gewesen, kritisieren die einen. Als liberale Partei hätten die Piraten mehr Erfolg gehabt. Auch habe ihr die Unterwanderung durch "Extremisten aus der Gender- und der Autonomenszene" das Genick gebrochen. Der Hintergrund: Die Piraten hatten in den vergangenen Monaten eine schmerzhafte Debatte zu Sexismus und struktureller Benachteiligung durchlaufen, in der sich der diskriminierungssensible Flügel durchsetzen konnte.

Viel Arbeit, kein Geld

Dieser wiederum hält dagegen, dass mitnichten das Programm, sondern das Auftreten der Partei die Wähler abgeschreckt habe. Tatsächlich hatte sie bis kurz vor der Wahl häufiger durch Personalquerelen, Shitstorms und unbedachte Äußerungen ihrer Vertreter auf sich aufmerksam gemacht als durch politische Arbeit. Viele dieser unbedachten Äußerungen spielten sich irgendwo zwischen Sexismus und der mangelnden Abgrenzung von rechts ab.

Nicht zuletzt haben die Piraten seit Beginn des Hypes um ihre Partei ein massives Geldproblem. Die Vorstände arbeiten ehrenamtlich, auch den Wahlkampf musste die Partei mit einem Mini-Budget stemmen. Diejenigen, die neben Job und Familie auch noch eine Partei managen, werfen deswegen in regelmäßigen Abständen hin - weil sie schlicht die Belastung nicht mehr aushalten. Eine finanziell gut ausgestattete Bundestagsfraktion hätte der Partei geholfen, sich deutschlandweit als politische Kraft zu etablieren.

Während die Piraten sich noch den Kopf über ihre Zukunft zerbrechen, übernehmen die etablierten Parteien zaghaft eines ihrer wichtigsten Prinzipien: die Mitbestimmung. Die SPD will zum Beispiel einen möglichen Koalitionsvertrag mit der Union von den Mitgliedern absegnen lassen. Der wahrscheinliche neue FDP-Chef Christian Lindner wird nicht müde, die Rolle der Basis bei der Erneuerung seiner Partei zu betonen. Und programmatisch? Nun, die Positionen der Grünen zu Netzpolitik, Überwachung und digitalem Wandel sind denen der Piraten recht ähnlich. Wozu also noch die Piraten? Die Antwort auf diese Frage könnte ihnen ziemlich wehtun.

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