Süddeutsche Zeitung

Zukunft der EU:SPD-Politiker: Köhler knickt vor Querulanten ein

Lesezeit: 3 min

Sowohl der deutsche, als auch der polnische Präsident wollen den Vertrag von Lissabon nicht unterzeichnen - und werden dafür von Europa-Politiker Axel Schäfer hart kritisiert.

Die Ankündigung des polnischen Präsidenten Lech Kaczynski, den Vertrag von Lissabon nicht zu unterzeichnen, ist auf ein geteiltes Echo gestoßen.

Kritik kam aus der SPD. Kaczynski handele "doppelt verantwortungslos", wenn er die Ratifizierungsurkunde für den Europa-Vertrag nicht unterzeichne, sagte der Europapolitiker Axel Schäfer (SPD) zu sueddeutsche.de. Zum einen gegenüber dem polnischen Parlament, zum anderen gegenüber sich selbst, weil er den Vertrag selbst mit ausgehandelt habe. Zudem widerspreche dies dem Beschluss des vergangenen EU-Gipfels in Brüssel. Demnach solle die Ratifizierung trotz des Neins der Iren fortgesetzt werden.

Schäfer erhob in diesem Zusammenhang scharfe Vorwürfe gegen Bundespräsident Horst Köhler, der ebenfalls das Gesetz zum EU-Vertrag zunächst nicht unterzeichnen wird. Schäfer sagte zu sueddeutsche.de: "Köhler hätte ohne weiteres unterschreiben können. Wo kommen wir denn hin, wenn wir einführen, dass der Präsident vor jedem Querulanten einknickt?"

Köhler will eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes abwarten. Der CSU-Abgeordnete Peter Gauweiler und die Linke-Fraktion hatten gegen den Vertrag geklagt, weil sie ihn nicht für verfassungsgemäß halten.

Milde Reaktion von Bütikofer

Grünen-Chef Reinhard Bütikofer warb um Verständnis für die Entscheidung des polnischen Staatsoberhauptes: "Es steht uns nicht an, arrogant oder hochmütig mit dem Finger auf Warschau zu zeigen", sagte er im Gespräch mit sueddeutsche.de. "Die Polen werden einen Weg nach vorne finden. Ich setze da auf die europäische Grundhaltung der Polen", sagte Bütikofer weiter.

Zuvor war bekannt geworden, dass Lech Kaczynski den EU-Reformvertrag nicht unterzeichnen will. Nach der gescheiterten Volksabstimmung in Irland sei der Vertrag derzeit "gegenstandslos", sagte Kaczynski der Onlineausgabe der Zeitung Dziennik.

Es sei schwer zu sagen, wie es mit dem Vertrag von Lissabon nun weitergehe. Die Behauptung, die EU könne ohne den Reformvertrag nicht weiterexistieren, sei aber "nicht seriös", sagte Kaczynski.

Wenige Stunden zuvor hatte Sarkozy es für "vorrangig" erklärt, die Ratifizierung des EU-Vertrages schnell zu Ende zu führen. Man müsse das "Problem auf die Iren begrenzen", sagte Sarkozy.

Kaczynski warnte dagegen vor einer Isolierung Irlands: "Wenn man die Regel der Einstimmigkeit ein Mal bricht, dann gibt es sie nie mehr." Bei den Vertragsverhandlungen hatte Sarkozy den skeptischen polnischen Präsidenten noch zu einem Kompromiss bewegen können.

"Diese Stimme hat mich überrascht"

Die in Polen regierende Bürgerplattform (PO) des liberalen Ministerpräsidenten Donald Tusk zeigte sich von Kaczynskis Äußerungen sehr enttäuscht. "Diese Stimme hat mich überrascht", sagte Vize- Regierungschef Grzegorz Schetyna.

Polen schließe sich damit jenen Ländern an, die den Reformvertrag und die gemeinsame europäische Zukunft infragestellten. Tusks PO hat das national-konservative Staatsoberhaupt wiederholt aufgefordert, den Reformvertrag zu unterzeichnen, um der EU ein positives Zeichen zu geben.

Polens Regierungschef Tusk und der nationalkonservative Kaczynski hatten sich Ende März nach einem wochenlangen politischen Tauziehen auf eine Ratifizierung des EU-Vertrags durch das Parlament geeinigt.

Das polnische Unterhaus und der Senat stimmten Anfang April für ein Gesetz, das Kaczynski die Ratifizierung des Vertrags von Lissabon erlaubt. Der EU-skeptische Präsident hat das Gesetz zum Reformvertrag bereits unterschrieben, die Ratifizierungsurkunde aber noch nicht unterzeichnet.

Die Oppositionspartei PiS vom Zwillingsbruder des Präsidenten, Ex-Regierungschef Jaroslaw Kaczynski, hatte mit ihrer Ablehnung des Reformvertrags gedroht, um den polnischen Beitritt zur europäischen Menschenrechtscharta zu verhindern. Die Charta ist in den Vertrag von Lissabon eingebunden.

Schlag für Sarkozy

Die polnischen Konservativen befürchteten die Einführung der Homoehe sowie Entschädigungszahlungen für Enteignungen von ehemals deutschen Eigentümern nach dem Zweiten Weltkrieg. Die Regierung kam der PiS daraufhin mit dem Ratifizierungsgesetz entgegen und verzichtete auf ihr Vorhaben, der Charta beizutreten.

Die Zukunft des Reformvertrags von Lissabon ist völlig offen. Nach der Ablehnung der Iren bei der Volksabstimmung am 12. Juni vertagten die Staats- und Regierungschefs der EU die Debatte auf Oktober. Bis dahin soll Irland erste Lösungsvorschläge erarbeiten. Der Reformvertrag wird damit höchstwahrscheinlich nicht wie angestrebt am 1. Januar 2009 in Kraft treten.

Die Weigerung Kaczynskis, die Ratifizierungsurkunde zu unterzeichen, ist auch ein schwerer Schlag für Frankreichs Präsidenten Nicolas Sarkozy, der während der französischen EU-Ratspräsidentschaft den Ratifizierungsprozess trotz des irischen Neins weiter vorantreiben will.

Sarkozy hatte am Montagabend in einem Fernsehinterview bekräftigt, dafür zu sorgen, dass die EU-Staaten mit der Ratifizierung fortfahren. Angesichts des gescheiterten Reformvertrags will Sarkozy Europa eine Schutzfunktion geben und es bürgernäher machen. "Die Europäer befürworten Europa, aber sie verlangen jetzt Schutz gegen die Risiken der Globalisierung - und da hakt es", sagte Sarkozy. Zu den Schwerpunkten des französischen Ratsvorsitzes zählen ein Einwanderungspakt, der Massenlegalisierungen von Einwanderern wie in Spanien ausschließt.

Neben Polen steht die Ratifizierung auch in Tschechien auf der Kippe - Präsident Vaclav Klaus gilt als europakritisch.

Zuvor hatte Bundespräsident Horst Köhler mitgeteilt, die Ratifikationsurkunde zum Vertrag von Lissabon vorerst nicht zu unterzeichnen. Er wollte zunächst eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über Klagen des CSU-Politikers Peter Gauweiler und der Linksfraktion gegen den Vertrag abwarten. Ein Termin für ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts steht noch nicht fest. Der Bundesrat hatte dem EU-Vertrag Ende Mai zugestimmt; der Bundestag etwa vier Wochen vorher.

Der Vertrag von Lissabon, der die vor drei Jahren bei Referenden in Frankreich und den Niederlanden gescheiterte EU-Verfassung ersetzt, soll die Institutionen und die Entscheidungsprozesse in der auf 27 Staaten erweiterten EU schlanker machen.

Um in Kraft treten zu können, müssen ihn alle Mitgliedstaaten ratifizieren. Bis auf Irland entschieden sich alle EU-Staaten dafür, den Vertrag durch das Parlament billigen zu lassen.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.190653
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
AFP/AP/dpa/kler/odg/gdo
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.