Süddeutsche Zeitung

Zukunft der Bundeswehr:Soldaten verzweifelt gesucht

Stell Dir vor, die Bundeswehr ist eine Freiwilligen-Armee, und keiner geht hin: Vom 1. Juli an ist die Wehrpflicht faktisch abgeschafft. Jetzt fürchtet die Truppe um den Nachwuchs.

Peter Blechschmidt

Stell dir vor, die Bundeswehr sucht Freiwillige, und keiner geht hin. Vom 1. Juli an wird die Wehrpflicht faktisch abgeschafft sein. Dann soll die Bundeswehr eine reine Freiwilligen-Armee sein, mit 170.000 Zeit- und Berufssoldaten und 15.000 jungen Männern und Frauen, die einen freiwilligen Wehrdienst von zwölf bis 23 Monaten leisten. Bis jetzt ist das alles Theorie. Niemand weiß, ob es überhaupt genügend Freiwillige geben wird. Die Unsicherheit spiegelt sich schon darin, dass in allen Planungen von "bis zu" 185.000 Soldaten in der Bundeswehr der Zukunft die Rede ist - es können also auch weniger sein.

Bei den Zeit- und Berufssoldaten rechnen die Bundeswehr-Planer mit einem jährlichen Soll an Nachwuchs - dem sogenannten Regenerationsbedarf - von zehn Prozent des Gesamtumfangs. Das wären 17.000 Personen. Um ausreichend qualifiziertes Personal auswählen zu können, halten die Personalexperten drei Bewerber auf eine Stelle für nötig, also 51.000.

Hinzu kommt der Bedarf an freiwilligen Wehrdienstleistenden. Legt man eine durchschnittliche Dienstzeit von 18 Monaten zugrunde, so ergibt sich ein Regenerationsbedarf von 10.000 Personen pro Jahr. Hier geben sich die Planer mit zwei Bewerbern pro Stelle zufrieden, also mit 20.000. Das heißt, dass die Bundeswehr insgesamt künftig jährlich mehr als 70.000 Interessenten finden müsste.

Im Jahr 2010, dem letzten der vollen Wehrpflicht, hatte die Bundeswehr 32.000 Stellen für Berufs- und Zeitsoldaten sowie für freiwillige Längerdienende zu besetzen. Dabei konnte sie aus 67.500 Bewerbern auswählen. Die kamen allerdings zu etwa 40 Prozent aus dem Stamm der Wehrpflichtigen. Um sie musste man nicht werben; sie kannten die Bundeswehr schon aus dem Grundwehrdienst und wussten, worauf sie sich einlassen. Um künftig die erhofften Freiwilligen zu interessieren, wird man dagegen kräftig die Werbetrommel rühren müssen - ganz zu schweigen von den Maßnahmen, die nötig sind, um den Dienst selbst attraktiver zu machen.

In den USA wenden die Streitkräfte im Durchschnitt 30.000 Dollar auf, bevor ein Bewerber überhaupt seine Unterschrift unter einen Vertrag setzt. Übertragen auf den Bedarf der Bundeswehr wären dies etwa 1,6 Milliarden Euro. Der Bundeswehrverband, der einen Forderungskatalog zur Attraktivitätssteigerung aufgelegt hat, rechnet dafür mit Mehrkosten von einer Milliarde Euro.

Einzelheiten des künftigen Attraktivitätsprogramms sind noch völlig offen. Konkret vorgesehen ist lediglich, dass freiwillig Dienende zwischen 1000 und 1400 Euro netto im Monat bekommen sollen. Wer sich aus dem Grundwehrdienst heraus in diesem Jahr für eine längere Dienstzeit verpflichtete, soll eine Prämie von 100 bis 125 Euro pro Monat der Verpflichtungszeit erhalten.

Ob das ausreicht, wird bis in höchste Ränge der Bundeswehr bezweifelt. Schon warnt der Historiker Michael Wolffsohn, Professor an der Bundeswehr-Universität München, vor dem "Prekarier in Uniform", weil nur noch schlecht Ausgebildete aus dem Osten freiwillig zur Armee gehen würden.

Die eingeleitete Bundeswehrreform dreht sich nicht allein ums Personal. Sicherheitspolitische Belange müssen mit den Möglichkeiten des Staatshaushalts, dem strukturpolitischen Bedarf an Standorten und den Erfordernissen der Rüstungsindustrie in Einklang gebracht werden. Aber ohne passendes Personalkonzept kann die ganze Reform nicht gelingen.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.1054097
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 02.02.2011/hai
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.