Zugunglück:Wenn Italien in zwei Teile zerfällt

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Aus dem Gleis gesprungen und die Stromversorgung gekappt: Unfall eines Güterzuges am Bahnhof Castello in Florenz. (Foto: New Press Photo/ Gianluca Moggi/AP)

Das Nadelöhr in Florenz ist geeignet, den Norden und den Süden des Landes wieder zu trennen.

Von Marc Beise, Rom

In Italien ist gelegentlich vom "Bahnwunder" die Rede. Damit ist gemeint, dass es in der Mitte des Landes seit einigen Jahren perfekt funktionierende Schnellzüge gibt, die zumal deutsche Reisende staunen lassen. So kommt man in einer guten Stunde von Rom nach Neapel, immerhin fast 220 Kilometer weit, und auch die 600 Kilometer zwischen der Hauptstadt Rom und der Wirtschaftsmetropole Mailand lassen sich locker an einem Tag hin und zurück bewältigen, diverse Termine inklusive. Die Züge konkurrierender Gesellschaften sind topmodern, sehr gepflegt, gut betreut, unheimlich schnell und fast immer pünktlich. Als leidgeplagter ICE-Kunde reibt man sich verwundert die Augen.

Italienische Züge flitzen mit teilweise mehr als 300 Stundenkilometern durchs Land

Wer beispielsweise mit dem Zug von, sagen wir, München über den Brenner nach Neapel fährt, erlebt auf dem ersten Teil der Strecke Tristesse pur. Bis Bozen oder gar Bologna sitzt man in 40 Jahre alten, heruntergekommenen Zügen. In Bologna aber wechselt man in den Tiefbahnhof und in eine knallrote "Freccia Rossa" der Staatsbahn oder einen dunkelroten "Italo" eines privaten Konsortiums, ursprünglich gegründet vom damaligen Ferrari-Chef Luca di Montezemolo. Beide Systeme flitzen in wenigen Stunden durch Toskana und Latium, teilweise mit mehr als 300 Stundenkilometern, konkurrenzlos schneller als ein Auto. Das ist der Moment, an dem man geneigt ist, Vorurteile über das angeblich effiziente Deutschland und das immer chaotische Italien fallen zu lassen.

Allerdings gibt es gelegentlich Ereignisse, die dieses Bahnwunder entzaubern. So geschehen jetzt, als im Bahnhof Castello in Florenz der Wagen eines Güterzuges aus den Gleisen sprang, einen Strommast erwischte und die Energieversorgung großflächig lahmlegte. 15 Stunden lang stand der Nord-Süd-Verkehr praktisch still. Verzweifelte Kunden versuchten, mit Flugzeug, Leihwagen, Bus oder Taxi durchs Land zu kommen, häufig vergeblich. Plötzlich war der italienische Stiefel auch verkehrstechnisch wieder zweigeteilt - was er politisch und kulturell ohnehin ist: der reiche, wirtschaftsstarke Norden hier, der strukturschwache Süden da.

Matteo Salvini träumt von einer Hängebrücke

Bei genauem Hinsehen gibt es noch eine andere Zweiteilung, die nie verschwunden war: Es gibt jene Bahnkunden, die mit den Schnellzügen fahren, das sind etwa zehn Prozent. Und die anderen 90 Prozent, die sich oft mühsam durch den Regionalverkehr quälen. Und wenn Fern- und Nahverkehr auf demselben Gleis unterwegs sind, so wie bei Florenz, bedingt eines das andere. Der Vertrag, in Florenz eine zweite Strecke zu bauen, um das Nadelöhr zu weiten, wurde sage und schreibe 1995 geschlossen. 15 Regierungen, vier Bürgermeister und 28 Jahre später sind jede Menge Planungskosten angefallen, aber das war's dann auch schon.

Das erinnert an das grundsätzliche Problem Italiens, dass es Investitionen häufig nicht organisiert bekommt - obwohl Geld beispielweise aus EU-Töpfen vorhanden wäre. In der Regierung von Giorgia Meloni ist dafür jetzt Infrastrukturminister Matteo Salvini verantwortlich. Der allerdings hat ein anderes Dauervorhaben zu seinem Lieblingsprojekt erklärt: eine gigantische Hängebrücke vom Festland nach Sizilien, dreimal so lang wie die Golden Gate Bridge. Die umstrittene Brücke wird eher nicht gebaut werden, aber selbst wenn: Was hätte ganz Italien davon?

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