Zugang zum NSU-Prozess:Wenn die Justiz sich verschanzt

Zugang zum NSU-Prozess: War es wirklich nicht möglich, in ganz München einen größeren Raum zu finden? Im Schwurgerichtssaal 101 des Strafjustizzentrums an der Nymphenburger Straße in München beginnt in drei Wochen der Prozess gegen Beate Zschäpe.

War es wirklich nicht möglich, in ganz München einen größeren Raum zu finden? Im Schwurgerichtssaal 101 des Strafjustizzentrums an der Nymphenburger Straße in München beginnt in drei Wochen der Prozess gegen Beate Zschäpe.

(Foto: AFP)

Trotzige Wagenburgmentalität bei der Münchner Justiz: Dass das Oberlandesgericht im Streit um die Plätze beim NSU-Prozess auf angeblich unumstößliche Akkreditierungsregeln verweist, ist nicht nachvollziehbar. Wer hätte es wohl beanstandet, wenn das Gericht vier oder fünf Presseplätze von vornherein für türkische Journalisten reserviert hätte?

Ein Kommentar von Hans Holzhaider

Ein Strafprozess ist ein Strafprozess ist ein Strafprozess. Sein Zweck ist die Feststellung, ob ein Angeklagter durch sein Handeln einen im Gesetz beschriebenen Straftatbestand erfüllt hat, und wie er gegebenenfalls dafür zu bestrafen ist. Die Tatbestände und die dafür vorgesehenen Strafrahmen sind im Strafgesetzbuch geregelt, der Ablauf eines Strafprozesses ist in der Strafprozessordnung bis ins Detail festgelegt. Richter sind an diese Gesetze gebunden; wenn sie ihnen aus eigenem Gutdünken oder unter öffentlichem oder politischem Druck zuwiderhandeln, begehen sie selbst strafbares Unrecht.

Soweit die reine Lehre. Bezogen auf den Prozess gegen Beate Zschäpe und ihre Mitangeklagten, der in drei Wochen vor dem Münchner Oberlandesgericht beginnen wird, bedeutet sie: Das Gericht hat festzustellen, welchen Anteil die Angeklagten an den Morden, Sprengstoffanschlägen und Raubüberfällen hatten, die mutmaßlich von den verstorbenen Haupttätern Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt begangen wurden. Das ist eine juristisch höchst anspruchsvolle Aufgabe.

Beate Zschäpe war, soweit man dies bisher weiß, an keiner der Taten (abgesehen von der Brandstiftung in dem Haus, in dem die Gruppe wohnte) unmittelbar beteiligt. Ist sie Mittäterin? Ist sie nur Beihelferin? Die Abgrenzung zwischen Beihilfe und Mittäterschaft ist eine der kompliziertesten strafrechtlichen Materien überhaupt. Das Gericht wird einen enormen Aufwand betreiben müssen, um hier zu einem nachvollziehbaren, juristisch bestandfesten Urteil zu gelangen.

NSU-Taten gefährden die Grundlagen unseres Gesellschaftsvertrages

Das Gericht ist kein Untersuchungsausschuss. Es muss keine Feststellungen darüber treffen, was Politik und Gesellschaft im Umgang mit Neonazis versäumt und falsch gemacht haben. Es muss sich kein Urteil darüber bilden, wer für die katastrophalen Pannen bei den Ermittlungen über die zehn NSU-Morde verantwortlich ist. Das Gericht trägt keine Verantwortung dafür, dass die Opfer dieser Morde und deren Angehörige jahrelang in Misskredit gebracht wurden, und es muss sich dafür auch nicht entschuldigen oder rechtfertigen. Es hat, mit größtmöglicher Akribie, die Wahrheit zu ermitteln und nach Recht und Gesetz zu urteilen. Nichts sonst. Einerseits.

Andererseits aber muss sich das Gericht bewusst sein, dass diese Taten und ihre strafrechtliche Aufarbeitung in einem Kontext stehen, der sie weit über die juristische Alltagsarbeit hinaushebt. Ein Mord ist ein Mord - das mag nach den Buchstaben des Gesetzes so sein. Aber für das Zusammenleben der Menschen in Deutschland, für die politische Kultur dieses Landes, hat ein aus purem Fremdenhass begangener Mord, gar eine Mordserie dieses Ausmaßes, einen anderen Stellenwert als die Taten eines eifersüchtigen Ehemannes oder eines gewalttätigen Päderasten. Diese Taten und der abgrundtiefe Zynismus der Täter gefährden die Grundlagen unseres Gesellschaftsvertrags, der besagt, dass alle, die hier leben, gleichen Anspruch auf eine gesicherte Existenz, auf den Schutz durch das Gesetz und auf die Wahrung ihrer Menschenwürde haben.

Weil das so ist, trägt dieses Gericht doch eine größere Verantwortung als eine Schwurgerichtskammer im Alltagsbetrieb der Strafjustiz. Es trägt vor allem die Verantwortung dafür, dass der Prozess der Wahrheitsfindung mit größtmöglicher Offenheit und Transparenz vonstattengeht. Dass es nicht möglich gewesen sein soll, in ganz München einen Saal mit einem größeren Fassungsvermögen als den Schwurgerichtssaal im Justizzentrum zu finden, ist nicht nachvollziehbar. Dass dies mit etlichen Unbequemlichkeiten verbunden gewesen wäre - von der Lagerung der Prozessakten bis zur Vorführung der Angeklagten aus der Untersuchungshaft -, ist eine peinlich unzureichende Entschuldigung. Die Sicherheit? Die bayerische Polizei hat schon Großveranstaltungen mit deutlich höherem Gefährdungspotenzial abgesichert.

Ganz und gar unbegreiflich erscheint es, dass es nicht möglich war, türkischen Medien einen garantierten Platz im Gerichtssaal zu überlassen. Es wäre so einfach gewesen. Wer hätte es wohl beanstandet, wenn das Gericht vier oder fünf der Presseplätze von vornherein für Journalisten aus dem Land reserviert hätte, dem die Mehrzahl der Opfer aufgrund ihrer Herkunft besonders nahestanden?

Mehrere Medien haben mittlerweile angeboten, ihren Platz für türkische Kollegen zur Verfügung zu stellen. Dass das Gericht nicht einmal diese goldene Brücke betritt und sich stattdessen hinter den angeblich unumstößlichen Akkreditierungsregeln verschanzt, zeugt von einer trotzigen Wagenburgmentalität, die der Bedeutung dieses Prozesses gänzlich unangemessen ist.

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