Zschäpes Aussage:"Ich fühle mich moralisch schuldig"

NSU Prozess

Beate Zschäpe mit ihrem Anwalt Mathias Grasel

(Foto: dpa)

Beate Zschäpe lässt vor dem Gericht eine etwa 50 Seiten lange Erklärung verlesen - am Ende bleiben viele Fragen offen.

Von Oliver Das Gupta, Annette Ramelsberger und Tanjev Schultz, München

Er ist wieder da. Mit seinem Stiernacken, den glasigen Augen, den millimeterkurzen Haaren. Heute hat er sich ein besonderes Outfit ausgedacht: Über seinem Bauch spannt sich ein weißes T-Shirt, auf dem in Frakturschrift ein einziges Wort prangt: "Endstation". In der ersten Reihe der Besuchertribüne hat er Platz genommen, wie so oft im NSU-Prozess. Drei Zentner Dunkeldeutschland. Nun wartet er auf sie, seine mutmaßliche Schwester im Geiste: Beate Zschäpe. Manche der Prozessbeobachter sagen, er habe ein besonderes Faible für die rechtsextreme Hauptangeklagte und mutmaßliche Rechtsterroristin. Andere nennen den Mann "Zschäpes Stalker". Bei der Sicherheitskontrolle hatte er kurz gemotzt, dass die junge dunkelhaarige Frau vor ihm "überall leicht" reinkäme, denn die habe einen "israelischen Pass".

Wenig später, es ist kurz nach halb zehn, reckt sich dieser spezielle Prozessbeobachter den Hals. Beate Zschäpe erscheint im Saal, sie trägt einen dunklen Hosenanzug, dazu ein helles Tuch. Mit schnellen Schritten geht sie zur Anklagebank, schüttelt ihren neuen Verteidigern Grasel und Borchert die Hand, lächelt, setzt sich. Vor ihr klicken die Verschlüsse der Fotoapparate.

Zschäpe bricht ihr Schweigen. Am 249. Sitzungstag lässt sie Grasel eine Erklärung verlesen. Vollmundig hieß es vorher, die Angeklagte wolle umfassend und zu allen Taten aussagen. Doch was der Anwalt in den kommenden eineinhalb Stunden vorträgt, ist vor allem der Versuch einer Reinwaschung. Immer wieder lässt die 40-Jährige betonen, dass sie an der "Planung und Durchführung" der Verbrechen nicht beteiligt gewesen sei. Weder an den Morden an acht türkischstämmigen Menschen, an einem Griechen und der Polizisten Michèle Kiesewetter. Noch am Bombenanschlag in der Kölner Keupstraße und den vielen Raubüberfällen.

Sie habe immer erst im Nachhinein von den Morden erfahren. Sie sei entsetzt gewesen, habe mit Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt gestritten. Behauptet sie. Sie sei enttäuscht gewesen, dass die beiden weiter getötet hätten, obwohl sie doch versprochen hätten, es nicht mehr zu tun. Enttäuscht.

Sie habe sich anfangs immer wieder mit Ausstiegsgedanken getragen. Aber dann schließlich aufgegeben. Weil sie Angst gehabt habe vor dem Gefängnis. Weil sie sich davor fürchtete, dass ihre beiden "Uwes" dann auffliegen und sich wie angekündigt selbst töten würden. Da seien die Gefühle für Uwe Böhnhardt gewesen, den Waffennarr, dem schwindlig geworden sei, als er sich einmal in den Finger geschnitten habe.

Deshalb habe sie mitgemacht, sei dabei geblieben. Zschäpe versucht, sich als Anhängsel hinzustellen. Als Nicht-Überzeugte. Als verhinderte Aussteigerin. Als diejenige, denen die Männer nicht "hundert Prozent" vertraut hätten. "Die beiden brauchten mich nicht, ich brauchte sie", sagt sie. Die Eigenbeschreibung passt so gar nicht zu der selbstbewussten Frau, die andere Zeugen beschrieben.

"Die beiden waren meine Familie"

Als sie nach einem der ersten Morde nach dem Warum gefragt habe, hätten Mundlos und Böhnhardt gesagt, nun sei "eh alles verkackt". Auswanderungspläne nach Südafrika hätten sich mit der Zeit zerschlagen.

Ja, sie habe in Kauf genommen, dass die beiden "Geld besorgt" und dann vor ihr die Beute der Banküberfälle ausgebreitet hätten. Eine Rückkehr in ein bürgerliches Leben sei nicht mehr denkbar gewesen. Deshalb blieb sie bei Mundlos und Böhnhardt. "Die beiden waren meine Familie."

Sie pocht darauf, kein Mitglied des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) gewesen zu sein. Das wirft ihr die Bundesanwaltschaft vor. Der NSU sei eigentlich nur eine Idee von Mundlos gewesen.

Zschäpe liest ihre Aussage mit. Sie knetet ihre Hände, ab und zu schaut sie verstohlen nach rechts zu ihrem alten Anwaltstrio Heer, Stahl und Sturm, mit denen sie nicht mehr reden will.

Dann kommt die Rede auf den 4. November 2011, den Tag, als Mundlos und Böhnhardt nach einem Überfall aufflogen und starben. Dem Tag, an dem sie die Wohnung "abfackelte" und die Bekenner-Videos verschickte, so wie sie es ihren Kameraden versprochen hatte.

Zschäpe verschränkt die Arme, hört ihre Beteuerungen, dass sie mit dem Brand keine anderen Menschen in Lebensgefahr bringen wollte. Dass es ihr darum ging, "den letzten Willen" der Uwes zu erfüllen.

Am Ende der 53-seitigen Erklärung verließt Anwalt Grasel etwas, das wie Reue klingt: "Ich fühle mich moralisch schuldig, dass ich zehn Morde nicht verhindert habe", lässt Zschäpe ihren Anwalt sagen.

Ob sie ihre Weltanschauung geändert hat, bleibt offen. Ihre Mitangeklagten erwähnt sie nicht oder kaum, sie will sie offenbar verschonen. Nur Tino Brandt, den sie als Organisator und Geldgeber der frühen Aktivitäten der Gruppe vor dem Untertauchen beschrieb, kommt am Ende schlecht weg. Sie hätte gehofft, dass Tino Brandt früher aufgeflogen wäre, verliest Anwalt Grasel. Aufgeflogen - als V-Mann des Verfassungsschutzes.

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